Wie eine Hospizbegleiterin über Tod und Erlösung denkt

"Das Leben wird verändert, aber es wird nicht genommen"

Nadine Kreuser begleitet seit Jahren sterbende Menschen im Hospiz. Themen wie Tod und Erlösung sind in ihrer Arbeit allgegenwärtig. Wie gehen Menschen kurz vor ihrem Tod mit diesen Themen um und inwiefern ist der Glaube da eine Hilfe?

Zimmer in einem Hospiz / © Harald Oppitz (KNA)
Zimmer in einem Hospiz / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was ist Ihnen an Ihrem Engagement wichtig?

Nadine Kreuser (Katholische Theologin und seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Hospizarbeit): Ich beschreibe mein Ehrenamt immer gerne mit einer Blase. Wenn ich in das stationäre Hospiz zu einer Begleitung gehe oder auch ambulant, ist es für mich wichtig, dass ich alles, was drumherum gerade in meinem Leben ist, zurückstelle. Ich tauche in diese Blase ein und dann bin ich ganz für die Person da, die mir gegenüber ist. Es ist nicht wichtig, was ich gerade in dem Moment fühle, sondern die Person steht im Mittelpunkt. Und das finde ich sehr wichtig für meine Begleitung. Dass der Person Zeit geschenkt wird, dass die Zeit, die ich mit ihr oder ihm verbringe, wertvoll ist und dass sie einfach eine schöne Zeit zum Ende des Lebens hat und nicht alleine gehen muss.

Nadine Kreuser (privat)

DOMRADIO.DE: Sie sind ja auch katholische Theologin. Inwiefern hilft Ihnen das bei Ihrer Arbeit im Hospiz?

Kreuser: Erst mal ist es so, dass es für die Person, die mir gegenüber sitzt, gar keine Rolle spielt, ob sie katholisch, evangelisch oder muslimisch ist. Mir fällt es einfacher, dass die Person irgendwann geht, denn christlich gesprochen haben wir danach die Erlösung, ein Leben nach dem Tod. Mein Motto, das ich gerne auch immer als Armband bei mir trage, ist "vita mutatur non tollitur": Das Leben wird verändert, es wird aber nicht genommen. Das heißt, es geht weiter. Es ist nur ein anderer Zustand, in dem der Mensch in der Situation ist. Wie dieser Zustand individuell gedeutet ist, das ist natürlich dann immer noch eine persönliche Sache, aber für mich geht das Leben danach weiter und das hilft mir in den jeweiligen Situation.

Nadine Kreuser

"Das Leben wird verändert, es wird aber nicht genommen. Das heißt, es geht weiter"

DOMRADIO.DE: Wenn Sie eine Person über längere Zeit begleiten und dann stirbt die Person, dann ist das natürlich für niemanden leicht. Aber Sie haben die Person ja auch ein Stück ihres Lebensweges begleitet. Wie gehen Sie dann damit um?

Kreuser: Ich hatte vor drei Jahren einen Herrn, den habe ich wirklich sehr, sehr lange begleitet. Sechs bis acht Monate waren es insgesamt und wir haben uns wirklich gut kennengelernt. Es war eine sehr schöne Zeit und gegen Ende hin hatte er dann noch einen Wunsch: Er wollte unbedingt noch eine Zigarette rauchen. Die Woche vorher war sehr schwierig. Er war eigentlich nur noch in so einem Dämmerzustand und wir haben ihm den letzten Wunsch dann noch erfüllt. Er war voll da, hat noch eine Zigarette geraucht auf dem Balkon. Wir haben ihn mit dem Bett rausgeschoben und dann ist er gegangen. Er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht und für mich war es da sehr einfach, weil er noch so schöne Momente hatte.

Ich war nachher auch auf der Beerdigung. Die Familie hat mich eingeladen und dann ist es natürlich auch eine persönliche Auseinandersetzung. Es gibt bei uns im Hospizverein auch immer das Angebot von Supervisionen, wo man genau darüber noch mal sprechen kann, wenn eine Person geht. Und was mir immer sehr hilft, sind die Gedenkgottesdienste. Einfach, dass jemand nochmal an diese Person denkt. Es gibt Steine, die angefertigt werden, da steht der Name drauf und das Geburts- und Sterbedatum und der liegt nachher in einem Steingarten bei uns. Da gehe ich manchmal auch hin. Es ist eine schöne Erinnerung an diese Zeit, denn die steht für mich im Vordergrund. Und genau das hilft mir sehr, damit klar zu kommen. Und für mich geht es immer noch weiter danach. Das Leben verändert sich.

DOMRADIO.DE: Am Karfreitag steht das Sterben Jesu Christi im Mittelpunkt, das für uns Christen zentral für die Erlösung ist. Wie erleben Sie das in Ihrer Arbeit? Sehen viele Menschen ihr eigenes Sterben als Erlösung an?

