Viele Reformgruppen enttäuscht von Papst Leo XIV.

Bedeutung der Sexualmoral zu überhöht?

Wer von Papst Leo XIV. eine liberale Öffnung erwartet hatte, wird nun enttäuscht. Der Papst stellt in einem Interview die Weichen gegen Reformen. Zwischen Kontinuität, Kritik und vorsichtigem Lob ergibt sich ein differenziertes Bild.

Autor/in:
Benedikt Heider und Lisa Maria Plesker
Banner mit dem Logo der Organisation "Wir sind Kirche" / © Bert Bostelmann (KNA)
Banner mit dem Logo der Organisation "Wir sind Kirche" / © Bert Bostelmann ( KNA )

Fast wie ein Regierungsprogramm liest sich das am Donnerstag veröffentlichte Interview, das Papst Leo XIV. einer US-Journalistin gegeben hat. Dabei ließ er auch die heißen Eisen, die die katholische Kirche weltweit bewegen, wie Sexualität und die Rolle der Frau, nicht aus.

Das im Mai gewählte Oberhaupt der katholischen Kirche erklärte, dass es mit ihm keine Änderungen der kirchlichen Lehre zur Sexualmoral oder die Weihe von Frauen geben werde. Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare lehnt er ab; lediglich "nicht-ritualisierte" persönliche Segnungen hält er für möglich. Im Zentrum seiner Aussagen stand die "Stärkung der traditionellen Familie".

Regenbogenfahne in einer Kirche / © 	Robert Kiderle/ (KNA)
Regenbogenfahne in einer Kirche / © Robert Kiderle/ ( KNA )

Das erste große Interview des neuen Papstes stieß auf Kritik von Reformgruppen und liberalen Katholiken in Deutschland, die zuletzt beim Projekt "Synodaler Weg" genau an diesen Themen arbeiteten.

Enttäuscht zeigte sich vor allem die Bewegung "Wir sind Kirche". Sie warf dem neuen Papst vor, die traditionelle Familie zu verklären und die Bedeutung der Sexualmoral zu überhöhen. Das führe zu Ausgrenzung, auch wenn Papst Leo betone, die Kirche sei für alle offen.

Gemischte Reaktionen queerer Katholiken

Queere Katholiken in Deutschland reagierten mit Kritik. Ein Sprecher der Initiative "Out in Church" sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Sofern sich die katholische Sexuallehre nicht ändert, sind nicht heterosexuelle Menschen oder Menschen, die nicht dem binären Geschlechtermodell entsprechen, in dieser Kirche nicht willkommen." Zudem sei es falsch, wenn der Papst behaupte, Menschen hätten sich bewusst für ihre sexuelle Orientierung entschieden. Trotz Enttäuschung wolle man nicht aufgeben: "Wir werden die Kirche nicht den konservativen oder gar rückwärtsgewandten Kräften überlassen."

Während deutsche LGBTQ-Aktivisten enttäuscht sind, sieht der US-Jesuit James Martin auch positive Aspekte. Der weltweit vernetzte LGBTQ-Seelsorger hob hervor, dass Leo XIV. den Begriff "LGBTQ" überhaupt benutze, sei für Kirchenvertreter schon ein Fortschritt.

Auch fordere der Papst Respekt und Begegnung, was langfristig Veränderungen in der Kirche möglich machen könnte. So sieht Martin Leo XIV. in einer Linie mit seinem Vorgänger Franziskus. - Die englische Abkürzung LGBTQ steht vor allem für nicht-heterosexuelle Menschen, die sich etwa als lesbisch, schwul oder queer identifizieren.

Stefan Oster, Bischof von Passau / © Armin Weigel (dpa)
Stefan Oster, Bischof von Passau / © Armin Weigel ( dpa )

Auch der Passauer Bischof Stefan Oster sieht Leos Interview in Kontinuität zu Franziskus: "Ausnahmslos jeder Mensch ist geliebtes Kind Gottes - und es ist unsere Aufgabe, diese Botschaft auch im Umgang mit jedem Menschen deutlich zu machen", sagte Oster, der sich am Freitag als erster deutscher Bischof zu dem Interview äußerte. Und dass auch die Lehre zu Ehe und Familie gültig bleibe wie bisher, habe auch Franziskus mehr als einmal betont. Dasselbe gelte für die Frage nach der Zulassung zum Diakonen- und Priesteramt.

