Sozialforscher: Koalition hat soziale Spaltung weiter verschärft

"Sozialstaat wird zum Suppenküchenstaat"

 (DR)

Die Politik der großen Koalition hat nach Ansicht des Kölner Sozialwissenschaftlers und Armutsforschers Christoph Butterwegge die soziale Spaltung weiter verschärft. Butterwegge kritisiert mit Blick auf das einjährige Bestehen der Koalition, die Unternehmenssteuerreform z.B. verschaffe "denen, die genug haben" weitere fünf Milliarden Euro, während die Mehrwertsteuererhöhung die sozial Schwachen treffe, die ihr gesamtes Geld für den Lebensunterhalt ausgeben müssten. Die geplante Befreiung der Firmenerben von der Erbschaftssteuer mache den reichsten Kindern im Land Geschenke in Milliardenhöhe, während zugleich knapp zwei Millionen Kinder in Hartz-IV-Haushalten lebten, so Butterwegge.

Sozialstaat wird zum Suppenküchenstaat
Aus dem seit Otto von Bismarck entwickelten "Sozialversicherungsstaat" werde mehr und mehr ein "Fürsorge-, Almosen und Suppenküchenstaat", erklärt Butterwegge. An die Stelle der Sicherung des Lebensstandards trete eine Minimalsicherung, meinte der Politologe bei der Präsentation der dritten, grundlegend aktualisierten Auflage seines Buches " Krise und Zukunft des Sozialstaates". Die Politik der großen Koalition sei dabei "weniger spektakulär" als die von Rot-Grün, doch sie setze die eingeschlagene Richtung fort.

Kritik auch von Blüm und Lafontaine
Der frühere Bundessozialminister Norbert Blüm forderte mit Blick auf die Sozialreformen eine „Gegenreformation". Die Sozialpolitik werde immer mehr zur Armutsfürsorge, der Sozialstaat durch Hartz IV zur „Bedürftigkeitsprüfungsanstalt". Den Vorstoß seines Parteikollegen, des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, für ein längeres Arbeitslosengeld I für Ältere begrüßte Blüm. Die Debatte zeige, dass „eine kleine Verunsicherung eingetreten" sei.

Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine, wertete den Vorstoß der nordrhein-westfälischen CDU als eine "Renaissance sozialer Themen". Rüttgers wolle offenbar das Erbe der in dieser Frage "tief verunsicherten Sozialdemokraten" antreten.