Wie geht die anglikanische Kirche mit Konflikten um?

"Uns fehlt das Papsttum"

Homosexualität und Frauenweihe setzen die katholische Kirche unter Spannung. Gleiches gilt für die Anglikaner, die seit dem Wochenende ihre 15. Weltkonferenz begehen. Was kann sich der Synodale Weg von der Lambeth-Konferenz abschauen?

Papst Franziskus mit anglikanischen Bischöfen / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus mit anglikanischen Bischöfen / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Seit dem Wochenende findet die 15. Lambeth-Konferenz statt. Das ist das höchste Gremium der anglikanischen Kirche. 660 Bischöfe und Bischöfinnen aus 43 Provinzen sind zusammengekommen. Die letzte Konferenz fand 2008 statt. Man würde ja denken, dass das eigentlich nur Christen in England interessiert, so eine Anglikaner-Konferenz. Warum ist das etwas Größeres?

Dr Johannes Arens SMMS (privat)
Dr Johannes Arens SMMS / ( privat )

Fr. Johannes Arens SMMS (Anglikanischer Pfarrer und Domkapitular in Leicester): Die Mehrheit der Anglikaner lebt nicht in England. Die Mehrheit der Anglikaner wohnt in der südlichen Halbkugel der Erde. Wie überall sonst in Westeuropa ist die kirchliche Situation nicht besonders prickelnd. Es gibt eine Schrumpfung. Ob das jetzt eine Gesundschrumpfung ist, sei mal dahingestellt. Die Mehrheit der Anglikaner ist wahrscheinlich weiblich, schwarz und ungefähr 30 bis 40 Jahre alt. Mittlerweile ist das ganz deutlich. Das ist ein Überrest aus der Kolonialzeit. Damals fand viel Missionierung statt. Daher sind diese Provinzen außerhalb Englands entstanden, ursprünglich.

Als höchstes Gremium kann man die Lambeth-Konferenz eigentlich nicht bezeichnen. Wir haben völlig voneinander unabhängige Provinzen. Wir haben gemeinsame Glaubensüberzeugungen. Aber ganz genau wie in der Orthodoxie sind die unterschiedlichen Kirchenprovinzen in sich selbstständig. Das heißt, es gibt eine Konferenz, das bedeutet, dass man miteinander redet. Aber die Beschlüsse sind nicht bindend weltweit. Und da ist eines der Probleme, eines der vielen Probleme.

DOMRADIO.DE: Kann so eine Konferenz überhaupt etwas bringen, wenn es keine bindenden Entscheidungen gibt? Erzbischof Welby hat das bei der Eröffnung so genannt, dass das nur "Calls" geben wird, Aufrufe.

Johannes Arens

"Bei diesen Aufrufen ist etwas schief gelaufen, was ein unsägliches Eigentor bedeutet hat."

Arens: Bei diesen Aufrufen war einmal etwas schief gelaufen, was ein unsägliches Eigentor bedeutet hat. Vor 20 Jahren gab es einen Mehrheitsbeschluss, wo sich die Mehrheit der Bischöfe dafür ausgesprochen hat, dass das Sakrament der Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau zulässig ist oder überhaupt stattfinden kann. Ob das Jetzt erlaubt oder gültig ist, ist noch mal eine andere Frage. Damals gab es aber schon Minderheiten-Äußerungen, die sagten: Das Thema ist damit nicht erledigt. Da gibt es eine weitergehende Diskussion, für die Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften oder die Anerkennung von Menschen, die anders empfinden.

Mittlerweile hat sich das gewandelt. Es gibt eine Gruppe von Bischöfen, die selber in Partnerschaften leben. In einigen Provinzen, wie zum Beispiel in den USA, ist das kirchenrechtlich möglich und anerkannt, auch die Eheschließung. Das ist in England zurzeit nicht möglich, aber da gibt es eine sehr heiße Diskussion, ganz genau wie beim Synodalen Weg in Deutschland. Da haben sich die Fronten in den letzten 20 Jahren massiv verhärtet und es gibt keine Möglichkeit, diese Beschlüsse einstimmig zu fassen. Da gibt es eben Provinzen, die sagen, sei könnten nicht mit denen an einen Tisch sitzen, die da eine völlig andere Meinung zu haben. Da gibt es einen Bruch und einen Riss.

Banner der Lambeth-Konferenz / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Banner der Lambeth-Konferenz / © Sabine Kleyboldt ( KNA )

DOMRADIO.DE: Weshalb auch eine Zahl von konservativen Vertretern die Teilnahme an der Konferenz abgesagt haben. Eigentlich spricht die Lambeth-Konferenz also nicht stellvertretend für die komplette anglikanische Welt?

