Statistisches Bundesamt: Mehr als zehn Millionen Deutsche leben an der Armutsschwelle

Neue Armutsberichte, alte Erkenntnisse

Rund 10,6 Millionen Menschen in Deutschland leben an der Armutsschwelle. Das sind 13 Prozent der Bevölkerung, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag in Berlin mit. In den neuen Ländern sind 17 Prozent, in den alten rund zwölf Prozent der Menschen armutsgefährdet. Besonders betroffen sind Alleinerziehende. Im europäischen Vergleich liegt die Armut in Deutschland unter dem Durchschnitt. Für Dr. Hans-Jürgen Markus, Vorsitzende der Nationalen Armutskonferenz, kommt die Studie nicht überraschend, er fordert ein in sich konsistentes Konzept zur Armutsbekämpfung.

 (DR)

Besonders betroffen: Alleinerziehende
Alleinerziehende sind in besonderem Maß von Armut bedroht (30 Prozent). Auch Arbeitslose haben ein hohes Armutsrisiko (43 Prozent), Vollzeiterwerbstätige sind hingegen nur gering betroffen (vier Prozent). Auch die Bildung spielt eine erhebliche Rolle: Menschen mit Abitur (9 Prozent) sind deutlich weniger gefährdet als solche ohne Berufsabschluss (24 Prozent).

Ein Dasein an der Armutsgrenze hat nach Angaben des Bundesamtes Einschränkungen beim Wohnen, der ärztlichen Versorgung und beim Konsum zur Folge. 22 Prozent aller Armutsgefährdeten leben nach eigenen Angaben in Wohnungen, die bauliche Mängel aufweisen. Bei Menschen ohne Armutsrisiko sind es nur zwölf Prozent.

Armutsgefährdet: Mit weniger als 856 Euro im Monat
Über die Hälfte derjenigen, die an der Armutsschwelle leben, geben zudem an, sie könnten sich keine einwöchige Urlaubsreise leisten oder unerwartet anfallende Ausgaben bestreiten. Über ein Viertel (26 Prozent) der Befragten gab an, auch am Essen zu sparen. Fast genauso viele (22 Prozent) sagten, dass sie aus finanziellen Gründen nicht zum Arzt oder Zahnarzt gehen.

In Deutschland gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 856 Euro im Monat ausgeben kann. Das sind 60 Prozent des so genannten Medianeinkommens (1.426 Euro). Laut Definition ist die Hälfte aller Einkommen geringer als das Medianeinkommen, die andere Hälfte ist höher. Wer weniger als 40 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat, gilt nicht nur als armutsgefährdet, sondern als tatsächlich arm. Das sind rund vier Prozent der Menschen in Deutschland.

Deutschland in Europa unterdurchschnittlich
"Im europäischen Vergleich ist die Armut in Deutschland unterdurchschnittlich", sagte der Vizepräsident des Bundesamtes, Walter Radermacher. In den skandinavischen Länder leben weniger Menschen an der Armutsschwelle (11 Prozent), in Südeuropa deutlich mehr (Griechenland, Spanien: 20 Prozent).

Die vorgelegten Zahlen sind Teil der europäischen Sozialberichterstattung. Grundlage ist die neue Haushaltsbefragung "Leben in Europa", die in Deutschland 2005 erstmals stattfand. Damit soll eine Datenquelle geschaffen werden, mit der man die europäischen Staaten in Bezug auf Einkommen, Armut und Lebensbedingungen vergleichen kann.