Welche Erwartungen die Kirche an Parlamentswahlen in Argentinien hat

Das Ende der "Politik mit der Kettensäge"

Am Sonntag sind in Argentinien Parlamentswahlen. Sie sind ein wichtiger Stimmungstest, denn gegen das Reformpaket des Präsidenten Milei gab es viel Protest. Ein Interview über seine Politik und Verhältnis zur katholischen Kirche.

Argentinische Fahne bei Protesten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung von Javier Milei / © Mariano Campetella (KNA)
Argentinische Fahne bei Protesten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung von Javier Milei / © Mariano Campetella ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Parlamentswahl ist für Präsident Javier Milei und seine Partei "La Libertad Avanza" ("Die Freiheit schreitet voran") wichtig, weil er über keine eigene Mehrheit in den beiden Kammern verfügt und seine Reformprojekte im Kongress immer wieder gestoppt wurden. Seit dem 10. Dezember 2023 ist Milei Präsident Argentiniens, welche Bilanz seiner Amtszeit ziehen Sie bislang?

Pater Martin Maier / © N.N. (Adveniat)
Pater Martin Maier / © N.N. ( Adveniat )

Pater Martin Maier SJ (Hauptgeschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat): Die makroökonomischen Marker sind ganz positiv, vor allem im Vergleich zu der Situation, aus der Argentinien kam: Sein Vorgänger hat Milei Inflationsraten von über 200 Prozent hinterlassen. Jetzt liegt die Inflation bei aktuell 32 Prozent, Argentinien erwirtschaftet wirtschaftliche Überschüsse und Milei hat es geschafft, die Bürokratie runterzufahren.

DOMRADIO.DE: Das klingt positiv, gibt es auch Verlierer dieser Entwicklungen? 

Maier: Die argentinische Zeitung "La Nation" schrieb kürzlich über das "Paradox von Stabilität und Armut" und das fasst die Situation gut zusammen: Auf der einen Seite sind die wirtschaftlichen Zahlen besser geworden, auf der anderen Seite ist die Armut unverändert und für diejenigen, die schon in Armut gelebt haben, hat sich die Lage noch verschärft. 

Wir hören von unseren Projektpartnern, dass im Gesundheitsbereich die staatlichen Subventionen gestrichen wurden. Ein Kinderkrankenhaus in Buenos Aires steht vor der Schließung und die Rentner bekommen immer weniger Geld. Wir hören, dass im Bildungsbereich, an Universitäten und in Kultureinrichtungen brutale Kürzungen vorgenommen wurden. Menschen mit Behinderungen haben es deutlich schwerer durch die Kürzungen und es wurden 50.000 Beamte aus dem öffentlichen Dienst entlassen. 

Pater Martin Maier S.J.

"Menschen mit Behinderungen haben es durch die Kürzungen deutlich schwerer."

DOMRADIO.DE: Wie positioniert sich die katholische Kirche zu Milei und seinem politischen Kurs?

Maier: Die katholische Kirche beurteilt die Politik aus der Perspektive der Armen. Im August dieses Jahres hat die Caritas in Argentinien eine "Soziale Woche" unter der Überschrift: „Die soziale Freundschaft als Traum und Weg. Das Vermächtnis von Papst Franziskus“ organisiert.

Protest gegen das Reformpaket von Präsident Milei / © Mariano Campetella (KNA)
Protest gegen das Reformpaket von Präsident Milei / © Mariano Campetella ( KNA )

Eine der zentralen Feststellungen dort war, dass sich die Polarisierung der Gesellschaft in Argentinien verschärft hat. Es ist von einer "verletzten" und "gespaltenen" Gesellschaft die Rede und einer der Appelle war, dass sich die Politik - ganz im Geist von Papst Franziskus - nicht der Wirtschaft unterwerfen darf. 

