Was bedeutet das Karlsruher Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht?

"Selbstbestimmungsrecht wird gestärkt"

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen mit Blick auf das Arbeitsrecht bestätigt. Antonius Hamers begrüßt den Schritt und erklärt die Rolle der Konfession bei der Arbeit in der Kirche.

Autor/in:
Johannes Schröer
Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck (dpa)
Bundesverfassungsgericht / © Uli Deck ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie sind diese Schlagzeilen einzuschätzen – "Kein Job für Konfessionslose in der Kirche" – es gibt ja viele Konfessionslose, die in der Kirche arbeiten? 

Domkapitular Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros in Nordrhein-Westfalen): Es ist richtig, dass es viele Konfessionslose gibt, die in der Kirche arbeiten, oder auch Menschen anderer Religionen, also sprich Protestanten oder Muslime. Das kommt auch darauf an, welche Aufgabe sie übernehmen. Ohne Konfessionslose und ohne Protestanten und ohne Menschen anderer Religionen könnten wir viele unserer Einrichtungen gar nicht mehr aufrechterhalten. 

Antonius Hamers / © Nicole Cronauge (Katholisches Büro NRW)

Die Frage ist, für welche konkrete Stelle die Leute eingestellt werden. Das macht den Unterschied. Wenn ich zum Beispiel jemanden im katechetischen Bereich oder im Bereich der Liturgie einstelle, dann liegt es nahe, dass derjenige auch katholisch sein sollte und eben nicht konfessionslos. Dieser Unterschied ist es, der zu beachten ist. 

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche sagt: "Wo die Bedeutung der Religion für die Tätigkeit einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers plausibel dargelegt wird, kann die Kirchenmitgliedschaft weiterhin Bedingung einer Beschäftigung sein." Die Frage ist aber, wer entscheidet, ob die Bedeutung der Religion für die Tätigkeit wichtig ist? 

Hamers: Das ist zunächst einmal in der Hoheit der Kirche, darüber zu entscheiden. Das Besondere und das Wichtige an diesem Urteil ist, dass es das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Kirche noch einmal hervorgehoben hat. 

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder der Religionsgemeinschaften heißt, dass die Kirchen und die Religionsgemeinschaften ihren inneren Bereich, also ihre eigene Verwaltung und damit auch ihre Arbeitsverwaltung, selber gestalten können und selber Kriterien dafür anlegen können. Diese Kriterien sind aber nicht willkürlich. Sie müssen sich selbstverständlich mit dem Rechtssystem in der Bundesrepublik messen lassen. Und sie müssen abgewogen werden. 

Auf der einen Seite steht das Recht der katholischen Kirche oder überhaupt der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ihr Inneres selbst zu organisieren und selbst darüber zu entscheiden, wer für uns arbeitet und welche Kriterien wir anlegen. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die einzelnen Personen, die bei uns arbeiten wollen, selbstverständlich auch Grundrechte haben, die zu berücksichtigen sind. Das ist miteinander ins Verhältnis zu bringen. 

Antonius Hamers

"Wenn es um die Liturgie oder um die Katechese geht, (...) dann können wir selbstverständlich Wert darauf legen, dass jemand zur Kirche gehört und katholisch ist."

DOMRADIO.DE: Nun haben die Kirchen ihr Arbeitsrecht – die katholische Kirche im November 2022 – schon weitgehend geändert. Es besteht also bei Einstellungsverfahren gar kein Handlungsbedarf, oder? 

Hamers: Die katholische Kirche und auch die evangelische Kirche haben ihr Arbeitsrecht geändert und noch einmal deutlich gemacht, dass selbstverständlich auch konfessionslose Menschen bei uns arbeiten können, dass wir aber zugleich die Möglichkeit haben, für bestimmte Bereiche, für bestimmte Arbeitsstellen oder für bestimmte Dienste selber entscheiden zu können, ob eine Religionszugehörigkeit eine Rolle spielt oder nicht. 

Wenn es zum Beispiel um die Liturgie, also den Gottesdienst, oder wenn es um die Katechese geht, wenn es um den Religionsunterricht geht, dann können wir selbstverständlich Wert darauf legen, dass jemand zur Kirche gehört und katholisch ist.

