Was Flavigny und Alesia und die heilige Regina verbindet

Willkommen in Burgund

Manchmal denkt man mit Blick auf die Weltgeschichte, alles hänge mit allem zusammen. Dabei sind die Verbindungen manchmal kurios. Was etwa hat der letzte große Feldherr der Gallier mit der heiligen Regina und Bonbons zu tun?

Das Dorf Flavigny-sur-Ozerain (Frankreich) am 29. März 2025 / © Alexander Brüggemann (KNA)
Das Dorf Flavigny-sur-Ozerain (Frankreich) am 29. März 2025 / © Alexander Brüggemann ( KNA )

"Alesia?? Ich kenne kein Alesia! Ich weiß nicht, wo Alesia liegt!! Niemand weiß, wo Alesia liegt!!" 

So brüllt Häuptling Majestix seinem treuesten Helfer Asterix im Band "Der Arvernerschild" ins Gesicht - und fährt dabei buchstäblich aus den Pantoffeln. Ja, Alesia ist ein Trauma der Gallier: die Niederlage ihres Feldherrn Vercingetorix; die verlorene Endschlacht gegen die Armeen von Julius Cäsar. Verständlich vielleicht, dass Alesia hartnäckig verleugnet wurde, wo doch dort Galliens Unabhängigkeit endete.

Dorfstraße am 29. März 2025 in Flavigny-sur-Ozerain  / © Alexander Brüggemann (KNA)
Dorfstraße am 29. März 2025 in Flavigny-sur-Ozerain / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Niemand weiß, wo Alesia liegt? Der Ausspruch, auf den sich die Asterix-Schöpfer Goscinny und Uderzo beziehen, ist wiederum ein Rückgriff auf die französische Geschichte. Denn anders als heute war die Sache unter Kaiser Napoleon III. Mitte des 19. Jahrhunderts keineswegs klar: 

Niemand wusste, wo Alesia liegt. Und da der "Kaiser der Franzosen" von der Figur des gallischen Heroen Vercingetorix quasi besessen war, setzte er alles in Bewegung, um den Ort der Schlacht zu lokalisieren.

Damals waren die einen überzeugt, das historische Alesia sei das heutige Alaise, ein Dörfchen im ostfranzösischen Département Doubs in der Franche-Comté. Hätten sie Recht behalten, dann wäre die Einwohnerzahl sicher nicht von damals 170 auf heute nur noch 42 gefallen. 

Doch tatsächlich wurden die Archäologen an einem anderen Ort fündig: auf dem Mont Auxois bei Alise-Saint-Reine im Département Côte-d'Or, Burgund.

Pferdeknochen und Münzen 

Eine Grabungskampagne im Auftrag des Kaisers in der ersten Hälfte der 1860er Jahre brachte riesige Mengen Knochen als Licht, von Mensch und Pferd; dazu Münzen aus der Zeit, Waffen und andere Gegenstände. Die Archäologen erkannten, dass sich Vercingetorix mit seinen Mannen auf dem Hügelplateau von Alesia verschanzt hatte.

Hinter einem sechs Meter breiten Belagerungsgraben der Römer fanden sich Reste eines befestigten Oppidums mit rund 100 Hektar Fläche. Das Verkehrsschild bei der Auffahrt verweist auf 25 Prozent Steigung. 

Das vermag zu illustrieren, welche Mühen es die römisch-germanischen Truppen Cäsars gekostet haben mag, das Bollwerk zu knacken und im Spätsommer 52 vor Christus den Sieg von Alesia davonzutragen.

An all das erinnern heute mehrere Stätten: eine pathetisch-martialische Vercingetorix-Statue des 19. Jahrhunderts und ein umfänglich-eindrücklicher archäologischer Park auf dem Hügel, im Tal das großangelegte Tourismus-Zentrum "MuséoParc Alésia" von 2012. 

Doch als wäre das nicht schon genug Attraktion für einen 570-Einwohner-Ort, ist Alise-Sainte-Reine auch noch der Herkunftsort der heiligen Regina ("Sainte-Reine", ca. 271 - ca. 286).

Statthalter, schwer verliebt

Die frühchristliche Märtyrerin hat ihren Gedenktag am 7. September und ist die Namensmutter auch für alle, die Regine, Ina, Gina, Renja oder Rina heißen. Der Überlieferung nach weigerte sich die junge Christin, Schafhirtin und Eremitin aus gutem Hause kategorisch, den schwer verliebten römischen Statthalter Olybrius zu heiraten. 

Der, frustriert, ließ sie foltern und schließlich enthaupten. Bereits für das 4. Jahrhundert wurde hier ein Regina-Verehrungsort nachgewiesen: eine der ältesten Stätten des Christentums in Frankreich.

Und das führt die Geschichte hinüber in einen weiteren so mystischen wie malerischen Ort: ins nur sechs Kilometer entfernte Burgdorf Flavigny-sur-Ozerain. Als in der Mitte des 9. Jahrhunderts Wikingerüberfälle immer häufiger wurden, brachte man um 866 oder 874 die Reliquien der heiligen Regina aus Alise ins hoch gelegene Flavigny. 

Karolingische Krypta der ehemaligen Abtei Saint-Pierre am 29. März 2025 in Flavigny-sur-Ozerain, Frankreich / © Alexander Brüggemann (KNA)
Karolingische Krypta der ehemaligen Abtei Saint-Pierre am 29. März 2025 in Flavigny-sur-Ozerain, Frankreich / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Die dortige Benediktiner-Abtei Saint-Pierre errichtete dafür eine karolingische Krypta aus ebenjener Epoche, die man heute kostenlos besichtigen kann. Sie wurde erst 1956 von einem jungen US-amerikanischen Kunsthistoriker wiederentdeckt.

Mit Recht trägt der 270-Einwohner-Ort das Label als eines der schönsten Dörfer Frankreichs ("plus beaux villages de France"). Im Mittelalter war Flavigny sehr wohlhabend, hatte es doch nicht nur die Regina-Reliquien als Attraktion; es lag zudem auf dem Jakobsweg über Vézelay ins spanische Santiago de Compostela. 

Auf dem Gelände der einstigen Abtei befindet sich heute eine Manufaktur, in der die berühmten Bonbons "Anis de Flavigny" hergestellt werden.

Filmkulisse für "Chocolat"

Neben der karolingischen Krypta ist auch das liebevoll gestaltete Bonbon-Museum unbedingt einen Besuch wert. Das bis heute verwendete Herstellungsverfahren ist aufwendig: Jedes Bonbon hat einen Kern aus echtem Anis, der in einer Trommel gedreht wird. Unter starker Luftzufuhr wächst über Stunden Bonbonmasse um das Anis, wie Schneeflocken. 

Ausstellung von Bonbons mit Anisgeschmack am 29. März 2025 im Bonbon-Museum von Flavigny-sur-Ozerain, Frankreich / © Alexander Brüggemann (KNA)
Ausstellung von Bonbons mit Anisgeschmack am 29. März 2025 im Bonbon-Museum von Flavigny-sur-Ozerain, Frankreich / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Und damit noch nicht genug Süßigkeit im Dorf: Flavigny diente 1999/2000 auch als Kulisse für den oscarnominierten Film "Chocolat" mit Juliette Binoche und Johnny Depp.

Die Reliquien der heiligen Regina sind bis heute in Flavigny verblieben. Nur einmal pro Jahr, im Spätsommer, kehren sie kurz in ihren Geburtsort Alise zurück, wo man Anfang September das Fest der "Sainte-Reine" feiert. - Und dann, ja dann, wissen die Gallier plötzlich, wo Alesia liegt...

Quelle:
KNA