Was macht eine ökumenisch-kooperative Gemeinde aus?

"Es macht unsere Sendung glaubwürdiger"

In Münster entsteht die erste ökumenische-kooperative Gemeinde Deutschlands. Für den Ökumenebeauftragten Michael Kappes war das überfällig: Die beiden Kirchen verbinde einfach viel mehr als sie trenne. Aber was sagt das Kirchenrecht?

Kirchtürme mit Kreuz und Hahn / © Markus Nowak (KNA)
Kirchtürme mit Kreuz und Hahn / © Markus Nowak ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie ist denn die Idee zur ökumenisch-kooperativen Gemeinde entstanden? 

Michael Kappes (Ökumenebeauftragter des Bistums Münster): Der Hintergrund ist das Reformationsjubiläum 2017. Da haben wir nach längerer Vorbereitung eine große ökumenische Erklärung zwischen den Kirchenleitungen des Bistums Münster, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Rheinischen Kirche und der Lippischen Kirche verfasst: "Gemeinsam Zukunft gestalten".

Dabei ist eine Intensivierung der Ökumene beschlossen und konkretisiert worden dergestalt, dass wir gesagt haben: Ökumene darf nicht mehr verstanden werden als kaum mehr zu leistende Mehrarbeit zu dem, was wir in unseren eigenen Konfessionen zu tun haben, sondern viel stärker als gemeinsame Sendung der Christinnen und Christen in unserer Welt. Und von daher viel stärker gesehen werden als gemeinsamer Auftrag, bei den Menschen an den jeweiligen Lebensorten Angebote gelingenden Lebens zu machen und Präsenz zu zeigen. Das macht auch unsere Sendung glaubwürdiger, als wenn wir das neben- und gegeneinander tun.

Michael Kappes, Ökumenebeauftragter des Bistums Münster

"Ökumene darf nicht mehr verstanden werden als kaum mehr zu leistende Mehrarbeit (...), sondern viel stärker als gemeinsame Sendung der Christinnen und Christen in unserer Welt."

Und Sie sehen - wir sind jetzt im Jahr 2022, fünf Jahre später - es braucht dann schon auch Bemühungen, die nicht so schnell möglich werden, wie man sich das denkt, damit sich Gemeinden als Pilot-Gemeinde finden. In Münster-Nienberge gibt es seit Jahrzehnten gute ökumenische Zusammenarbeit. Dort haben sie sich, nachdem sie auch noch eine Wohngemeinschaft gegründet haben - die evangelische Lydia-Gemeinde ist jetzt dauerhaft Gast in der katholischen Sankt Sebastian Kirche - gefragt, was sie aus dieser Wohngemeinschaft ökumenisch machen können. Welche Chancen dieses räumliche Verbundensein bietet.

Es war ein guter Ausgangspunkt, als man in Nienberge gesagt hat: Ja, das passt für uns gut, so eine Pilot-Gemeinde würden wir gerne machen. Das ist für die evangelische Seite eine Diaspora-Situation. Deswegen haben wir bewusst noch eine zweite Gemeinde angefragt und auch Zustimmung erhalten. Es wird im Frühsommer in Lengerich, wo wir katholischerseits Diaspora sind, eine zweite Gemeinde geben. Fest geplant ist auch, am Niederrhein eine solche ökumenisch-kooperative Gemeinde zu installieren. 

DOMRADIO.DE: Ökumenisch-kooperativ, was heißt das konkret? 

Kappes: Ökumenische Zusammenarbeit gibt es ja vielfach selbstverständlich zwischen Gemeinden. Hier geht darüber hinaus, dass sich die Gemeinden in allen Grundvollzügen, die Gemeinde zur Gemeinde Jesu Christi machen -Gottesdienst, Gebet, Glaubensverkündigung, Katechese, Diakonie und Caritas - zusammensetzen und überlegen, was sie von vornherein kooperativ, sprich gemeinsam, machen können. Zum Beispiel Flüchtlingshilfe oder wie es in Nienberge geschieht, ein soziales Büro, was wir gemeinsam betreiben.