Religionsunterricht ist aktueller denn je, findet Pädagoge Magnus Osterkamp / © Davizro Photography (shutterstock)
Religionsunterricht ist aktueller denn je, findet Pädagoge Magnus Osterkamp / © Davizro Photography ( shutterstock )

Aber in anderen Bereichen, wo die Religion selbst nicht die erste Rolle spielt, sei es im technischen Bereich, sei es im verwaltenden Bereich, da muss durchaus geschaut werden, ob nicht auch konfessionslose Menschen oder Menschen einer anderen Religion bei uns arbeiten können. Das muss miteinander abgewogen werden und das ist nach dem neuen Dienstrecht der katholischen Kirche genauso vorgesehen. 

DOMRADIO.DE: Es ist aber auch irgendwo verständlich, denn es wird sich ja kaum jemand für Glaubensunterweisung und Katechese bewerben, der aus der Kirche ausgetreten ist. Das macht ja auch gar keinen Sinn. 

Hamers: Aus unserer Sicht macht das keinen Sinn. Es könnte aber sein, dass Menschen das anders sehen. Deswegen ist es gut und richtig, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt noch einmal bestätigt hat, dass unser Selbstbestimmungsrecht und unser Selbstverwaltungsrecht hier eine wichtige Rolle spielen und dass das nicht obsolet ist, sondern ein wichtiges Grundrecht von uns als Religionsgemeinschaften ist und zu beachten ist. 

Antonius Hamers

"Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Entscheidung mit der Religionsfreiheit, die in Artikel 4 des Grundgesetzes festgelegt ist."

DOMRADIO.DE: Wie hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung, die dem Bundesarbeitsgericht widerspricht, begründet? 

Hamers: Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Entscheidung mit der Religionsfreiheit, die in Artikel 4 des Grundgesetzes festgelegt ist. Die Religionsfreiheit bezieht sich auf den Einzelnen, der seine Religion frei ausüben darf und frei wählen darf, aber auch auf die Gemeinschaft, also auch auf die Kirche. Die Gemeinschaft der Gläubigen, die Kirche, hat Teil an der Religionsfreiheit, und darf also selber ihre Religion nicht nur wählen, sondern vor allem auch ausüben. 

Das Besondere an unserer Verfassung ist, dass es zusätzlich bzw. innerhalb dieser Religionsfreiheit noch das Selbstbestimmungsrecht der katholischen Kirche bzw. der Religionsgemeinschaften gibt. Die Religionsgemeinschaften können alles das, was sie im Inneren angeht, ihre Organisation, ihre Verwaltung, selber gestalten. Da haben sie einen großen Gestaltungsfreiraum und Spielraum. Das ist in unserer Verfassung grundgelegt. 

Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt nochmal deutlich gesagt, dass dieses Selbstbestimmungsrecht der Kirchen weiterhin ein wichtiger Bestandteil bleibt und hat das nochmal unterstrichen. Dem Bundesarbeitsgericht hat es übrigens lediglich aufgegeben, dieses Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in der Entscheidung gebührend zu berücksichtigen. 

Und das wird jetzt die Aufgabe des Bundesarbeitsgerichtes sein, noch einmal in diesem Fall nachzugucken und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen mit dem individuellen Recht dieser Arbeitnehmerin oder dieser Frau, die sich da beworben hat, ins Verhältnis zu bringen und abzuwägen. 

Antonius Hamers

"Alle unsere Einrichtungen unterhalten wir, weil wir darin auch das Evangelium verkünden und leben wollen."

DOMRADIO.DE: Begrüßen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts? 

Hamers: Ich begrüße das sehr, weil es einerseits oder weil es zum ersten dieses Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften deutlich herausstellt und stärkt und weil es zweitens im Grunde genau dem Recht gibt, was wir schon vorher gemacht haben, nämlich ein abgestuftes System zu schaffen in unserem Arbeitsrecht, wo wir genau schauen, bei wem wir dringend eine Konfessionszugehörigkeit haben müssen und bei wem nicht. 

Ich meine, eines ist ganz klar: Alle unsere Einrichtungen unterhalten wir, weil wir darin auch das Evangelium verkünden und leben wollen. Wir brauchen dafür natürlich auch identifizierte Menschen in all unseren Einrichtungen. Wenn nicht mehr deutlich wird, dass diese Einrichtungen katholische Einrichtungen sind, dass es Einrichtungen sind, in denen das Evangelium verkündet und gelebt wird, dann brauchen wir als Kirche diese Einrichtung nicht mehr. Wir müssen unser Proprium deutlich machen können.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!