DOMRADIO.DE: Gibt es eine Märtyrergeschichte, die Ihnen besonders im Kopf geblieben ist?
Manfred Becker-Huberti (Brauchtumsforscher und Autor): Ja, die des Donatus von Münstereifel. Das ist ein interessanter Fall, der noch heute staunen lässt. Das Besondere ist, dass sich an der Geschichte viele der Märtyrer-Phänomene und dieser Heiligenlegenden erklären lassen.
Der heilige Donatus ist, wenn man so will, im Karton entstanden. In Roms Katakomben wurden Knöchelchen gesammelt, von denen niemand wusste, von wem diese Knochen stammen. Als die Jesuiten für ihren neuen Altar in Münstereifel Reliquien brauchten, wurden ihnen aus Rom eben diese Knochen geschickt. Es gab keinen Namen und man wusste nichts über diese Knochen.
Die Jesuiten werden mit dem Ordenskürzel SJ abgekürzt, daraus machen wir Katholiken natürlich "schlaue Jungs". Genau das waren die Jesuiten damals schon und haben sich bei der Namensfindung gedacht: Beschreiben wir doch genau das, was passiert ist. Die Reliquien wurden den Jesuiten geschenkt - also: der Geschenkte, lateinisch: Donatus. Den Namen hatte man also schon.
Jetzt noch die Legende. Beim Transport der Knöchelchen von Rom nach Münstereifel ist neben dem Weg ein Blitz eingeschlagen. In dem Namen Donatus steckt ja auch schon der Donner drin. So ist die Geschichte von oben vorgegeben und der Heilige Donatus wird zur Hilfe gegen Donner angerufen und so zum Wetterheiligen.
DOMRADIO.DE: Was fasziniert Sie an den Märtyrer-Legenden?
Wie sich solche Geschichten entwickelt haben, finde ich einfach hochinteressant. Diese Legenden haben Jahrhunderte später noch Wirkung, sogar bis heute. Als zum Beispiel von Seiten des Erzbistums vorgeschrieben wurde, Blitzableiter an den Kirchen anzubringen, weigert sich der Pfarrer in Münstereifel, weil er ja Donatus' Reliquien hat. Ihm könne doch nichts passieren. Der Heilige sei doch besser als ein Blitzableiter.
Das ist eine Interpretation eines verirrten Pfarrers oder ihm mal so eingefallen. Das ist nicht der eigentliche Gedanke hinter der Geschichte. Das wäre in dieser Form völlig absurd. Die Aussage der Legende ist nicht zu behaupten, dass der Heilige Donatus der bessere Blitzableiter ist. Es sind nicht nur Legenden, das sind Geschichten, die man sich über die Heiligen erzählen soll.
Der Pfarrer zeigt, dass die Geschichten noch lange nicht Geschichte sind. Man kann daran sehen, wie die Menschen damals tickten und dachten. Dafür muss man diese Legenden auch ein Stück dechiffrieren können. Die Frage dahinter: Warum ist es so gekommen?
DOMRADIO.DE: Wie dechiffrieren Sie denn die besonders blutrünstigen Märtyrer-Legenden über Heilige, die beinahe mit freudiger Erwartung in den Tod gegangen sind?
Becker-Huberti: Ja, da muss man vorsichtig sein und auch die Legenden mit Vorsicht genießen. Die Beschreibung trifft besonders auf die Heiligen der ersten drei Jahrhunderte zu. Der zeitliche Kontext ist entscheidend. Wer damals dem Kaiser keinen Weihrauch streute und ihn als Gott verehrte, verurteilte sich selbst zum Tod, indem er das Todesurteil hinnahm. Das ist in dieser Zeit tatsächlich so passiert und es gibt zahlreiche Belege dafür.
Aber dieses Martyrium wurde zur Durchpause und in spätere Zeiten übertragen. Zum Beispiel wenn man Reliquien erfunden hat oder für irgendwelche Heilige, die man nicht näher kannte, eine Legende benötigte. Denen wurde dann dieses Schicksal des Märtyrertodes auferlegt. Die seien also freiwillig zum Richter gelaufen, haben sich als Christ bekannt, um hingerichtet zu werden.
Der Gedanke dahinter ist Nachfolge Christi. Wer Christus nachfolgt, der muss natürlich auch das Kreuz auf sich nehmen. Denn ohne Kreuz kommt keiner in den Himmel. Es hat dann ein paar Jahrhunderte gedauert, bis man von diesem Prototyp wegekommen ist.
DOMRADIO.DE: Was sollen die Legenden den Leuten vermitteln?
Becker-Huberti: Das Interessante ist, dass diese Idee gar nicht im Christentum entsteht, auch nicht im Judentum, sondern in der heidnischen Philosophie. Dieser Gedanke, dass man für seinen Glauben sein Leben hingeben muss und dass es keinen Ausweg gibt, der drum herum führt, wird von den Juden und später von den Christen übernommen.
Zwar ist es den Märtyrern in den ersten Jahrhunderten genauso passiert, aber nur bis die römischen Kaiser nicht mehr ihre Verehrung als Gott verlangten. Das Christentum wurde als Religion anerkannt und an dieser Stelle war plötzlich Schluss mit dem Martyrium, mit gewissen Ausnahmen.
Als Reaktion muss ein neuer Typ von Heiligem erfunden werden. Der Märtyrer-Heilige wurde zum Bekenner-Heiligen modifiziert. So wurde der Bekenner auch definiert als jemand, der lebenslang ein unblutiges Martyrium auf sich genommen hat.
Das Interview führte Hilde Regeniter.