Kreuser: Das ist sehr individuell. So individuell, wie die Personen sind, so individuell ist auch der Tod. Es gibt das Sprichwort: So, wie man gelebt hat, so stirbt man auch. Das ist nicht wissenschaftlich beweisbar, aber wenn man in dieser Arbeit ist, dann gibt es da schon gewisse Parallelen. Wenn man zum Beispiel ein sehr hektisches Leben gehabt hat, dann wird der Tod auch sehr hektisch. Und in dem Fall könnte man davon sprechen, dass der Tod aus der Sicht der Angehörigen oder Zugehörigen eine Erlösung ist. Aber ich habe durchweg die Erfahrung gemacht, dass die Menschen vor dem Tod gar keine Angst haben oder ihn fürchten, sondern dass sie einfach die Zeit mit ihren An- und Zugehörigen noch bewusst erleben wollen. Sie haben sich gut darauf vorbereitet und können das gut einschätzen, wann sie dann gehen oder auch nicht gehen.

Ich hatte eine ältere Dame, da hat der Sohn, der selbst schon über 70 war, sie begleitet. Die Frau wollte unbedingt sterben. Sie wollte erlöst werden. So hat sie es auch gesehen. Und wir saßen im Wohnzimmer und der Sohn hat auf einmal auf den Tisch gehauen und gesagt: Nein, Mutter, du kannst noch nicht gehen. Da hat man gemerkt, es gibt eine Person, die hängt noch so an dieser Mutter und sie kann dadurch nicht gehen, weil da irgendwas noch in der Luft steht. Es hat sich herausgestellt, dass es da noch Klärungsbedarf gab und danach konnte sie dann auch wirklich friedlich sterben. Aber manchmal ist es einfach so, dass da noch irgendwas dazwischen ist und man kann einfach nicht gehen. Man möchte unbedingt erlöst werden, so wie die Frau. Aber es geht einfach noch nicht.

DOMRADIO.DE: Manchmal ist der Tod eines Menschen ja auch eine Erlösung für die Angehörigen. Aber für den Gedanken schämen sich manche Menschen vielleicht auch. Wie fangen Sie das auf?

Kreuser: Man muss unterscheiden: Wen begleite ich gerade? Manchmal ist es die Begleitung der sterbenden Person. Manchmal sind es aber auch eher die An- und Zugehörigen, die eine Begleitung brauchen. Und da ist es einfach da sein. Es liegt nicht in meiner Hand, meine Meinung auszudrücken, ob das jetzt eine Erlösung ist, ob man sich so fühlen darf, sondern ich bin einfach nur da und gebe Halt und Unterstützung. Und das ist dann auch in dieser Situation gut. Vielleicht fühlt es sich manchmal gar nicht so zufriedenstellend an, weil man nicht so viel gemacht hat. Aber ich glaube, das hilft den Personen in der Situation mehr, als wenn ich sagen würde: Du darfst dich so fühlen, es ist in Ordnung. Einfach da sein und die Person so sein lassen, wie sie es gerade braucht.

Nadine Kreuser

"Es liegt nicht in meiner Hand, meine Meinung auszudrücken, ob das jetzt eine Erlösung ist"

DOMRADIO.DE: Welche Gedanken machen sich Menschen an ihrem Lebensende zum Thema Tod und Erlösung?

Kreuser: Oft ist es so, dass vielfach irgendwie noch Zeit mit den An- und Zugehörigen ansteht. Man möchte alles noch erleben. Es gab vor kurzem einen Mann, der schon leicht dement war, der wollte unbedingt nochmal nach Hause und dann ist er auch wirklich ausgebrochen aus dem Hospiz, wir wissen bis heute nicht, wie er das geschafft hat. Dann ist er nach Koblenz gefahren und wurde in einem Einkaufscenter gefunden. Er wollte unbedingt noch einmal nach Hause und seine Frau nochmal sehen. Die war vor Jahren schon gestorben, aber da war dieser Drang nochmal da, einmal zu seiner geliebten Frau zu fahren.

Außerdem gibt es immer noch die Möglichkeit des Wünschewagens. Ich hatte auch eine jüngere Frau, die ich begleitet habe, die war gerade Anfang 30. Sie wollte unbedingt noch mal zu Elefanten und der Wünschewagen hat es ermöglicht. Die sind dann nach Rüdesheim in den Opel-Zoo zu den Elefanten gefahren und sie konnte sie streicheln, sie konnte sie füttern und das war für sie eine ganz tolle Erfahrung. Es wird versucht, wirklich alles möglich zu machen. Das kann auch sein, dass es ein Lieblingsgericht gibt. Es gibt ganz, ganz tolle Köche und Köchinnen, die wirklich alles zubereiten und alles möglich machen, was man sich gerade wünscht.

Das Interview führte Michelle Olion.

Palliativmedizin und Hospizbewegung

Palliativmedizin ist die Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung, beispielsweise Krebs, Demenz oder Aids. Ziel ist dabei nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung von Schmerzen und die Sicherung möglichst hoher Lebensqualität. Dazu gehört nicht nur Schmerztherapie, sondern auch die psychologische und spirituelle Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen.

Palliativmedizin in Deutschland (dpa)
Palliativmedizin in Deutschland / ( dpa )
Quelle:
DR
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