Verbände zeigen sich nach Tod der Kessler-Zwillinge besorgt

Kritik an romantisierenden Berichten

Der gemeinsame Tod der Kessler-Zwillinge hat eine Debatte über das Thema assistierter Suizid ausgelöst. Nicht nur der Deutsche Caritasverband befürchtet nach der breiten Berichterstattung über den Tod der Showstars negative Effekte.

Die Kessler Zwillinge, Alice und Ellen Kessler / © Felix Hörhager (dpa)
Die Kessler Zwillinge, Alice und Ellen Kessler / © Felix Hörhager ( dpa )

"Jedes Mal, wenn bekannte Personen sich das Leben nehmen und darüber breit in der Presse berichtet wird, gibt es einen messbaren Anstieg von Suiziden", sagte Caritaspräsidentin Eva Welskop-Deffaa am Mittwoch in Berlin.

Eva-Maria Welskop-Deffaa / © Gordon Welters (KNA)
Eva-Maria Welskop-Deffaa / © Gordon Welters ( KNA )

Sie kritisierte, über die Selbsttötung der Zwillinge sei vielfach sehr positiv und romantisierend berichtet worden. Dabei sei der Wunsch betont worden, "vereint" zu sterben, um nicht "ins Heim" zu müssen. "Inwieweit er als Ausdruck von Ausweglosigkeit und Verzweiflung zu werten ist, gegen die das soziale Umfeld hätte etwas tun können, wird kaum gefragt", so Welskop-Deffaa.

Sie rief die Medien zu zurückhaltender und verantwortungsvoller Berichterstattung über Suizide auf. Zugleich brauche es mehr Suizidprävention, ein Werbeverbot für Organisationen, die bei Selbsttötungen begleiten, sowie eine gesetzliche Regelung der Suizidbegleitung.

Mediziner: Zunahme assistierter Doppelsuizide

Ähnlich äußerte sich der Vorstand der Deutschen Palliativ-Stiftung, Thomas Sitte: "Die zunehmende Akzeptanz von Selbsttötungen wird insbesondere durch die Berichterstattung gefördert und gesellschaftlich anerkannt", sagte er am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Wir befinden uns hier schon längst auf einer sehr schiefen Ebene."

Die Kessler-Zwillinge November im Jahr 1986 bei einem Auftritt ARD-"Wunschkonzert / © Holger Hollemann (dpa)
Die Kessler-Zwillinge November im Jahr 1986 bei einem Auftritt ARD-"Wunschkonzert / © Holger Hollemann ( dpa )

Der Mediziner beobachtet eine Zunahme von assistierten Doppelsuiziden bei älteren (Ehe-)Paaren, mit der Begründung, eine Pflegesituation vermeiden zu wollen. In den Medien werde das häufig als "besonders liebevoll und schön" dargestellt.

"Dürfen niemanden hindern"

Der Stiftungsvorstand verwies auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der freiverantwortliche Sterbewunsch eines Menschen keinen nachvollziehbaren Grund brauche. "Wir dürfen dann einen Menschen nicht daran hindern. Das heißt aber auch nicht, dass wir den Wunsch unterstützen müssen oder sollten. Im Gegenteil", sagte Sitte.

Er sei überzeugt, dass inzwischen eine Mehrzahl der Deutschen sogar noch einen Schritt weitergehen wolle und eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen, also aktive Sterbehilfe, wünsche. "Das können wir gut finden oder auch nicht. Unsere Stiftung hält es für eine große Gefahr, die das gesellschaftliche Miteinander verändert."

Viele Unklarheiten

Auch die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht, Alexandra Linder, kritisierte eine "Quasi-Verherrlichung eines tragischen Todes" durch eine zu positive Berichterstattung. Sie stellte zudem das Vorgehen in Frage, ob ein Jurist ohne Fachausbildung den psychischen und physischen Zustand, die Vorgeschichte und die Autonomie von Personen, die er nicht kenne, bewerten könne. Außerdem sei unklar, ob es wirklich keine äußeren Einflüsse wie die Angst vor Einsamkeit oder Leiden auf die Entscheidung gegeben habe.

"In einem der wohlhabendsten Staaten der Welt muss niemand einsam, mit starken Schmerzen oder Leiden sterben, wenn der Wille dazu da ist", so Linder. Menschen in schweren Lebenslagen, die über Suizid nachdenken, diesem Schicksal zu überlassen und die Selbsttötungsabsicht zur Autonomie zu erklären, sei inhuman.

Pfarrer Schießler kritisiert Entscheidung der Kessler-Zwillinge

Der über die bayerische Landeshauptstadt hinaus bekannte Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler sieht im assistierten Suizid ohnehin einen bedenklichen Akt. "Ich glaube, da steckt schon, verzeihen Sie mir bitte diesen Ausdruck, ein gewisser Egoismus dahinter", sagte Schießler im Interview bei DOMRADIO.DE.

Verurteilen werde er weder die Kessler-Zwillinge noch andere, betonte der Geistliche. "Ich möchte als Gegengewicht meine Hoffnung auf die Antwort Gottes auf den Tod entgegensetzen." Hätte er von den Plänen gewusst, hätte er mit Nachdruck davon abgeraten. "Aber vor allem hätte ich dazu angeraten, in Dankbarkeit all das zu betrachten, was sie ein Leben lang erleben durften; und in Dankbarkeit etwas zurückzugeben, nämlich das eigene Leben." Dafür gebe es den Begriff der Resignation: "Ein Signum, das Abzeichen des Lebens, zurückgeben in die Hände des Schöpfers. Das dürfen sie auch hintereinander, das müssen sie gar nicht gemeinsam."

Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts

Vor fünf Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht das zeitweise geltende Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid für ungültig erklärt. Die Karlsruher Richter formulierten in ihrem Grundsatzurteil ein Recht auf Selbsttötung und ärztliche Begleitung beim Suizid, wenn sie freiverantwortlich geschehen. Seitdem gibt es keine gesetzlichen Regeln zu der Frage.

Das Verfassungsgericht stellte es dem Gesetzgeber frei, ein neues Gesetz zu erlassen oder darauf zu verzichten. Zwei Gesetzesinitiativen erhielten im Bundestag keine Mehrheit. Aktuell sind keine neuen Gesetzesvorhaben bekannt.

Ethikrat-Mitglied warnt vor Normalisierung des freie Suizids

Der Theologe und Ethiker Jochen Sautermeister warnt davor, die Berichterstattung über frei gewählte Suizide zu normalisieren. Dies sei bedenklich, weil so der assistierte Suizid als eine Handlungsoption neben anderen dargestellt werde, sagte Sautermeister, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. An diesem Tag wurde bekannt, dass die berühmten Zwillinge Alice und Ellen Kessler gestorben sind.

Alice (l) und Ellen Kessler / © Jörg Carstensen (dpa)
Alice (l) und Ellen Kessler / © Jörg Carstensen ( dpa )
Quelle:
KNA