Akademiedirektor sieht differenziertes Bild der Proteste in Sachsen

"Polarisiert - nicht gespalten"

Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen häufen sich. Gerade in Sachsen scheint die Stimmung aggressiver zu werden. Die Pandemie sei ein Charakter-Test, sagt der katholische Akademiedirektor Thomas Arnold.

Proteste gegen die Corona-Maßnahmen / © Daniel Schäfer/dpa-Zentralbild (dpa)
Proteste gegen die Corona-Maßnahmen / © Daniel Schäfer/dpa-Zentralbild ( dpa )

DOMRADIO.DE: In Sachsen wird eine immer aggressiver werdende Stimmung beobachtet. Immer wieder mischen sich vor allem rechte Gruppen unter die Demonstranten. In Bautzen zum Beispiel aber wehren sich die Menschen jetzt in der "Bautzener Erklärung" gegen die Aufmärsche von Rechtsextremen und Corona-Leugnern. Warum zeigt sich die Situation und die Stimmung ausgerechnet in Sachsen in dieser Intensität?

Dr. Thomas Arnold (Direktor der katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen): Ich wäre vorsichtig zu sagen, dass nur in Sachsen dieser Protest stattfindet. Wenn ich auf Bayern oder Baden-Württemberg schaue, dann habe ich auch dort in den letzten Wochen solche Proteste wahrgenommen. Aber natürlich sind an vielen verschiedenen Orten in Sachsen diese Proteste auch im Moment sichtbar. Sie sind befeuert über Telegram-Gruppen, obwohl in den letzten Wochen auch immer wieder darauf hingewiesen wurde. Das "Warum" ist sicher sehr vielfältig.

Ich sehe viele verschiedene Gründe, eine hohe Quote derer, die nicht geimpft sind. Ich sehe Frustrationen, auch ein verloren gegangenes Vertrauen in Politik. Das sind sicher drei Punkte. Es gibt aber auch strukturelle Gründe, wie eine überalterte Bevölkerung in ländlichen Regionen, die natürlich Veränderungen sehr kritisch gegenübersteht. Insofern ist natürlich die Situation in Sachsen äußerst polarisiert. Ich würde nicht sagen, dass die Gesellschaft in Sachsen gespalten ist, aber sie ist polarisiert und ich möchte auch darauf aufmerksam machen, wenn man die Regionen anschaut. Da wohnen 100.000 bis 200.000 Leute zum Teil. Da gehen 600 oder 1.000 Leute auf die Straße. Wir brauchen, glaube ich, noch mal ein gutes Verhältnis zwischen Minderheit und Mehrheit, auch in unserer Wahrnehmung.

DOMRADIO.DE: Es ist die laute Minderheit, sagen Sie. Die Menschen, die in Sachsen demonstrieren, sind ja auch nicht alle rechts. Da muss man sich ja auch differenzieren, oder?

Arnold: Genau, da muss man sehr genau differenzieren. Ich möchte davor warnen: Nicht jeder Ungeimpfte ist ein Impfgegner. Natürlich gibt es Ungeimpfte, die mehr als kritisch der Impfung gegenüber stehen und die Corona-Maßnahmen der Regierung völlig unverständlich finden. Aber es gibt eben auch Menschen, die Angst haben vor der Impfung. Das mag begründet oder unbegründet sein, aber ein subjektives Empfinden von "Nein, ich bin mir nicht sicher mit dieser Impfung" ist da. Es gibt Menschen, die existenziell betroffen sind von den Maßnahmen, die im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung ergriffen werden.

Ich möchte deutlich sagen, dass ich sehr stark hinter den Entscheidungen auch der Politik stehe, die sehr kurzfristig getroffen werden mussten, um möglichst die vierte Welle zu verhindern. Aber ich wünsche mir auch das Gespräch und die klare Kommunikation mit denen, die zweifeln. Auf der anderen Seite gibt es Rechtsextreme, es gibt Menschen, die Hass schüren, die nicht Frieden stiften wollen und die müssen ebenso klar benannt werden. Und die müssen auch ganz klar von allen öffentlichen Institutionen der Gesellschaft verurteilt werden. Denn wer Hass sät, hat in dieser Situation, in dieser Krise nichts zu suchen.

Wir dürfen nicht vergessen auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie ist diese Situation ein Charakter-Test und ich wünsche mir Menschen, die klar ihre Haltung benennen, die zum Frieden der Gesellschaft mit beisteuern und mithelfen und am Ende auch, dass wir klar und deutlich die verurteilen, die Hass schüren.

DOMRADIO.DE: Warum misstrauen die Menschen den staatlichen Vorgaben denn so? Zu DDR-Zeiten gab es eine Impfpflicht. Jetzt gibt es sie im Moment noch nicht. Eigentlich müssten doch die Menschen ihrem Staat ruhig vertrauen dürfen.

Arnold: Na ja, sie haben natürlich eine, ich sage mal, natürliche Staats-Skepsis, die sicher in den Jahren der DDR begründet ist. Aber allein wenn ich auf die letzten Monate schaue, hat sich diese grundsätzliche Skepsis natürlich öfters bestätigt. Schaut man nur auf die Diskussion um das Osterfest, wo sich am Ende die Kanzlerin entschuldigt hat. Schaut man auf die Diskussionen, welcher Impfstoff jetzt für welche Altersgruppe angebracht ist? Schaut man auf manche Maßnahmen, die am Ende gezeigt haben, dass sie doch nicht so wirkungsvoll waren, obwohl sie am Anfang als wirkungsvoll versprochen wurden. Schaut man auf die Situation bei jeder Welle. Wo Maßnahmen ergriffen wurden, wurde versprochen, dass es danach besser wird. Es wurde eben doch nicht dauerhaft besser. Die Pandemie ist noch nicht überstanden.

Ich habe dafür sehr viel Verständnis. Ich sehe die Politikerinnen und Politiker in Sachsen mit bestem Wissen und Gewissen an. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich konstatieren, dass die Leute ins Zweifeln gekommen sind. Nicht alle. Das will ich auch noch einmal deutlich betonen. Es ist eine Minderheit, es ist nicht die Mehrheit im Land. Aber manche zweifeln und fragen sich, ob das, was an Maßnahmen ergriffen wird, richtig ist und man dem vertrauen kann, was als richtig entschieden wird?

Ich sehe natürlich auch die andere Seite. Wir haben extreme Belegungen von Betten, wir haben Krankenhäuser, die überlastet sind. Ich bedauere schon, dass die Menschen sich nicht ergreifen lassen, auch von diesem Fachwissen und dieser Schilderung von Experten und Expertinnen. Wir standen in den letzten Wochen kurz davor, dass unsere Systeme vollkommen überlastet sind. Ich glaube, das ist die andere Seite, die man bedenken muss und ich hoffe, dass sich immer mehr Menschen überzeugen lassen, sich impfen zu lassen. Wir hatten ja auch in den letzten Wochen die Aktion der Kirchen gehabt, ganz andere Player, wie Theater etc. haben mitgeholfen zu impfen.

Auf der anderen Seite, sollen die Leute sich nicht sich weiter aufwiegeln lassen von Leuten, die Hass schüren wollen, sondern versuchen, angesichts dieser harten Spannungen und auch dieser schwierigen Situation, erst recht jetzt im Advent, trotzdem miteinander ein Auskommen zu suchen und nicht noch weiter zu diskutieren, zu streiten und am Ende im Hass zu verharren.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind gerade schon die Ankündigungen laut geworden, dass es möglicherweise den nächsten Lockdown geben wird nach Weihnachten. Wie gestaltet denn das Bistum angesichts der hohen Inzidenzen das Weihnachtsfest?

Arnold: Also zunächst einmal hatten wir in den letzten Wochen natürlich befürchtet, ob wir überhaupt an Weihnachten Gottesdienste feiern können. Die erste wichtigste Botschaft ist, dass die Kirchen auch unter Corona-Bedingungen an Weihnachten offen bleiben, weil sie Hoffnung geben. Das gilt in der schwersten Welle einer Pandemie. Das Zweite ist, dass wir mithelfen wollen und eben auch mit unserem Handeln das zu unterstützen, dass die Pandemie sich nicht weiter ausbreitet oder eine höhere, vierte oder fünfte Welle entsteht. Deswegen gibt es natürlich Einschränkungen mit 3G, mit Abständen, mit weniger Gesang.

Das Dritte ist, dass wir Weihnachten für alle ermöglichen wollen, egal ob zu Hause, egal ob verzweifelt, egal ob für Kranke. 18 Uhr gibt es "Stille Nacht, heilige Nacht" gemeinsam zum Mitsingen. Da sind jetzt schon die Menschen eingeladen, sich unter www.gemeinsam-stille-nacht.de zu beteiligen, ihr "Stille Nacht, heilige Nacht" einzusingen und dann wollen wir alle um 18 Uhr mit Glockenläuten in ganz Sachsen ökumenisch verbunden zusammen dieses Lied singen, eine kleine Andacht feiern aus der Propstei in Leipzig und eben miteinander sagen "Christus ist Mensch geworden".

Das Interview führte Tobias Fricke.


Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen / © Oliver Killig (Katholische Akademie Bistum Dresden-Meißen)
Quelle:
DR