Dogmatiker warnt vor Benedikt XVI. als Kirchenlehrer

Die "Arbeit am Mythos"

Benedikt XVI. als Kirchenlehrer oder gar als Heiliger? Die Forderung danach kam zuletzt oft auf. Der Dogmatiker Oliver Wintzek hält von beidem nichts. Er warnt vor übereilten Schritten und sähe andere viel eher als Vorbilder.

Papst Benedikt XVI. erhebt die Hand am 11. Oktober 2012 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Benedikt XVI. erhebt die Hand am 11. Oktober 2012 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Heiliges Leben, richtiger Glaube und eine herausragende Lehre sind die Kriterien für Kirchenlehrer. Sehen Sie diese Kriterien bei Benedikt XVI. erfüllt?

Prof. Oliver Wintzek (Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz): Ich bin insgesamt etwas zurückhaltend. Nach dem Tod einer bedeutenden Persönlichkeit, und das war Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zweifelsohne, beginnt beziehungsweise hat längst das begonnen, was ich die "Arbeit am Mythos" nennen möchte oder den Streit um die Deutungshoheit. In diesem Felde ist nun auch anzusiedeln, dass gefordert wird, er möge zum Kirchenlehrer erklärt werden. Es ist sozusagen eine Art theologische Heiligsprechung.

Prof. Dr. Oliver Wintzek (privat)
Prof. Dr. Oliver Wintzek / ( privat )

Zurückhaltend bin ich nicht deswegen, weil seine Theologie unbedeutend wäre. Aber sie würde natürlich durch dieses Etikett Kirchenlehrer ein besonderes normatives Gütesiegel bekommen. Das müsste auszudiskutieren sein, ob das angängig ist.

Dass sich Ratzinger als Lehrer verstanden hat, sei es als Professor oder dann als wirkmächtiges Organ des römischen Lehramtes, steht außer Frage. Aber würde man ihn als Kirchenlehrer offiziell betiteln, würde eben auch das Gelehrte mit dem entsprechenden Gütesiegel normativer Art versehen werden. Hier wäre ich zurückhaltend.

DOMRADIO.DE: Ihr Kollege Prof. Michael Seewald aus Münster hat in eine ähnliche Richtung argumentiert. Er hat gesagt, Benedikt XVI. bzw. Joseph Ratzinger sei sicher ein wichtiger Theologe gewesen, aber sein Umfeld bastele gerade an einer "Sicht Benedikts als eines böswillig missverstandenen Kirchenlehrers, der den Stürmen der Zeit getrotzt hat." Jetzt könnte man aber auch sagen, dass es nach dem Tod eines Menschen erst mal nicht verwunderlich ist, dass seine positiven Seiten gewürdigt werden. Wie würden Sie das sehen?

Wintzek: Sicherlich, man sagt ja auch über die Toten zunächst nur Gutes. Das ist, glaube ich, auch ein Gebot der Sitte und des Anstandes. Ich meine aber nicht, dass Ratzinger missverstanden wurde. Man muss, glaube ich, unterscheiden.

Ich bin ihm mehrfach persönlich begegnet. Auf der einen Seite ist er vom Auftreten her gewinnend, sehr freundlich, sehr herzlich, immer fast schon etwas schüchtern. Also sozusagen "suaviter in modo, fortiter in re" ["Sanft in der Art, entschlossen in der Sache", Anm. d. Red.]: Wenn es um die Sache geht, sehr hart.

Oliver Wintzek, Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz

"Ich meine nicht, dass Ratzinger missverstanden wurde"

Die Liste der gemaßregelten Theolog*innen in seiner Amtszeit spricht hier auch Bände. Dass er gegen die Moderne opponierte, mit ihr immer fremdelte, dass er eine Entweltlichung von dieser Gegenwart verfocht, stimmt. Somit hat seine ganze Theologie irgendwie die Aura, dass sie aus der Zeit und damit auch aus der Welt gefallen ist.

Insofern ist er nicht missverständlich. Kritik konnte er nicht gut vertragen. Und wenn man in einer entsprechenden Machtposition bist, wie er es war, ist natürlich der oder diejenige, der oder die ihn kritisiert, in einer unterlegenen Position, was etliche zu spüren bekommen haben.