Michael Kappes, Ökumenebeauftragter des Bistums Münster

"Es geht darüber hinaus, dass sich die Gemeinden in allen Grundvollzügen, die Gemeinde zur Gemeinde Jesu Christi machen, überlegen, was sie von vornherein kooperativ machen können."

Wo können wir aber auch arbeitsteilig aktiv sein? Das heißt, wir sagen, ihr seid in der Seniorenarbeit besser aufgestellt, das läuft jetzt bei euch in der evangelischen Gemeinde. Bei uns hat die Jugendarbeit einen guten, hohen Stellenwert. Wir machen das dann nicht mehr doppelgleisig. Und dann gibt es noch den Bereich der stellvertretenden Ökumene. Es müssen nicht Repräsentanten beider Kirchen immer in den Gesprächen mit der Stadt, in Abstimmungen vor Ort, etwa auch bei ökumenischen Einschulungsgottesdiensten vor Ort sein. Da kann auch ein evangelischer Vertreter den Gottesdienst leiten.

Und es ist trotzdem allen deutlich, auch wenn der evangelische oder katholische Partner in dem Fall fehlt: Das ist gute Ökumene hier, dass einer für den anderen stellvertretend da ist und damit Ökumene auch persönlich ausdrückt. 

DOMRADIO.DE: Aber die Kirchen sind ja doch noch recht unterschiedlich. Ist das denn auch kirchenrechtlich vertretbar oder gibt es irgendwelche Hürden, die noch bewältigt werden müssen? 

Kappes: Es gibt bis auf einzelne Dinge - wie Fragen des Amtes der Kirche-, die aber normalerweise die pastoralen Handlungsfelder vor Ort nicht direkt berühren, eigentlich nichts Begründungspflichtiges. Nicht das getrennte Handeln ist selbstverständlich, sondern das getrennte Handeln muss begründet werden. Und das gemeinsame Handeln ist nicht begründungspflichtig, weil uns eben doch so viel verbindet, dass wir sehr viel in diesen vorhin genannten Bereichen miteinander tun können. Viel mehr, als man denkt.

Michael Kappes, Ökumenebeauftragter des Bistums Münster

"Das gemeinsame Handeln ist nicht begründungspflichtig, weil uns eben doch so viel verbindet, dass wir sehr viel miteinander tun können."

Es wäre eine verpasste Chance in dieser Situation, wo beide großen Kirchen spüren, dass ihnen personell und finanziell die Ressourcen wegbrechen, wenn wir nicht aus dieser tiefen Gemeinsamkeit des Glaubens heraus auch näher zueinander fänden und das gemeinsame Zeugnis in der Welt vertreten würden. Und wir nicht in einem Nebeneinander und in einer gewissen Konkurrenz verharren.

Es gehört heute nicht nur der Blick über die eigene Pfarrgemeinde-Grenze hinweg zur nächsten katholischen Gemeinde dazu, sondern wirklich der Blick darauf, dass da andere Geschwister im Glauben am Ort sind, mit denen man für die Menschen, die dort leben, als Christen da sein will. 

Das Interview führte Florian Helbig. 

Ökumene

Der Begriff "Ökumene" stammt aus dem Griechischen und heißt wörtlich übersetzt "die ganze bewohnte Erde". Gemeint sind die Bemühungen um die Einheit aller getrennten Christen. Die Ökumenische Bewegung ging zunächst von evangelischer Seite aus; als Beginn gilt die Weltmissionskonferenz von Edinburgh im Jahr 1910. Sie führte 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (Weltkirchenrat, ÖRK) mit Sitz in Genf. Ihm gehören heute 349 reformatorische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit 560 Millionen Christen in 110 Ländern an.

Bewegung in der Ökumene / © Paul Sklorz (KNA)
Bewegung in der Ökumene / © Paul Sklorz ( KNA )
Quelle:
DR