DOMRADIO.DE: Im Wahlkampf hatte Milei Papst Franziskus immer wieder aufs Übelste beschimpft, er hatte ihn als "Vertreter des Bösen auf Erden" und als "Kommunisten" bezeichnet. Die Betonung von sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung hatte er stets als Hindernis für wirtschaftliches Wachstum gesehen. Im Juni hat Milei den neuen Papst Leo besucht – dabei soll der Pontifex auch einen Besuch in Argentinien angekündigt haben, das behauptet zumindest ein Sprecher Mileis. Ist denn das Verhältnis zwischen dem argentinischen Präsidenten und der katholischen Kirche durch den neuen Papst besser geworden? 

Maier: Die Position der argentinischen Bischofskonferenz gegenüber der Sozialpolitik von Milei ist sehr kritisch. Die katholische Kirche organisiert Suppenküchen und zahlreiche soziale Projekte im Geist von Papst Franziskus, der in Argentinien nach wie vor sehr präsent ist. 

Papst Leo XIV. trifft sich mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei / © Mario Tomassetti/Vatican Media (dpa)
Papst Leo XIV. trifft sich mit dem argentinischen Präsidenten Javier Milei / © Mario Tomassetti/Vatican Media ( dpa )

Papst Leo steht in Kontinuität mit Papst Franziskus. Das hat er mit seinem letzten Lehrschreiben "Dilexi te" gezeigt, (dt.: "Ich habe dich geliebt") das Franziskus noch vorbereitet und Papst Leo dann zu Ende geschrieben und veröffentlicht hat. In dessen Mittelpunkt steht die präferentielle "Option für die Armen", die Grundentscheidung, die auf eine Bischofskonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe 1968 in Medellin zurückgeht. Sie leitet die Kirche in Lateinamerika bis heute und auch Papst Leo macht sie sich zu eigen. 

Er war 20 Jahre als Missionar und Bischof in Peru und hat unmittelbar Armut und Not der Menschen erlebt. Seine Pastoral in Peru war an dieser Option für die Armen ausgerichtet und das macht er jetzt auch in seinem ersten großen Dokument am Anfang seines Pontifikats deutlich. Von daher ist die persönliche Beziehung zwischen Leo und Milei nicht von diesen Polemiken belastet, die er noch gegen Franziskus gerichtet hatte, aber er wird auf der Grundlage der katholischen Soziallehre dieses extrem liberale Politikprojekt von Milei auch sehr kritisch beurteilen.
 

Logo Adveniat / © ADV (Adveniat)


DOMRADIO.DE: Wie unterstützt Adveniat die Menschen vor Ort? 

Maier: Wir arbeiten mit der Caritas zusammen und fördern Projekte mit indigenen Bevölkerungsgruppen, die besonders diskriminiert sind. Wir unterstützen Ausbildungs- und Freizeitprogramme für gefährdete Jugendliche, da arbeiten wir mit INCUPO zusammen, dem "Instituto de Cultura Popular", dem Institut der Volkskultur. Und wir unterstützen Projekte für Kleinbauern und ökologischer Landbau. Grundsätzlich ist Adveniat in Argentinien sehr präsent und unser Kompass ist die Option für die Armen, die Option für die Jugend und die Option für die indigene Bevölkerung.

DOMRADIO.DE: Wie blicken die auf die kommende Parlamentswahl? 

Maier: Es haben im August schon Wahlen in der Provinz Buenos Aires stattgefunden, bei denen Milei nur 34 Prozent der Stimmen bekommen hat. Das hat deutlich gemacht, dass Unzufriedenheit und Enttäuschung in der Bevölkerung groß sind. Umfragen deuten darauf hin, dass auch die Wahlen zu Kongress und Senat ähnlich negativ für Milei ausfallen werden und dass er seine "Politik mit der Kettensäge", wie er es immer wieder angekündigt hat, in dieser Form nicht weiterführen können wird, sondern auf Dialog und Verhandlungen mit der Opposition angewiesen ist.

Quelle:
DR

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