Kirchenlehrer

Kirchenlehrer sind seit einer Festlegung von Papst Benedikt XIV. von der Kirche offiziell ernannte Personen, die sich durch die Heiligkeit ihres Lebens, einen richtigen Glauben und eine herausregende Lehre auszeichnen. In der Liturgie sind sie herausgehoben, in theologischen Beweisgängen werden sie oft herausgestellt.

Zu ihnen zählen Augustinus, Ambrosius, Gregor der Große und Hieronymus, aber auch Thomas von Aquin und viele Päpste, insgesamt über 30 Personen.

Statue der Heiligen Katharina von Siena  (shutterstock)
Statue der Heiligen Katharina von Siena / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Welche Konsequenzen hätte es also, wenn man ihn zum Kirchenlehrer erheben würde, sowohl für seine wissenschaftlichen Leistungen als auch für die Kritik an ihm?

Wintzek: Man würde ihn damit eigentlich der Kritik entheben wollen. Ich sprach davon, "Kirchenlehrer" ist so etwas wie eine theologische Heiligsprechung und damit würde er sozusagen in einer Art und Weise als sakrosankt gelten sollen, sowohl was sein OEuvre [Gesamtwerk, Anm. d. Red] als auch was die Person selbst angeht. Hier würde ich doch zu Zurückhaltung mahnen.

Die Kirche hat in ihrer Weisheit bisher, namentlich etwa auch bei Heiligsprechungen, aber auch bei der Erklärung zum Kirchenlehrer, zur Kirchenlehrerin erstmal ordentlich Zeit verstreichen lassen, ordentlich Wasser den Rhein runter fließen lassen, damit man mit etwas unaufgeregtem, entsprechend großen zeitlichen Abstand noch einmal genau hinschauen kann.

Welche Wirkungen sind hier wirklich zu verzeichnen? Sind sie gut, sind sie schlecht? Auch die ganze Problematik, die ja unlängst hinsichtlich seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen aufploppt. All das braucht Zeit. Insofern würde ich hier vor einem allzu schnellen Nach-vorne-Galoppieren warnen.

DOMRADIO.DE: Auch Papst Johannes Paul II. war mal als Kirchenlehrer im Gespräch. Es gab einen entsprechenden Antrag der Polnischen Bischofskonferenz, der wurde aber vom vatikanischen Staatssekretariat abgelehnt. Inwiefern ist denn so eine Diskussion auch ein Politikum?

Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger (KNA)
Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger / ( KNA )

Wintzek: Ich würde sagen, es ist immer ein Politikum, gerade auch wenn es um solche bedeutenden Persönlichkeiten geht, wie sie Joseph Ratzinger und Karol Wojtyla zweifelsohne waren. Wenn ich recht im Bilde bin, gibt es auch ein geordnetes Verfahren, wenn es um die Frage geht, ob jemand Kirchenlehrer*in werden soll oder nicht. Dieses Verfahren, ich deutete es an, braucht seine Zeit.

Wenn Sie mich persönlich fragen, dann ist Ratzinger, was die Theologie angeht, Johannes Paul II. sicherlich überlegen, was indes noch kein hinreichendes Kriterium ist, dass er dieses Gütesiegel erhalten sollte.

Wenn wir uns die Liste der Kirchenlehrer*innen angucken, sind das ja ganz unterschiedliche Typen und meistens auch Gestalten einer ferneren Vergangenheit.

Auch hier dürfte sich die Frage stellen, ob deren theologisches Wirken dergestalt ist, dass es für die Gegenwart taugt. Also ob es nicht nur ein Museum des Vergangenen formuliert, sondern ich würde sagen, es muss bei der Theologie um eine Arena für das Zukünftige gehen. Hier hätte ich große Anfragen an die Theologie von Joseph Ratzinger.

