Krisentreffen nach dem gescheiterten Referendum in Irland

Wie geht es weiter mit der EU?

Nach dem Nein der Iren zum Reformvertrag zeichnet sich keine schnelle Lösung ab. Europa streitet über den weiteren Weg zur Integration. Während mehrere EU-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, bei einem Treffen der Außenminister am Montag eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses zum EU-Reformvertrag anmahnten, sprach sich die slowenische EU-Ratspräsidentschaft für eine Denkpause aus. Irlands Außenminister Micheal Martin sagte, noch sei es zu früh, einen Vorschlag zum Ausweg aus der neuen Verfassungskrise vorzulegen. Dr. Peter R. Weilemann von der Konrad Adenauerstiftung in Brüssel betonte im domradio-Interview, es sei jetzt entscheidend, dass alle anderen 26 Ländern den Vertrag ratifizierten, dann sei Irland wieder am Zug.

 (DR)

Der slowenische Außenminister und amtierende EU-Ratspräsident Dimitrij Rupel rief die EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, die nach dem irischen Referendum entstandene Situation «sorgfältig zu analysieren». Zum deutsch-französischen Vorstoß der weiteren Ratifizierung sagte er: «Angesichts der Blockade wäre es riskant zu sagen, wir beleben den Vertrag.» Ob dies möglich sei, müsse man in den kommenden Tagen sehen.

Am Donnerstag kommen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu ihrem regulären Sommergipfel zusammen. Dabei wird eine Vorlage des irischen Premiers Brian Cowen erwartet, wie die neue Verfassungskrise in Europa überwunden werden kann. Mittlerweile wird in Irland sogar eine neuerliche Volksabstimmung nicht mehr ausgeschlossen, sollten sich Bestandteile des Reformvertrages ändern. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm betonte, Gespräche mit Irland seien «alternativlos».

Auch der Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), schätzt, dass die Sorgen der Iren durch eine «Begleiterklärung aus Brüssel» gemindert und durch eine Klarstellung zum Vertrag auch beseitigt werden könnten.

Konkrete Vorschläge kommen aus Luxenburg. Mamm könne Irland etwa in der Abtreibungsfrage Garantien für den Bestand seiner Rechtslage zu geben. Möglich sei etwa eine Erklärung, «dass sich die Europäische Union beim Thema Abtreibung nicht einmischt», sagte Asselborn vor dem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg im Deutschlandfunk (DLF). Die Erklärung könne weiter umfassen, dass die Neutralität Irlands respektiert werde und dass bei Steuerentscheidungen der EU die Einstimmigkeit bestehen bleibe. Das seien sehr sensible Fragen, die die irische Bevölkerung sehr bewegten.

Eine Lösung ohne Irland?
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) indes sieht nach den Worten eines Sprechers einen vorübergehenden Ausstieg Irlands aus dem EU-Reformprozess durchaus als Alternative an. Dies sei kein Vorschlag, sondern die Beschreibung einer «Option», wie sie sich möglicherweise ergeben könnte, hob Außenamtssprecher Martin Jäger hervor.

Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten findet in Deutschland viele Befürworter. Das irische Votum dürfe die EU nicht aufhalten, mahnte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Zwar sollten die notwendigen Reformen der EU «möglichst gemeinsam» erreicht werden. Wenn diese jedoch unmöglich sein sollte, seien auch andere Modelle «zulässig und sinnvoll». Der Grünen-Europapolitiker Cem Özdemir sah ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten bereits gekommen. Es entspreche nach dem irischen Nein zum Reformvertrag zwar nicht seinem Wunsch, dennoch müsse es möglich sein, dass einzelne Länder vorangehen, sagte er den "Ruhr Nachrichten".

Ein Kerneuropa könne, wie ein "Magnetkern", anziehende Wirkung auf die anderen haben, beschreibt auch der CDU-Politiker Gunther Krichbaum die Idee. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, sprach sich gegen Sonderkonditionen für Irland aus. Die «Zeit der politischen Rabatte» sei vorbei und Europa sei kein «Basar», betonte er.

EU-Industriekommissar und Vizekommissionschef Günter Verheugen (SPD) gab zu bedenken, dass ein Vertrag, bei dem Irland ausgenommen würde, keine Lösung wäre. Dies wäre nicht nur juristisch sehr schwierig, sondern "auch politisch fast unmöglich". Es gebe keine andere Möglichkeit, als gemeinsam einen Ausweg zu finden.

Wie stehen die Iren zu Europa?
Die Regierung in Dublin lehnt den Vorschlag eines Kerneuropas erwartungsgemäß ab, "Das Nein zum Lissaboner Vertrag war nicht gleichbedeutend mit einem Nein zu Europa", sagte der Sprecher des irischen Europaministers Dick Roche der "Berliner Zeitung". Er betonte: "Die Iren sind nicht anti-europäisch. Wir wollen nicht als Euroskeptiker gelten wie die Briten."

Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht die Iren nicht als Gegner der EU. Schäuble riet dazu, das irische Nein nicht überzubewerten: "Zu sagen, das Volk ist gegen die europäische Einigung, ist Unsinn." Er rief die Gemeinschaft zu mehr Transparenz bei ihren Entscheidungen auf. Als Weg für mehr Bürgernähe nannte er die Direktwahl des künftigen Ratspräsidenten.

Fehlt Europa die Leidenschaft?
Der Europaabgeordnete der Grünen, Cem Özdemir, mahnte als Konsequenz aus dem Referendum mehr Demokratie an. "Wir brauchen europaweite Referenden über europaweite Fragen." Es fehle derzeit jedoch an überzeugenden Europäern an der Spitze des Bündnisses, die die europäische Idee mit Leidenschaft verkörpern. "Die EU hat ihre Mitte verloren", sagte Özdemir.

Mehr Demokratie, diesen Ruf hört man jetzt wieder allerorten. Die Idee von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), eine Direktwahl des EU-Ratspräsidenten einzuführen aber, wird von Europapolitikern zurückgewiesen.    Dieser Plan und der Ruf nach einer Neugründung der EU seien "Schnellschüsse", die das Vertrauen in die EU schwächen könnten, warnte der Europa-Staatsminister Günter Gloser (SPD).

EU abgehoben?
Mit Bedauern hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf das Nein der Iren zum europäischen Reformvertrag reagiert. Der EKD-Bevollmächtigte, Prälat Stephan Reimers sprach sich für eine Fortsetzung des Ratifikationsprozess aus. Dies sei wichtig, damit die EU an dieser Krise nicht zerbreche.

Der Ausgang des Referendums in Irland macht Reimers zufolge aber in "erschreckender Weise" deutlich, wie sehr das Projekt der europäischen Einigung von der Bevölkerung als elitär und abgehoben empfunden werde. Die Kommunikation der EU mit dem Bürger sei offensichtlich immer noch nicht ausreichend. Hier seien die EU-Institutionen gefragt, mehr Erklärungsarbeit zu leisten. Denn gerade aufgrund dieses offenkundigen Informationsdefizits falle es "Demagogen" leicht, mit falschen Informationen die Vorurteile gegen die Brüsseler Politik zu schüren.

Von einer Krise wollte der Europa-Abgeordnete der CDU, Dr. Peter Liese nach dem Referendum nicht sprechen. Im domradio-Interview bedauerte er die Entscheidung, doch "damit musste man rechnen", so Liese.