DOMRADIO.DE: Sie werden für Ihren Podcast "Im Fall Stefanie – Eine von 155" mit dem Katholischen Medienpreis ausgezeichnet. Darin erzählen Sie die Geschichte einer Frau, die von ihrem Ehemann getötet wurde. Warum hat Sie dieser Fall so gepackt?
Nadine Thielen (Redakteurin beim Saarländischen Rundfunk): Ehrlich gesagt, weil er auf den ersten Blick völlig unspektakulär war. Ich habe als Journalistin regelmäßig Meldungen gelesen, in denen Männer ihre Partnerinnen getötet oder es versucht haben. Das passiert fast jeden Monat – und man nimmt es kaum noch wahr.
Dann kam dieser Fall von Stefan und Stefanie – die hießen wirklich so. Von außen sah alles perfekt aus: seit der Jugend zusammen, vier Kinder, ein Haus mit Garten, keine bekannte Gewalt in der Beziehung. Ich dachte mir, dass das nicht von heute auf morgen passieren kann und dass ich mir das genauer anschauen möchte. Ich wollte verstehen, was dahintersteckt.
DOMRADIO.DE: Sie haben mit Angehörigen und Freunden gesprochen. Was haben Sie über die Beziehung herausgefunden?
Thielen: Die erste Vermutung hat sich bestätigt. Diese Beziehung war schon seit Jahren zerrüttet. Stefan hat Stefanie nie geschlagen, aber sie systematisch klein gehalten. Er hat sie abgewertet, ihr gesagt, sie sei nichts, könne nichts. Sie durfte das Haus nicht allein verlassen – nicht einmal zum Einkaufen.
Er hat sie von der Außenwelt abgeschottet, um sie zu kontrollieren. Als Stefanie schließlich die Entscheidung traf, sich zu trennen, hat er sie getötet. Genau dieses Muster – Kontrolle, Isolation, Besitzdenken – findet sich bei vielen sogenannten Femiziden wieder.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Vertrauen der Angehörigen gewonnen?
Thielen: Das war nicht leicht. Viele wollten gar nicht reden, weil es ihnen zu nahe geht oder sie darüber nicht in der Öffentlichkeit sprechen möchten. Mein Kollege Christoph Borgans und ich haben immer wieder erklärt, warum wir diese Geschichte erzählen wollen: Nicht, um ein Einzelschicksal auszuschlachten, sondern um zu zeigen, welche Dynamiken in Beziehungen existieren, die viele Menschen für normal halten.
Ich wollte sichtbar machen, was oft passiert, bevor ein Partner seine Partnerin tötet. Das hat einige überzeugt, mit uns zu sprechen.
DOMRADIO.DE: Der Titel Ihres Podcasts lautet "Im Fall Stefanie - Eine von 155". Was bedeutet diese Zahl?
Thielen: 155 ist die Zahl der Frauen, die im Jahr 2023 in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden. Das ist kein Einzelfall, sondern ein System. Und das hat mich während der Recherche wirklich erschüttert.
Diese Dynamiken – das Kleinmachen, das Kontrollieren, das Abschotten, die ökonomische Abhängigkeit – wiederholen sich immer wieder, ohne dass die Männer sich darüber austauschen würden. Es ist ein gesellschaftliches Muster.
DOMRADIO.DE: Was war für Sie das Wichtigste, das Sie aus dieser Arbeit mitgenommen haben?
Thielen: Dass wir als Gesellschaft aufhören müssen, solche Strukturen zu verharmlosen. Viele dieser Formen von Kontrolle und Abhängigkeit werden gar nicht als Gewalt erkannt – weder von den Betroffenen noch von ihrem Umfeld. Wenn man versteht, wie solche Dynamiken entstehen, kann man vielleicht verhindern, dass sie irgendwann tödlich enden.
Das Interview führte Carsten Döpp.