Teilnehmer halten ein großes Banner mit der Aufschrift in roten Lettern Santo Subito (dt. rasche Selig- und Heiligsprechung) beim Requiem für Benedikt XVI. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Teilnehmer halten ein großes Banner mit der Aufschrift in roten Lettern Santo Subito (dt. rasche Selig- und Heiligsprechung) beim Requiem für Benedikt XVI. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Neben der Diskussion um Benedikt XVI. als Kirchenlehrer gab es in den letzten Tagen auch immer wieder Stimmen, die ein "Santo subito" fordern. Erzbischof Gänswein hat sich zum Beispiel dafür ausgesprochen, und auch beim Requiem auf dem Petersplatz wurden solche Rufe laut. Es gab sogar dementsprechende Banner. Dass Päpste im Schnellverfahren ihre Vorgänger selig- oder heiligsprechen, hat in den letzten Jahren aber auch für Kritik gesorgt. Meinen Sie, dass es bei Benedikt XVI. auch in Richtung Selig- oder Heiligsprechung gehen wird?

Wintzek: Das will ich zunächst nicht hoffen. Ich halte diese inflationäre Selig- und Heiligsprechungen von Päpsten der jüngeren Vergangenheit für falsch. Damit soll das System stabilisiert werden. Damit soll sozusagen diese Amtsstruktur in die Aura des Sakrosankten erhoben werden.

Ich bin auch skeptisch, ob uns die etwas sehr übereilte Selig- und Heiligsprechung von Johannes Paul II. nicht noch gehörig auf die Füße fallen wird. Bisher kennt die Kirche keine Rücknahme, keine Entheiligung. Aber wenn noch mehr Fakten aus diesem langen Pontifikat von Johannes Paul II. auf den Tisch kommen, könnte das womöglich anstehen.

Oder die Kirche macht es so, wie sie es immer macht. Sie vergisst einfach und schweigt es weiter tot. Ich halte von solchen Forderungen nichts, aber auch gar nichts.

Oliver Wintzek, Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz

"Ich bin auch skeptisch, ob uns nicht die etwas sehr übereilte Selig- und Heiligsprechung von Johannes Paul II. noch gehörig auf die Füße fallen wird"

Man sollte sich überlegen, welche Arten von Heiligen wir uns eher als Vorbilder vor Augen stellen sollten, auch welche Theolog*innen es verdienten, Kirchenlehrer*innen zu sein. Da fielen mir andere ein als Joseph Ratzinger.

Ich würde etwa an Karl Rahner denken wollen. Der war bekanntlich auch Konzilstheologe mit Joseph Ratzinger. Auch an Hans Küng könnte man denken, der eine große Reichweite entfaltet hat.

Aber auch diejenigen, die gemaßregelt wurden, aber deren Wirkungsgeschichte noch andauert. Ich denke an Johann Baptist Metz, dessen Ruf auf eine Professur in München damals von Joseph Ratzinger vereitelt wurde. Ich denke an Leonardo Boff, der auch entsprechend gemaßregelt wurde.

Die Theologie müsste breiter aufgestellt sein. Da braucht es nicht unbedingt ein Gütesiegel, sondern das liegt an der Güte der Theologie selbst, ob sie rezipiert wird, ob sie eine Wirkungsgeschichte hat.

DOMRADIO.DE: Das heißt, für Sie wäre es gerade eher ein Zeichen, wenn man Benedikt XVI. nicht heiligspricht, als wenn man ihn heiligspricht?

Wintzek: In der Tat. Das heißt ja nicht, dass ich es ausschließen würde, dass das vielleicht in einer weiteren Zukunft erwogen werden kann. Aber bisher sollten die Dinge erstmal unaufgeregt geklärt und gesichtet werden und dann kann man weitersehen.

Das Interview führte Hannah Krewer.

Heiligsprechung

Die Heiligsprechung in der katholischen Kirche ist eine feierliche Erklärung des Papstes über das vorbildlich christliche Leben eines Menschen und über dessen endgültige Aufnahme bei Gott. Nach dieser Kanonisation, die im Rahmen eines Festgottesdienstes vollzogen wird, darf die betreffende Person weltweit verehrt werden.

Heiligsprechung (dpa)
Heiligsprechung / ( dpa )
Quelle:
DR