Regierung plant "Verantwortungsgemeinschaft"

Form der Mehrelternfamilie?

Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung ein Eckpunktepapier zum neuen Rechtsinstitut der Verantwortungsgemeinschaften vorlegen. Im Gegensatz zu anderen Vorhaben ist über die genauere Ausgestaltung wenig bekannt.

Autor/in:
Christoph Scholz
Familie im Zentrum / © REDPIXEL.PL (shutterstock)

Immerhin spricht der Koalitionsvertrag von der "vermutlich größte familienrechtliche Reform der letzten Jahrzehnte". Bislang heißt es in der Vereinbarung der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP lediglich: "Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen." Um wen geht es?

Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz  / © Britta Pedersen (dpa)
Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz / © Britta Pedersen ( dpa )

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach allgemein von Menschen, die einander im Alltag helfen wollten, für die aber weder die Ehe noch die Adoption die richtige Form seien, also Alleinerziehende mit anderen Personen oder älteren Menschen. Die Gruppe dürfte aber deutlich größer sein und könnte den Weg zu Mehrelternfamilien ebnen.

Modell aus Frankreich

Ein Antrag der FDP-Fraktion von 2020 mit dem Titel "Selbstbestimmte Lebensentwürfe stärken - Verantwortungsgemeinschaften einführen" verweist auf den 1999 in Frankreich eingeführten "Pacte Civil de Solidarite" (Pacs). Dieser war zunächst vor allem für homosexuelle Paare gedacht, ähnlich wie die Lebenspartnerschaft in Deutschland.

Inzwischen sind weit über 95 Prozent der "Verpacsten" heterosexuell. Und der Pacs gewinnt weiter an Zustimmung. In manchen französischen Städten übersteigt er bereits die Zahl der Eheschließungen. Ähnliche Modelle des Zusammenlebens neben der Ehe gibt es inzwischen in Österreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden, Island, Italien, Polen, Spanien, Chile oder auf Malta.

Reiz der Unverbindlichkeit

Die Ehe als Sakrament

Die Paare verstehen ihre Ehe als einen sakramentalen Bund – als eine ganzheitliche Lebensgemeinschaft, die in ihrer Unauflöslichkeit die unverbrüchliche Treue der göttlichen Liebe spiegelt.

Sie begreifen ihren Ehebund und ihre eheliche Treue in Verbindung mit dem – in Jesus endgültig offenbar gewordnen – Versprechen, dass Gott in der konkreten Lebenswirklichkeit präsent ist und den Menschen unbedingt treu bleiben will.

Symbolbild Ehe / © BONDART PHOTOGRAPHY (shutterstock)

Der wohl größte Reiz dieser Verbindung liegt wohl in seiner Unverbindlichkeit. Hieran knüpft die Begründung des FDP-Antrags an: "Der Grundgedanke einer solchen Verantwortungsgemeinschaft ist größtmögliche Flexibilität bei maximaler Selbstbestimmung." Im Wahlprogramm plädiert die FDP wiederum dafür, dass die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten innerhalb der Verantwortungsgemeinschaft "stufenweise variiert" werden kann. Bei den Zielgruppen nennt der Antrag der Liberalen ausdrücklich die "Mehrelternschaft", die vor dem Standesamt geschlossen werden soll und jederzeit wieder konsensuell aufgelöst werden kann.

Die Verbindung liegt nahe und spiegelt sich auch in der Diskussion von Interessengruppen von Patchwork-, Mehreltern oder Regenbogenfamilien. Diese zeichnet eine soeben erschienene Analyse der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) nach. So sieht das "Queere Netzwerk NRW" in einem Positionspapier vom vergangenen Jahr in den Verantwortungsgemeinschaften eine Möglichkeit für Mehrelternfamilien, "ihre über die gemeinsame Erziehungsverantwortung hinausgehende Verantwortlichkeit füreinander rechtlich zu regeln".

Ausweitung des Sorgerechts

Perspektivisch wird auf die geplante Ausweitung des Sorgerechts verwiesen. FPD, SPD und Grüne haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das "kleine Sorgerecht" für soziale Eltern auszuweiten und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterzuentwickeln, "das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann", heißt es im Koalitionsvertrag. Das betrifft nicht nur Regenbogenfamilien, "in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich beziehungsweise intergeschlechtlich und/oder nichtbinär ist", wie es auf dem Familienportal der Bundesregierung heißt.

Die KAS-Studie verweist auf das sogenannte Co-Parenting, zu dem sich Männer und Frauen zusammenfinden, um einen Kinderwunsch zu verwirklichen, ohne ein Liebespaar zu sein, und zunehmend auf Interesse bei Menschen Ende 30 ohne aktuellen Lebenspartner stößt.

Ferner könnte die Verantwortungsgemeinschaft den Weg für rechtsverbindliche polygame Lebensformen öffnen, sofern alle Beteiligten sich frei dafür entscheiden.

Folgen für Gesellschaft und Kindeswohl

Angesichts der möglichen weiterreichenden Folgen für die Gesellschaft und besonders für das Kindeswohl forderte die KAS-Studie eine offene Debatte, über den "kleinen Kreis der Betroffenen und politisch Gestaltenden" hinaus. Dabei gehe es nicht zuletzt um ethische, pädagogische und rechtliche Fragen zu den Kindern wie: "Wird ein Kind instrumentalisiert, um die Bedürfnisse Erwachsener zu befriedigen?

Wie kommt ein Kind mit vier Elternteilen zurecht - insbesondere wenn diese sich trennen oder neu verpartnern? Wie werden etwa Sorge-, Umgangs- oder Abstammungsrecht geregelt". Empirische Daten zu Mehreltern liegen bislang nicht vor. 

Familienverbände und Wissenschaftler betonen die Priorität des Kindeswohls gegenüber Ansprüchen von Erwachsenen. Dazu gehöre etwa die Kontinuität in Beziehungen oder die Kenntnis der Abstammung. So verlangt auch die UN-Kinderrechtskonvention, dass jedes Kind das Recht habe "seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden".

Quelle:
KNA