Theologe sieht Denken Benedikts protestantisch beeinflusst

An protestantischen Gelehrten abgearbeitet

Das theologische Denken des gestorbenen emeritierten Papstes Benedikts XVI. sieht der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf stark von protestantischen Religionswissenschaftlern geprägt gewesen. Wie belegt er seine These?

Papst Benedikt XVI. im Jahr 2010 (KNA)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2010 / ( KNA )

"Offenkundig waren sie für die Profilierung seines Denkens wichtiger als katholische Theologen", schreibt der evangelische Theologe in einem Gastbeitrag für die Freitagsausgabe der Tageszeitung "Welt" aus dem Verlagshaus Axel-Springer.

Benedikt "arbeitete sich an historisch-kritisch denkenden protestantischen Gelehrten ab, die er als intellektuell überlegen wahrnahm. Aber er wollte sie zugleich metakritisch überwinden."

Entscheidende Begriffe und Denkmuster aufgenommen

Schon die frühen Texte des Theologen Joseph Ratzinger zeigten, dass er neben den großen Kirchenvätern vor allem liberalprotestantische Theologen aus dem Deutschen Kaiserreich gelesen habe, so Graf. Dazu zählten Adolf von Harnack, Ernst Troeltsch sowie der Neutestamentler Rudolf Bultmann. Ratzinger habe von allen entscheidende Begriffe und Denkmuster aufgenommen.

Friedrich Wilhelm Graf / © epd
Friedrich Wilhelm Graf / © epd

Auch für seine Reden als Papst habe er sich dieser Begriffe bedient und sie umgedeutet, erklärt Graf.

In der vielbeachteten Freiburger Rede aus dem Jahr 2011 entlehnte Benedikt XVI. etwa den Begriff der "Entweltlichung" von Bultmann und deutete sie auf sein zentrales Kirchenverständnis um, "das auf die starke Entgegensetzung von Kirche und Welt fokussiert ist", wie Graf schreibt. Auf dieser Basis habe der Papst eine neue "Entweltlichung" der Kirche gefordert.

Die wichtigsten Leitlinien des Denkens von Joseph Ratzinger

Benedikt XVI. war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig sein Amt abgab. Dabei berief er sich auf sein Gewissen - obwohl er dieser Instanz stets misstraute und theologisch ganz andere Schwerpunkte setzte. Wie wohl kein Papst vor ihm ist Benedikt XVI. auch auf dem Stuhl Petri ein Theologe geblieben.

Bereits als junger Wissenschaftler gehörte er zu den führenden deutschen Dogmatik-Professoren, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) prägten. Später entfremdete er sich immer mehr von seinen Kollegen.

Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )