Volksabstimmung in Irland scheitert - Europa-Politiker im domradio

"Damit musste man rechnen"

Ausgerechnet das verhältnismäßig kleine Irland scheint zum Stolperstein für die gesamte EU zu werden: Irlands Wähler haben den EU-Reformvertrag offensichtlich mehrheitlich abgelehnt. Justizminister Dermot Ahern räumte in einem TV-Interview ein, dass das Referendum gescheitert sei. Von einer Krise will der Europa-Abgeordnete der CDU Dr. Peter Liese nicht sprechen. Im domradio-Interview bedauert er die Entscheidung dennoch und sagt: "Damit musste man rechnen."

 (DR)

Hören Sie hier Peter Liese im domradio-Interview.

EKD-Bevollmächtigter bedauert Nein
Mit Bedauern hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf das Nein der Iren zum europäischen Reformvertrag reagiert. Das sich abzeichnende eindeutige Abstimmungsergebnis sei ein «empfindlicher Rückschlag für alle, die die EU bürgernäher, demokratischer und handlungsfähiger machen wollen», sagte der EKD-Bevollmächtige, Prälat Stephan Reimers, am Freitag dem epd. Dazu gehöre auch die evangelische Kirche.

Reimers sprach sich für eine Fortsetzung des Ratifikationsprozess aus. Dies sei wichtig, damit die EU an dieser Krise nicht zerbreche. Immerhin hätten schon 18 der 27 EU-Staaten Ja zur Reform gesagt. «Zu dem Reformvertrag gibt es meines Erachtens derzeit keine Alternative», sagte Reimers.

Die enormen Anstrengungen von Politik und Mitgliedstaaten, die EU nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden wieder auf Kurs zu bringen, seien damit vorerst gescheitert. Dabei habe gerade das irische Volk besonders von dem EU-Beitritt profitiert, erinnerte der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union.

Der Ausgang des Referendums in Irland macht Reimers zufolge aber auch in «erschreckender Weise» deutlich, wie sehr das Projekt der europäischen Einigung inzwischen von der Bevölkerung vielfach als elitär und abgehoben empfunden werde. Die Kommunikation der EU mit dem Bürger sei offensichtlich immer noch nicht ausreichend. Hier seien die EU-Institutionen gefragt, mehr Erklärungsarbeit zu leisten. Denn gerade aufgrund dieses offenkundigen Informationsdefizits falle es «Demagogen» leicht, mit falschen Informationen die Vorurteile gegen die Brüsseler Politik zu schüren.

domradio sprach vor dem Referendum mit Matthias Chardon, dem Leiter der Abteilung Europa beim Zentrum für angewandte Politikforschung CAP, über mögliche Konsequenzen.

domradio: Irland geht es gut, hat Wirtschaftswachstum wie kaum ein anderes Land - warum also diese Skepsis?

Matthias Chardon: Dafür gibt es mehrere Gründe, das hat zu tun mit gewissen Traditionen in Irland. Als Erstes wäre da die außenpolitische Neutralität Irlands zu nennen. Irland ist kein Mitglied der NATO. Und die Iren befürchten, dass durch den Vertrag von Lissabon diese Neutralität gefährdet ist, weil es eine Bestimmung gibt, die besagt, man müsse zu einander einstehen; also, dass quasi Verpflichtungen entstehen, die Irland eigentlich gar nicht einnehmen will. Ein zweiter Grund, der sicherlich eine Rolle spielt, sind die christlichen Grundwerte. Der Vertrag hat bestimmte Punkte zur Forschungspolitik. Da gibt es jetzt die Angst, dass die Embryonenforschung zum Beispiel ermöglicht würde, oder dass die Abtreibung, die in Irland immer noch nicht erlaubt ist, durch diesen Vertrag quasi möglich würde. Und ein dritter - großer - Grund, denke ich, ist die Angst vor einer europäischen Steuerharmonisierung, die durch den Vertrag ermöglicht würde. Irland hat sehr geringe Unternehmenssteuern und profitiert davon stark. Und da ist jetzt natürlich die Angst da, dass Irland gezwungen würde diese Steuern anzuheben.

domradio: Der EU-Reformvertrag ist, vereinfacht ausgedrückt, die abgespeckte Version der EU-Verfassung, die ja schon gescheitert ist. Sie haben jetzt schon einige Punkte genannt, die die Iren skeptisch machen, aber trotzdem: Sie haben ja wirklich von der EU wirklich profitiert - oder nicht?

Matthias Chardon: Sie haben ganz stark von der EU profitiert. Als Irland Mitglied der Europäischen Union wurde, lag der Wohlstand in Irland weit unter dem EU-Durchschnitt. Und mittlerweile ist zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt Irlands pro Kopf das zweithöchste in Europa. Von daher besteht eigentlich kein Grund, mit Europa zu hadern. Im Gegenteil! Was aber natürlich ein Punkt ist: Der wirtschaftliche Aufschwung, den Irland in den letzten Jahren erlebt hat, kommt langsam zum Erliegen. Und die Angst vor der wirtschaftlichen Rezession schafft natürlich zusätzlich eine gewisse Stimmung der Unzufriedenheit und die äußert sich jetzt eben auch gegenüber dem Vertrag von Lissabon.

domradio: Bis jetzt galten die Iren als Mustereuropäer - was passiert eigentlich, wenn sie mit Nein stimmen?

Matthias Chardon: Ich kenne zwar die maßgeblichen Akteure nicht persönlich in Brüssel, aber ich glaube, nicht dass es einen alternativen Plan gibt. Das würde also bedeuten, wenn Irland Nein sagt, dass dann eine fundamentale Krise der EU entsteht. Die Verfassung ist bereits gescheitert, das ist jetzt der zweite Anlauf. Wir können eigentlich keinen dritten Anlauf mehr nehmen. Und wenn wir uns dann überlegen, welche Optionen es gibt, wie Europa weitermachen kann, dann sind alle denkbaren Optionen entweder unrealistisch oder unbefriedigend. Denn entweder der Vertrag wird den Iren ein zweites Mal vorgelegt, das ist bei dem Vertrag von Nizza auch passiert. Oder aber er wird unverändert vorgelegt. Aber warum sollten sie dann Ja sagen. Wenn man diesen Vertrag ändert, damit die Iren Ja sagen, dann muss der ganze Ratifikationsprozess in der Europäischen Union ein weiteres Mal vorangehen, Dann müssen wieder alle 27 Länder Ja sagen. Auch das ist nicht befriedigend. Man könnte Irland dazu drängen, aus der EU auszutreten. Ausgerechnet die zwingen auszutreten, ist nicht realistisch. Also wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass der Ratifikationsprozess gestoppt wird, man bleibt bei den Regeln und versucht, ein paar kleine Details. Alle Optionen sind unbefriedigend und deshalb kann man nur hoffen, dass Irland Ja sagt heute!