Polemische Wendung in der katholischen Reformdebatte

Kardinal Koch tappt in die Falle des NS-Vergleichs

Nazi-Vergleiche führen meist in die Irre und schaden dem, der sie als rhetorisches Mittel nutzt. Das musste jetzt der Schweizer Kardinal Kurt Koch lernen, der eine drastische Kritik am deutschen Synodalen Weg anbrachte. Eine Analyse.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Kardinal Kurt Koch / © Francesco Pistilli (KNA)
Kardinal Kurt Koch / © Francesco Pistilli ( KNA )

Als Chef der Ökumene-Abteilung ist Kardinal Kurt Koch (72) der letzte deutschsprachige Kardinal, der unter Papst Franziskus ein hochrangiges Leitungsamt innehat. Wenn es um Kontakte zu anderen Kirchen, Konfessionen und Gemeinschaften geht, ist Koch international eines der Gesichter der katholischen Kirche. Doch während er sich auf dem Parkett der Ökumene trittsicher bewegt und die Regeln der inter-konfessionellen Höflichkeiten stets beherzigt, hat er nun mit einer Äußerung im innerkatholischen Richtungsstreit heftige Reaktionen ausgelöst.

Wo Koch theologisch und kirchenpolitisch steht, ist seit langem bekannt. Immer wieder tritt er vor konservativen Publizisten oder Theologen als Redner auf - so zuletzt beim Treffen der Ratzinger-Schüler in Rom am 24. September. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das Interview mit dem katholischen Publizisten Martin Lohmann eingefädelt, das dann fünf Tage später genau passend zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda in der Wochenzeitung "Tagespost" erschien. Koch ließ weder bei der Tagung in Rom noch beim Interview der "Tagespost" Zweifel daran, dass er dem Reformansatz des Synodalen Wegs skeptisch gegenübersteht.

Angst vor einer anderen Kirche

Seine Kritik machte er in dem Interview daran fest, dass im theologischen "Orientierungstext" des Synodalen Wegs versucht wird, die nur schwer veränderbaren Quellen der Offenbarung - nämlich die Bibel und die kirchliche Tradition - um zusätzliche "theologische Orte" zu ergänzen, die eine Modernisierung der kirchlichen Lehre erleichtern sollen. Dazu werden im Synodalen Weg die "Zeichen der Zeit" beschworen, die es zu berücksichtigen gelte. Und zu diesen gehören auch neuere "Erkenntnisse der Humanwissenschaften" (etwa zu Themen wie sexuelle Orientierung und Geschlechter-Identitäten) sowie der "Glaubenssinn des Gottesvolks". Wenn Gottes Wille auch über diese Quellen erkennbar ist, dann fällt es leichter, scheinbar unverrückbare, uralte Dogmen im Licht neuester Erkenntnisse zu verändern. 

Kardinal Koch treibt offenbar die Sorge um, dass durch diese Ausweitung der theologischen Erkenntnisquellen die Fundamente der kirchlichen Lehre ins Rutschen geraten. Am Ende könnte dann eine vom Zeitgeist inspirierte synodale Mehrheit zentrale Aussagen der katholischen Dogmatik und Morallehre über Bord werfen und dann, wie Papst Franziskus es einmal warnend formulierte, nicht eine erneuerte, sondern eine andere Kirche schaffen.

An dieser Stelle kommt der NS-Vergleich ins Spiel. Um zu illustrieren, wie riskant eine zeitgemäße Ausweitung der theologisch-dogmatischen Grundlagen der Kirche sein kann, erinnerte Koch in dem Interview an die "Deutschen Christen". Diese Strömung im Protestantismus sah in den 1930er Jahren den Aufstieg des Nationalsozialismus und seines Führers wie eine neue Offenbarung an und versuchte, die christliche Lehre so umzubauen, dass sie mit den damals weithin akzeptierten "Erkenntnissen" der Rassenlehre und des völkischen Denkens vereinbar werden sollte.

Empörung in Deutschland

O-Ton Koch dazu: "Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies - wieder - in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der NS-Diktatur gegeben, als die so genannten 'Deutschen Christen' Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben."

Die reformfreudige Mehrheit des Synodalen Wegs in Deutschland, und damit auch die Mehrheit der deutschen Bischöfe auf einem ähnlich gefährlichen Kurs wie damals Hitlers theologische Bewunderer? Der Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing reagierte umgehend auf diesen Vergleich und bezeichnete ihn vor Journalisten als "inakzeptabel". Er forderte eine Entschuldigung Kochs und drohte, andernfalls werde er "eine offizielle Beschwerde beim Heiligen Vater einreichen".

