Sänger Stefan Stürmer nimmt Flüchtlinge aus der Ukraine auf

"Das war sehr, sehr emotional"

Schlagerstar Stefan Stürmer singt sonst von der heilen Welt. Nun hat er Hilfsgüter zur ukrainischen Grenze gebracht und vier Menschen bei sich zu Hause aufgenommen. Die Erlebnisse haben bei ihm bleibende Eindrücke hinterlassen.

Menschen auf der Flucht aus der Ukraine / © Alejandro Martínez Vélez (dpa)
Menschen auf der Flucht aus der Ukraine / © Alejandro Martínez Vélez ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie sich auf die Tour vorbereitet? 

Stefan Stürmer (Schlagersänger): Die Institution "Summer Field Kids Foundation" gibt es schon seit längerem. Aufgrund der Ereignisse hat man da kurzfristig mit Behörden Kontakt aufgenommen und gesagt, dass wir das Ganze dort unterstützen wollen, dass wir Leuten ein sicheres Zuhause geben wollen. Und dann sind halt Vorsichtsmaßnahmen vorab geklärt worden, also wie das von statten geht, wenn wir Familien in Sicherheit rüberbringen und wo die unterkommen. Und da haben einige Behörden sehr gut mit uns kooperiert. Das war für uns Anlass, quasi binnen drei Tagen zu koordinieren, dass wir mit zwei 50er Bussen runter gefahren sind - plus drei Siebensitzern, wo wir dann auch Dolmetscher und Ärzte dabei hatten. Das heißt, wir waren auf alle Gegebenheiten sehr schnell und gut vorbereitet.

 © Stefan Stürmer
© Stefan Stürmer

DOMRADIO.DE: Was Sie dann an der polnisch-ukrainischen Grenze gesehen und erlebt haben, das hat Sie emotional sehr getroffen. Inwiefern? 

Stürmer: Weil die Bilder vor Ort etwas ganz anders widerspiegeln - wie viele Dinge, die man im Fernsehen ja gar nicht so richtig zu sehen bekommt. Und wenn man den Leuten gegenübersteht und das Ganze live mitbekommt, da muss man schon ein harter Hund sein, sage ich mal, um das wirklich durchzustehen. Also, man muss ja viele Dinge beachten: Wenn ich jetzt selbst sehr emotional reagiere, wie reagieren die Leute dann?

Die waren so traumatisiert, dass sie Angst hatten, von uns angesprochen zu werden. Das war alles sehr gewöhnungsbedürftig und wir haben drei, vier Stunden gebraucht, um erst mal eine Kommunikation aufzubauen und den Menschen zu sagen: "Wir wollen euch ein sicheres Zuhause geben. Wir wollen, dass ihr mit uns über die Grenze kommt und alles weitere ist schon geregelt." Das war sehr, sehr gewöhnungsbedürftig. 

DOMRADIO.DE: Sie hatten sich vorgenommen, auch Menschen zu retten und auch selbst eine Familie aufzunehmen. Sie haben nun eine Mutter mit zwei Kindern und deren Nichte mitgenommen. Hatten die denn auch erstmal Sorgen bei fremden Menschen, bei fremden Männern einzusteigen? 

Stürmer: Ja, definitiv. Aber nicht nur die Familie. Es waren beide Busse am allerersten Tag, plus die anderen Busse. Jeder hatte angeblich irgendeinen Verwandtenkreis in Deutschland und es war eigentlich geplant, dass sie in den Familien unterkommen. Aber der Plan änderte sich schon vor Ort, weil alle nur nach Deutschland wollten, egal wohin. Und dann haben wir kurzerhand auch die Route geändert. Wir haben Halt in Dresden gemacht, danach in Frankfurt und zuletzt dann in Köln. Und ja, die Leute waren sehr ängstlich, weil dort auch Schleuserbanden unterwegs sind, und das hat man denen auch angemerkt.

Aber nach der zweiten Rast, die wir gemacht hatten, haben wir auch untereinander kommuniziert: "Wie sieht es aus? Wie verhalten sich die Leute?" - und da würde ich mal schätzen, dass 70 Prozent der Leute irgendwie auf einmal ein gutes Gefühl bei der ganzen Sache bekommen hatten, weil wir wie gesagt auch Dolmetscher mit im Bus hatten, die den Leuten das alles nochmal erklärt haben. Und dann wollten die wirklich in die Gastfamilien und nicht mehr einfach nur über die Grenze. Bei mir, in meinem Auto, in dem ich selber mit unterwegs war, saß auch die Familie, die jetzt bei mir untergebracht ist, bei der war das genau so. 

DOMRADIO.DE: In welchem Zustand war die Familie? 

Stürmer: Ganz katastrophal. Sie müssen sich vorstellen, Sie verlassen den Ort, der die Heimat ist und man wird aus allem rausgerissen. Der Mann ist da gelassen worden, Freunde werden da gelassen. Das war sehr, sehr emotional. Das kann man nicht mit Worten beschreiben. Da war ein Schluchzen von der Mutter, von den Kindern. Alles ist da geblieben. Die sind ja quasi nur mit einem Turnbeutel rüber gekommen. Für mich war das sehr schwer, diese Menschen so weinen zu sehen. Wer das schafft, sich dort selber nicht emotional zu zeigen - das ist undenkbar. 

DOMRADIO.DE: Kleidung und Spielsachen für die Kinder sind besorgt, die ersten Behördengänge sind auch schon erledigt. Sie sind jetzt nicht zu zweit, sondern zu sechst in ihrer Wohnung. Das ist sicherlich eine riesengroße Herausforderung, oder? 

Stürmer: Ja, definitiv. Die Herausforderung ist aber weniger, wie die untergekommen sind, sondern: "Wie gehen wir mit diesen Menschen um?" Man muss an viele Dinge denken. Ich sage es mal so: Ich bin durchs Haus gelaufen, dann ist mir ein Kulli auf den Boden gefallen. Die haben sich so erschreckt, dass sie wirklich Panik bekommen haben. Eine Stunde später flogen Hubschrauber - wie das in Deutschland ja normal ist - über unserem Haus vorbei. Sie sind in den Keller gerannt, weil sie traumatisiert sind und nur noch die Zustände von dem, was dort passiert ist, vor Augen oder im Kopf haben.

Dann haben wir weiter gedacht, meine Frau und ich: "Was kann denn noch passieren?" Uns ist eingefallen, dass bei uns samstags um halb zwölf ein Probealarm von der Feuerwehr ist. Wir mussten darauf hinweisen, dass dieser Alarm kommt. Man muss an so viele Dinge denken. Das Aufnehmen an sich ist das eine. Dann kommt die Feinfühligkeit dazu. Wenn sie anfangen zu weinen, nicht in den Arm nehmen - das könnte in ihnen Bedrängnis auslösen. Wobei, nach zwei Tagen hat sich das Ganze hier ein bisschen relativiert. Die weinen natürlich alle sehr, sehr viel und sind dann zu uns gekommen, haben sich in den Arm nehmen lassen. Also man muss sehr mit Feingefühl rangehen, weil man einfach mit vielen Dingen etwas falsch machen kann. 

DOMRADIO.DE: Wie funktioniert denn die Verständigung? Kann die Familie Englisch? 

Stürmer: Sie kann gar kein Englisch. Was mich ein bisschen gewundert hat, da sie ja zum Teil Deutsch in der Schule haben, aber auch gar kein Deutsch können. Aber es gibt ja Mobiltelefone mit Übersetzungsapps. Darüber tauschen wir uns momentan komplett aus. Das Schöne an der ganzen Sache ist natürlich, dass wir jetzt etwas Ukrainisch und sie Deutsch lernen. Es sind ja viele Vokabeln, die man wiederholt. Da fängt ja an bei "Guten Morgen! Gute Nacht! Bitte! Danke!" Man fängt so ein bisschen an, wie in der Schule und man ergänzt sich dann. Wir verstehen uns blendend. 

DOMRADIO.DE: Eine Frau, ein größeres Mädchen und zwei kleinere Jungs. Halten die zwei kleineren Jungs Sie schon ganz schön auf Trab?

Stürmer: Ja, obwohl ich muss ganz ehrlich sagen, die können sich selber gut beschäftigen. Wir haben am allerersten Tag alle vier eingekleidet, dann haben wir denen Spielsachen geholt - bzw. uns wurde sehr sehr viel gebracht über Freunde und über Anzeigen, die wir gestellt hatten. Die Kinder sind sehr selbstständig und der normale Tagesablauf ist nicht gestört. 

DOMRADIO.DE: Haben die vier noch Kontakt noch zu Familienmitgliedern oder Freunden?

Stürmer: Ja, die Mutter hat drei bis vier Mal mal am Tag Kontakt zu ihrem Mann, der ja unten geblieben ist, sowie auch zu ihren Eltern. Und ich selbst bekomme natürlich auch Videos oder Bilder geschickt, die nicht im TV zu sehen sind. 

DOMRADIO.DE: Das Schulkind hat sich schon in den Online-Unterricht seiner ukrainischen Schule eingeloggt. Da kann sich doch niemand auf den Unterricht konzentrieren, oder? Und ich frage mich auch, wie viele Kinder überhaupt noch dabei sind. Haben Sie davon etwas mitbekommen? 

Stürmer: Nein, davon habe ich nichts mitbekommen. Ich weiß, dass der Mittlere, er ist 10, hier Online-Unterricht macht, aber wie viele teilnehmen, weiß ich nicht. Die Mutter macht das auch hervorragend. Die lässt diese ganzen Dinge, die ganzen Geschehnisse gar nicht an sie heran. Sie spricht auch gar nicht drüber. Sie zeigt nur das Schöne, zum Beispiel, wenn wir mit ihnen spielen, wenn wir mit dem Hund Gassi gehen, wenn wir zu anderen Freunden fahren, auch zu gleichaltrigen Kindern. Die sind sehr stark beschäftigt - und mit der Schule, da habe ich keine Ahnung, aber das läuft wohl. 

DOMRADIO.DE: Wie geht es denn jetzt weiter für Sie und die Familie? 

Stürmer: Ich lasse das alles auf mich zukommen. Ganz ehrlich gesagt, ich habe viele Sachen von meiner Seite hinten angestellt, die natürlich für mich sonst sehr wichtig sind. Aber für mich gibt es gerade aktuell nichts Wichtigeres, als einfach dieser Familie ein gutes Gefühl zu geben und sie dabei zu unterstützen, dass sich hier wohlfühlen, dass sie hier ankommen und dass sie über all diese Sachen, die gerade drüben passieren, einfach nicht nachdenken. Das ist meine Aufgabe.

Ehrlich gesagt stellt man vieles hinten an, was man vorher niemals gedacht hätte. Aber ich mache es gerne. Und mir ist diese Familie schon so stark ans Herz gewachsen, wie meiner Frau auch, dass, ich glaube, wenn die irgendwann mal wieder zurückgehen würden oder werden, dass uns das auch sehr, sehr emotional treffen wird.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR
Mehr zum Thema