Arens: Das gibt es sowieso fast gar nicht, was stellvertretend für die komplette anglikanische Welt sprechen kann. Das hängt mit vielen verschiedenen Dingen zusammen.

Da spielt auch Geld eine Rolle, ganz genau wie n der römischen Weltkirche. Sehr konservative Kreise überwiegend aus Nordamerika sind ausgesprochen finanzstark. Mit Geld kann man sich sehr gut Gehör verschaffen.

Das hängt auch damit zusammen, dass das Erbe des Kolonialismus ein böses Erbe ist und Afrikaner zu Recht sagen: Das sei Kulturimperialismus, das habe mit ihnen nichts zu tun. In ihrer Kultur gebe es keine Homosexualität, angeblich. Deshalb lassen wir uns auch nicht von Nordeuropa sagen, was wir zu glauben und zu denken haben.

Dann spielen also kulturelle Unterschiede eine Rolle. Homosexualität ist in vielen afrikanischen Staaten illegal, die Gesetze sind auch noch mal verschärft worden. Die soziale Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften ist eine völlig andere in verschiedenen Ländern der Welt. Wie man das dann zusammen bringt unter einen Hut, ist ausgesprochen schwierig.

Was schade ist, ist, dass dieses Thema eine derartige Prominenz hat bei der Lambeth-Konferenz. Man ist sich doch in vielen Dingen einig und die Konferenz geht eigentlich um etwas ganz anderes. Zumindest vordergründig oder zumindest von der Agenda her. Da geht es um Klimaschutz, da geht es um bittere Armut in vielen Gegenden. Dass sich unser Klima ändert und dass verschiedene arme Gegenden ausgesprochene Schwierigkeiten haben mit Lebensmitteln oder mit Trinkwasser. Da geht es um soziale Gerechtigkeit. Die Themen sind eigentlich wichtiger, aber fallen unter den Tisch.

DOMRADIO.DE: Aber wie man denn nun eine solche kirchliche Gemeinschaft zusammenhalten?

Arens: Es gibt, wie in jeder Kirchengemeinschaft eine Spannung zwischen verschiedenen Positionen. Das ist im Moment durch den Synodalen Weg in Deutschland ja ganz deutlich. Oder #OutinChurch. Das hat es bisher nicht gegeben. Es ist ausgesprochen schwierig, weil eben insbesondere einige afrikanische Bischöfe, die sehr konservativ in der Hinsicht sind, sagen, das gehe ans Eingemachte, tatsächlich an das "depositum fidei", an die Grundlagen des Glaubens. Sie könnten nicht mit Leuten Eucharistie feiern, die in ihren Augen derartig ungehorsam gegenüber der Botschaft Jesu sind. Die bleiben dann eben bei der Eucharistiefeier sitzen und gehen nicht zur Kommunion oder sind erst gar nicht erschienen zur Konferenz.

Uns fehlt das Papsttum als eine einigende Macht. Wir beten natürlich für den Papst. Wir verstehen uns ja als katholisch als Anglikaner. Nichtsdestotrotz hat der Erzbischof von Canterbury nicht die gleiche Funktion. Er ist der Ehrenprimas. Und er hat keinerlei Macht oder Amtsgewalt, außerhalb seiner eigenen Provinz. Er ist mein Erzbischof, und als solcher hat er mir auch was zu sagen. Aber in Afrika oder in Indonesien nicht. Abgesehen davon, dass man im Gespräch bleibt, gibt es eigentlich keine Möglichkeit. Es kracht seit 30 Jahren so richtig. Und jetzt ist die Frage, wie geht es weiter? Und da habe ich auch keine Antwort drauf.

Anglikanische Geistliche bei einem Gottesdienst / © Lucian Coman (shutterstock)
Anglikanische Geistliche bei einem Gottesdienst / © Lucian Coman ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es gibt also in der anglikanischen Kirche das gleiche Konfliktpotential wie bei den Katholiken. Können wir uns mit unseren Reformbewegungen – dem Synodalen Weg und der Weltsynode – irgendetwas von den Anglikanern abgucken?

Arens: Es geht um exakt die gleichen Themen. Nichts ist kontroverser unter Christen, als wie man die Bibel liest, oder wie man Tradition und kulturelle Entwicklungen einordnet im Vergleich zum kirchlichen Lehramt. Auch kulturell stellen sich exakt die gleichen Fragen. Im Katechismus steht zum Beispiel, dass jeder, der homosexuell empfindet, in sich ungeordnet ist. Das lässt sich überhaupt nicht mehr kommunizieren in Westeuropa. Damit macht man sich lächerlich. Das ist auch mit dem wissenschaftlichen Standard in keiner Weise vereinbar. Da gibt es eine massive Spannung in der katholischen Kirche. Wir haben hier exakt das gleiche Problem und auch die evangelischen Kirchen haben exakt das gleiche Problem.