Bischof Bätzing und Kardinal Koch 2019 in Limburg (KNA)
Bischof Bätzing und Kardinal Koch 2019 in Limburg / ( KNA )

Darauf reagierte Koch mit einer teilweisen Entschuldigung und teilte mit, er habe niemanden verletzen wollen. "Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte .... lernen können. Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich ... feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind." Seine kritische Anfrage an den Synodalen Weg könne er allerdings nicht zurücknehmen.

Bätzing reagierte prompt. Kochs Antwort "kann ich nicht als zufriedenstellend akzeptieren", erklärte er am Freitag in Bonn, "da Kardinal Koch sich im Kern nicht für die unhaltbaren Äußerungen entschuldigt, sondern sie - im Gegenteil - noch verschlimmert". Er erwarte "nach wie vor von Kardinal Koch eine eindeutige Distanzierung zu diesen Aussagen".

Teile der Antwort des Kardinals empfinde er als weitere Verletzung, so Bätzing. So suggeriere Koch etwa mit der Aussage, "dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu" seien, dass sich die Bundesrepublik nicht "dem schrecklichen Erbe des Nationalsozialismus stellen" würde.

Der Bischof ergänzte: "Nicht wir errichten ein Tabu, vielmehr ist es angesichts der Opfer des Nationalsozialismus ein Tabu, Vergleiche mit nationalsozialistischem Denken, das zu eben diesen Opfern geführt hat, mit irgendeinem heutigen Denken anzustellen."

Treffen in Rom?

Die Art und Weise, wie Koch von den "Deutschen Christen" spreche, lasse "keine andere Lesart zu", als dass er die Synodalversammlung und ihren theologischen Orientierungstext "den 'Deutschen Christen' gleichstellt". Damit stelle Koch die Synodalen "in den Horizont des Regimes, das unvorstellbares Leid, insbesondere über das Jüdische Volk, gebracht hat".

Kurt Kardinal Koch / © Francesco Pistilli (KNA)
Kurt Kardinal Koch / © Francesco Pistilli ( KNA )

Kochs Formulierungen muteten "in ihrer Arglosigkeit für einen international anerkannten und tätigen Kardinal der Weltkirche mit vielfältigen dienstlichen und persönlichen Kontakten nach Deutschland befremdlich an".

Bätzing ging auch auf die theologischen Argumente Kochs ein und erklärte: "Menschen leben und reflektieren ihren Glauben immer auch als 'Kinder ihrer Zeit'... Das allein macht die jeweilige Zeit noch nicht zu einem eigenen theologischen Ort. Der Orientierungstext geht ... davon aus, dass Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt, sich auch in dieser Welt und in der Geschichte der Menschen immer wieder offenbart, dass sein Wirken und sein Wesen also an Ereignissen der Geschichte verdichtet erkennbar wird. Selbstverständlich eignen sich nicht alle geschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen in gleicher Weise als solche 'Fingerzeige Gottes'. Hier kam es in der Geschichte der Kirche immer wieder auch zu erschreckenden Fehlurteilen."

Unterdessen wird in Rom spekuliert, ob Bätzing bei seinem unmittelbar anstehenden Rom-Besuch, den er zur Vorbereitung des im November geplanten Ad-limina-Besuchs der deutschen Bischöfe absolviert, auch Kardinal Koch treffen wird. Eigentlich sei ein solches Gespräch nicht geplant gewesen, ist aus dem Vatikan zu hören.

"Deutsche Christen"

Die 1932 gegründete "Glaubensbewegung Deutsche Christen" ging aus einer Ende der 20er-Jahren in Thüringen aktiven Gruppierung in der evangelischen Kirche hervor. Die mit dem Nationalsozialismus sympathisierende "SA Jesu Christi" war straff nach dem Führerprinzip organisiert. Zu ihren Forderungen gehörte die "Rassenreinheit" als Bedingung für eine Kirchenmitgliedschaft. Außerdem sollte sich die evangelische Kirche von ihren jüdischen Wurzeln lösen.

Bei den Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933 errangen die Deutschen Christen die absolute Mehrheit in der Deutschen Evangelischen Kirche.

Deutsche Christen: Feier zum Luthertag vor dem Berliner Schloss 1933 (Bundesarchiv)
Deutsche Christen: Feier zum Luthertag vor dem Berliner Schloss 1933 / ( Bundesarchiv )

 

Quelle:
KNA