Rolle der Frau ändert sich nicht

Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) relativierte das Papst-Interview als "Moment-Aussage" und zeigte sich kämpferisch.

Ulrike Göken-Huismann / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ulrike Göken-Huismann / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Vize-Bundesvorsitzende Ulrike Göken-Huismann sagte: "Wir sind der festen Überzeugung, dass eine wirkliche Erneuerung der Kirche Jesu Christi nur gelingt, wenn Frauen alle Dienste und Ämter in der Kirche offenstehen." Daher werde die kfd in ihren Reformbestrebungen nicht nachlassen und fordere eine konsequente Umsetzung der Beschlüsse des Synodalen Weges.

Auch der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) setzt auf eine Fortsetzung des Reformprozesses. Viele Gläubige erwarteten, dass die Kirche Antworten auf Fragen nach Gleichberechtigung und Anerkennung von Vielfalt sowie Machtverteilung gebe, sagte der BDKJ-Bundesvorsitzende Volker Andres der KNA. Wenn diese Erwartungen nicht aufgenommen würden, wachse die Gefahr, "dass sich Menschen enttäuscht und entfremdet von der Kirche abwenden".

Keine Änderungen der Lehre

Nach Meinung des Münsteraner Kirchenrechtlers Thomas Schüller sind viele der Beschlüsse des Synodalen Weges nach den Aussagen des Papstes "Makulatur". Der KNA sagte Schüller, in Fragen wie Sexualmoral, Segnung homosexueller Paare oder der Weihe von Frauen werde es "keine signifikanten Änderungen der katholischen Lehre geben". Frauen hätten für ihn "nur den Platz, den ihnen Papst Leo als Platzanweiser und Mann zuweist". Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück sprach von einem "pontifikalen Reformdämpfer". Leo setze zwar die Willkommenskultur seines Vorgängers fort, ohne aber die kirchliche Lehre zu verändern.

Kein Alarmismus

Thomas Söding / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Söding / © Harald Oppitz ( KNA )

Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), rät nach dem weltweit debattierten ersten Papst-Interview von Alarmismus ab. "Auch unter Leo XIV. wird es Reformen geben", sagte er am Freitag. "Wenn es sie gibt, dann sind sie weniger disruptiv als bei Franziskus", so der Theologe. Das brauche nicht schlechter zu sein.

Die viel besprochenen Äußerungen des Papstes seien schlicht ein Interview: "Nicht mehr und nicht weniger. Unfehlbar ist es nicht. Wichtig ist es schon." Darin lege Leo XIV. einen Schwerpunkt auf die Politik: "Ethik mit Augenmaß, Vermittlung ohne falsche Neutralität, Frieden in Gerechtigkeit." Leo XIV. werde "in einer Welt zwischen Trump, Xi und Putin" gebraucht, sagte Söding.

Muss Kirche in Schwung bringen

Der Papst werde auch als jemand gebraucht, der die katholische Kirche in ein ruhiges Fahrwasser führe. Dabei erkenne er aktuell "sehr viel Vorsicht". Es brauche aber auch Mut und Zuversicht, so der Vizepräsident des höchsten repräsentativen Gremiums des deutschen Laien-Katholizismus. Aktuell sende der Papst offenbar lieber positive als negative Botschaften: "für die klassischen Familien, nicht gegen alternative Lebensformen; für ein neues Verhältnis von Hierarchie und Basis, weniger Kapitalismuskritik; mehr Plädoyer für eine soziale und nachhaltige Wirtschaft".

Leo XIV. sei als Mann des Ausgleichs zum Papst gewählt worden; doch auf Dauer reiche das nicht: "Für den Anfang sendet er die Botschaft aus, dass er die katholische Kirche zusammenhalten will. Das ist klassisch die Aufgabe des Papstes. Er darf aber die Reformkräfte nicht verlieren und muss jene in Schwung bringen, die auf überholten Überzeugungen beharren", erklärte Söding. Das sei ihm zuzutrauen - besonders beim Thema nachhaltige Synodalität.

Umsetzung der Weltsynode bis 2028

Die von Papst Franziskus begonnene Weltsynode der katholischen Kirche für mehr aktive Teilhabe der Gläubigen war mit einer Versammlung in Rom und mit einem Abschlussdokuments am 26. Oktober 2024 zu Ende gegangen. Die Umsetzungsphase soll nun in fünf Phasen ablaufen.

Synodenaula während der Weltsynode / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Synodenaula während der Weltsynode / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA