Religiöse Propaganda in Kiew und Moskau allgegenwärtig

Religion als Waffe in der Ukraine

Der Krieg in der Ukraine wird aus Sicht des Berliner Ostkirchenkundlers Reinhard Flogaus immer schärfer religiös aufgeladen. Seit Beginn des Angriffs verschärfe sich die Propaganda um die religiöse Legitimation für die Waffengewalt.

Orthodoxe Kirchen in der Ukraine und in Moskau nutzen Religion zunehmend für religiöse Propaganda. / © Stanislav Mirchev (shutterstock)
Orthodoxe Kirchen in der Ukraine und in Moskau nutzen Religion zunehmend für religiöse Propaganda. / © Stanislav Mirchev ( shutterstock )

Schon zu Beginn des Angriffs habe es insbesondere von Seite der russisch-orthodoxen Kirche eine religiöse Legitimation für den Angriff gegeben; diese habe sich aber in den vergangenen Monaten stark gewandelt, schreibt Flogaus in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Zu Beginn des Krieges hätten sowohl der Präsident Wladimir Putin als auch der Moskauer Patriarch Kyrill I. vor allem die Unterstützung der russischsprachigen orthodoxen Bevölkerung im Nachbarland betont, so der Experte. Dabei hätten sie sich auch auf die Maßnahmen der ukrainischen Regierung gegen die damals noch dem Moskauer Patriarchat unterstehenden Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) - im Gegensatz zur eigenständigen Orthodoxen Kirche der Ukraine - stützen können. Inzwischen hat sich die UOK weitgehend von Moskau emanzipiert.

"Heiliger Krieg" gegen den "satanischen Westen"

Im stockenden Verlauf des Krieges sowie in der russischen Teilmobilmachung habe sich das Narrativ nun geändert, erklärt Flogaus. Inzwischen kämpften die Soldaten einen "Heiligen Krieg" gegen den "satanischen Westen". Besonders kritisiert der Kirchenhistoriker die Äußerung von Patriarch Kyrill, Gefallene erhielten sofortigen Sündenablass und Eingang ins Paradies.

"Mit dieser Ausweitung der Sünden vergebenden Wirkung des Kreuzestodes Christi auf den Tod von Soldaten auf dem Schlachtfeld überschritt Patriarch Kyrill die Grenze zur Häresie. Diese Behauptung widerspricht nicht nur der orthodoxen Lehre; sie erinnert auch fatal an jenes Ablassversprechen, das Papst Urban II. 1095 mit der Teilnahme am Ersten Kreuzzug verbunden hatte", so der Historiker.

Razzien gegen urkainische Geistliche

Aber auch von ukrainischer Seite spiele Religion durchaus eine Rolle, schreibt Flogaus. So hat der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU in den vergangenen verstärkt Razzien gegen Geistliche der UOK durchgeführt. Diese stünden im Verdacht, als "fünfte Kolonne" Moskaus zu dienen.

Ein gesetzliches Verbot der UOK, wie es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi derzeit anstrebe, wird laut dem Forscher allerdings keinen Bestand vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg haben können. Dennoch zeige sich, dass der religiöse Konflikt zuletzt verstärkt eine Rolle spiele, urteilt Flogaus: "Nicht nur in Moskau, sondern auch in Kiew ist religiöse Propaganda derzeit allgegenwärtig."

Russisch-orthodoxe Kirche

Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Gläubigen die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. In Russland bekennen sich gut zwei Drittel der Bevölkerung zu ihr - etwa 100 Millionen Menschen. Fast alle übrigen früheren Sowjetrepubliken zählt das Moskauer Patriarchat ebenfalls zu seinem kanonischen Territorium.

Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate (shutterstock)
Russisch-orthodoxe Kirche mit Baugerüst / © Balakate ( shutterstock )
Quelle:
KNA