Johannes Arens

"Die Anglikaner haben sich über Jahrhunderte sehr gut darauf verstanden, extreme Spannungen untereinander auszuhalten."

DOMRADIO.DE: Wie gehen die Anglikaner denn mit diesen Spannungen um?

Arens: Die Anglikaner haben sich über Jahrhunderte sehr gut darauf verstanden, extreme Spannungen untereinander auszuhalten. Seit 1549/1662 versuchen die liturgischen Dokumente, also das "Book of Common Prayer", auf eine ganz raffinierte Art und Weise durch den gleichen Satz zwei verschiedene Dinge auszudrücken. Man kann an Transsubstantiation glauben oder nicht. Das hält das aus und das halten auch die liturgischen Texte aus.

In den letzten Jahren wird das zunehmend schwierig durch Fragen wie die der Ordination von Frauen. Was hier in meiner eigenen Provinz mittlerweile einigermaßen funktioniert, indem die Traditionalisten eigene Weihbischöfe haben, die keine Frauen ordinieren. Das funktioniert bei uns ganz gut. Das ist genau das, was die Traditionalisten auch in der katholischen Kirche fordern, ein gewisses Maß an Eigenständigkeit.

Wo es nicht funktioniert, sind moralische Fragen. Also ich merke das hier ganz deutlich in meinem eigenen Dekanat. Die Nachbarpfarrei hat eine ganz, ganz andere Linie als meine eigene Pfarrei. Hier in der Studentengemeinde ist das gar kein Thema. Es ist sogar so hingehend kein Thema, dass die Leute sagen: Es ist doch erst mal jeder willkommen. In der Nachbargemeinde nebendran ist das wieder eine ganz andere Geschichte. Und das bedeutet dann einfach, dass Leute dahin gehen, wo sie sich willkommen fühlen. Oder Leute dahin gehen, wo sie sich wohlfühlen. Auf Bistumsebene geht das ganz okay. Auf Weltkirchenebene ist das eine andere Frage.

Johannes Arens

"Jedes Gespräch, was versucht, von vornherein den anderen zu konvertieren (...), ist zum Scheitern verurteilt."

Ich denke, was wir voneinander lernen können und wo wir exakt die gleichen Schwierigkeiten haben, ist, wie wir miteinander im Gespräch bleiben, ohne die geschwisterliche Verbindung aufzugeben. Jedes Gespräch, das versucht, von vornherein den anderen zu konvertieren oder die andere Meinung zu ändern, ist zum Scheitern verurteilt. Das einzige, was man versuchen kann, ist einander zuzuhören und zu sagen: "Ich verstehe dich, ich verstehe dich wirklich, aber ich stelle eine andere Meinung daneben." Das ist schwierig. Das ist schmerzhaft. Teilweise muss man da getrennte Wege gehen. Zeitweilig oder für immer. Ich weiß es nicht.

Wo es wirklich wehtut, ist, wenn man aufhört miteinander zu reden und miteinander Gottesdienst zu feiern. Da sind wir jetzt gerade dran, dass Leute sagen, wir kommen nicht zur Konferenz und wir bleiben sitzen bei der Kommunion. Da gibt es dann auch kaum Möglichkeiten, das zu überbrücken.

Exakt die gleiche Situation wie mit der Priesterbruderschaft St. Pius, die sagt, die neue Messe ist nicht feierbar. Wir können daran nicht teilnehmen. Und dann hat man ein Schisma. Auch wenn man darum herumredet. Das ist exakt die gleiche Situation. Es geht um genau die gleichen Fragen. Welchen Stellenwert hat die Tradition? Welchen Stellenwert haben kulturelle Überzeugungen und wissenschaftliche Entwicklungen? Und welchen Stellenwert hat die Interpretation der heiligen Schrift?

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Anglikanische Bischöfe diskutieren über Missbrauch und Mission

Der Sonntag begann für die 650 Bischöfinnen und Bischöfe mit einem Festgottesdienst, der alles bot, was ein anglikanisches Herz höherschlagen lässt: Kirchenmusik von höchster Qualität, geistlichen Zuspruch in vielen Sprachen, eine freudig-andächtige Gemeinde aus aller Welt - und all das in der atemberaubenden Architektur der Kathedrale von Canterbury. Damit ist die 15. Lambeth-Konferenz offiziell eröffnet. Nun gilt es für die Teilnehmer aus 165 Ländern, eine Woche lang über "Gottes Kirche für Gottes Welt" zu diskutieren.

Justin Welby, anglikanischer Erzbischof von Canterbury / © Paul Haring (KNA)
Justin Welby, anglikanischer Erzbischof von Canterbury / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema