DOMRADIO.DE: Das erste Heilige Jahr war im Jahr 1300, ausgerufen von Papst Bonifatius XIII. Wie hat man damals die Versorgung der Pilger organisiert? Wer hat sich darum gekümmert?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Über die Verköstigung im Heiligen Jahr 1300 wissen wir nicht allzu viel. Viele Pilger kamen spontan nach Rom. Und in den Quellen finden wir eigentlich keine genauen Angaben, wie man es gehandhabt hat. Das finden wir erst 50 Jahre später.

DOMRADIO.DE: Das war dann 1350. Hat die Versorgung denn immer geklappt in dem Jahr?
Nersinger: Nein, 1350 war sogar ein dramatisches Jahr mit entsprechenden Vorfällen. Der Papst war ja nicht mehr in Rom, sondern residierte in Avignon. Der Papst hatte für das Heilige Jahr zwei Kardinäle nach Rom geschickt, die sich um alles kümmern sollten, also auch um die Verpflegung.
Man sah sehr schnell, dass die Verpflegung ein Problem bereiten würde. Und dann hat einer der Kardinäle angeordnet, dass die auswärtigen Pilger von der Länge ihrer Pilgerfahrt befreit wurden, damit keine Essensknappheit in Rom entstand.
Das hat aber die meisten Römer nicht besonders gefreut, denn das hieß für sie, dass sie auch weniger verdienten. Es gab also einen großen Aufstand gegen die beiden Kardinäle, mit einem dramatischen, wirklich gefährlichen Zwischenfall. Als einer der Kardinäle einmal nach Sankt Paul vor den Mauern ritt, gab es ein Attentat auf ihn und ein Pfeil durchbohrte seinen roten Hut. Das führte dazu, dass der Kardinal dann beim nächsten Ausritt sich eine Rüstung zulegte und einen Helm trug. Und das nur wegen der Probleme mit der Verpflegung.
DOMRADIO.DE: Wir schauen mal weiter in der Geschichte. 1450 war auch ein Heiliges Jahr. Da war es auch nicht so einfach, oder?
Nersinger: Da war zunächst einmal die Pest, die auch das Heilige Jahr sehr bedrängte. Es gab noch dazu einen großen Zwischenfall auf einer der Tiberbrücken, wo der Andrang so groß war, dass viele Leute tot getrampelt wurden.
DOMRADIO.DE: Heute kennt man sogenannte Pilgerhospize. Inwiefern hat sich mit deren Gründung die Versorgung der Pilger verändert?
Nersinger: Wir hatten 1540 schon die großen Pilgerhospize. Initiator war zum Beispiel der heilige Philipp Neri gewesen, der ein riesiges Pilgerhospiz erbaut hatte. Die Unterkunft in diesem Hospiz und auch die Verköstigung waren gratis. Aber es gab natürlich einen so großen Andrang, dass man sogar Bettkarten verteilen musste. Man konnte also kaum noch der großen Menge gerecht werden. Aber es entstanden immer mehr Pilgerhospize im Laufe der Jahre, die sich um das leibliche Wohl der Pilger kümmerten.
DOMRADIO.DE: Und dann mischten bei der Versorgung irgendwann die Damen des römischen Adels mit. Wie muss man sich das denn vorstellen?
Nersinger: Der römische Adel, vor allem die Damen, haben sich sehr hilfsbereit gezeigt. Die waren dann bei der Verteilung der Essen anwesend, sie haben auch den Pilgern die Füße gewaschen. Manchmal waren auch Mitglieder des Kardinalskollegium und sogar der Papst zu diesen Diensten bereit. Also man hat sich wirklich um das leibliche Wohl der Pilger gekümmert. Über die Speisen wissen wir relativ wenig, aber es werden keine besonderen Speisen gewesen sein, aber natürlich sehr nahrhafte. Spezielle Pilgerspeisen haben wir eigentlich zu der Zeit noch nicht.
DOMRADIO.DE: Wie hat sich das dann mit der Versorgung der Pilger weiterentwickelt?
Nersinger: Es gab noch mal eine dramatische Situation. Das war das Jahr 1900. Es war nach dem Ende des alten Kirchenstaates, und der italienische Staat hatte viele Einrichtungen der Kirche enteignet. Das heißt, das große Pilgerhospiz des Philipp Neri gab es nicht mehr, denn fast alle Pilgerhospize waren beschlagnahmt worden. Im Vatikan war man sehr generös. Man hat den Vorgängerbau der Casa Santa Marta, wo heute der Heilige Vater lebt, für die Pilger geöffnet und auch die Verköstigung war dann im Vatikan. Zum Beispiel gibt es Berichte aus dem Cortile del Belvedere, einer der großen Höfe im Apostolischen Palast, dass es dort eine kostenlose Essensverteilung gab. Man sprach davon, dass pro Tag mindestens 1.500 Personen verköstigt wurden. Das ist doch eine große logistische Leistung.
DOMRADIO.DE: Wie ist das heute?
Nersinger: Heute haben wir natürlich ganz andere Verhältnisse. Heute braucht man eigentlich keine kostenlose Verköstigung mehr, weil die meisten Pilger organisiert sind und beispielsweise mit aus ihren Bistümern veranstalteten Pilgerfahrten kommen. Man hat aber heute für die Pilger, die auch mal außerhalb ihrer Pension oder ihrem Hotel essen wollen, in Rom den sogenannten Carbonara-Pakt geschlossen.
DOMRADIO.DE: Was beinhaltet der?
Nersinger: Konsumentenschützer haben eine Initiative eingeleitet, die besagt, dass keine Pasta Carbonara, kein ähnliches Pastagericht oder keine Pizza mehr als 12 Euro kosten solle. Und interessanterweise sind sehr viele Beköstigungsbetriebe darauf eingegangen und haben sich dieser Forderung, diesem "Carbonara-Pakt", mehr oder weniger angeschlossen. Das ist ein sinnvoller Schutz für die Pilger und für ihr Portemonnaie.
DOMRADIO.DE: Mal abgesehen von der Kulinarik hatten die Speisen während eines Heiligen Jahres auch eine spirituelle Bedeutung?
Nersinger: Wenn man bedenkt, dass die Ordenshäuser die Verköstigung gratis anboten, war das natürlich ein Beitrag der Caritas und hatte ein starkes soziales Moment, der zeigte, ihr seid nicht alleine, wir sind eine Gemeinschaft und hier gemeinsam auf dem Weg zu Gott. Das war schon wichtig.
Das Interview führte Carsten Döpp.