DOMRADIO.DE: Wird sich der neue Papst der Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz entziehen können?
Dr. phil. Anna Puzio (Theologin, Philosophin und Technikanthropologin): Nein, das kann er nicht. Er hat es sich sogar ausdrücklich zum Programm gemacht. Er hat sich den Namen Leo XIV. gegeben und knüpft damit an Papst Leo XIII. an, der die erste Sozialenzyklika "Rerum Novarum" ins Leben gerufen hat. Diese erste soziale Enzyklika hat auf die industrielle Revolution reagiert und hat gesagt, er möchte sich nun einer anderen industriellen Revolution widmen, und zwar der heutigen. Das wäre die KI. Es ist zu erwarten, dass es ein KI-Papst wird, der sich KI zum Thema machen wird.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn bereits Hinweise darauf, wie der neue Papst zur Künstlichen Intelligenz steht – insbesondere mit Blick auf ihren Einsatz in Religion und Theologie?
Puzio: Man weiß noch nicht viel. Man kann zum derzeitigen Zeitpunkt nur Vermutungen anstellen. An seiner Hand ließ sich eine schwarze Smartwatch erkennen – das deutet darauf hin, dass er eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber Technologien mitbringt. Wahrscheinlich kennt er sich auch besser mit moderner Technik aus als mancher Papst vor ihm, nutzt sie vielleicht selbst und verfügt über ein grundlegendes Verständnis dafür. Es ist sehr wichtig, Technologien zu verstehen, bevor man eine Ethik entwickelt.
Man kann aufgrund seiner sehr langen Zeit, die er in Peru gelebt und gearbeitet hat, vermuten, dass er vor allem die soziale Gerechtigkeit oder die verschiedenen Ungerechtigkeiten im Diskurs in den Vordergrund rückt. Globale Ungerechtigkeit und die Schere von Arm und Reich könnten ein großes Thema werden. Da er an Papst Franziskus anknüpft, kann man hoffen, dass er Technik und Umweltethik zusammenbringen wird. Das ist sehr vielversprechend.
DOMRADIO.DE: Das sind große Themen. Wo ist die Schnittmenge zu KI?
Puzio: Technologien haben sehr große Auswirkungen auf die Umwelt. Sie werden aus Ressourcen der Umwelt erstellt. Technologien sind große Industrien, die KI ist eine Industrie. Wenn wir Chat GPT verwenden, ist es nicht nur ein Klick auf einem Smartphone oder einem Laptop, durch den wir mit einem Chatbot sprechen können, denn hinter der KI steckt eine große Industrie von Menschen, die dafür ausgebeutet werden. Auch die Umwelt wird ausgebeutet.
Es sind unfassbar viele Ressourcen, die hier verschwendet werden. Der Blick für diese Industrie fehlt zur Zeit. Einige sehen Technik eher als etwas Magisches an und philiosophieren, ob die KI ein Bewusstsein erhalten könnte. Oft bleiben die Industrien im Hintergrund, die tatsächlich hinter diesen Technologien stehen. Es wäre gut, wenn der nächste Papst den Blick auf diese verschiedenen Ungerechtigkeiten, die mit KI einhergehen, lenken könnte.
DOMRADIO.DE: Haben die US-amerikanischen Theologen zum Einsatz von KI schon Erwartungen an Papst Leo XIV.?
Puzio: Die US-amerikanischen Theologinnen und Theologen waren auch erst einmal überrascht über die neue Papstwahl. Es ist ein Amerikaner? Wow! Kollegen sagten: "I'm shocked" (dt. "Ich bin schockiert!"). Das haben sie nicht erwartet. Viele meinten, sie wüssten gar nicht, welche Theologie dieser Papst eigentlich vertritt – weil er viele Jahre im Ausland tätig war. Also auch sie sind gespannt.
Es ist so, dass die Theologen hier sehr technikaffin sind. Ich bin in Kalifornien. In San Francisco fahren die autonomen Autos eigenständig durch die Straßen. Im Silicon Valley wird Technik entwickelt. Man merkt an den Menschen, die eine sehr offene und kritische Haltung gegenüber der Politik haben, dass sie auch eine sehr offene Haltung gegenüber Technologien haben.
Sie sind sehr technikaffin. So haben sich die Theologinnen und Theologen hier schon seit vielen Jahren mit Technologen beschäftigt. Sie kennen sich gut aus und für sie ist es auch besonders wichtig, in welche Richtung es mit dem neuen Pontifikat gehen wird.
DOMRADIO.DE: Wie reagiert die Hightech-Branche? Papst Leo XIV. hat in seiner ersten Audienz für Pressevertreter und Vertreterinnen aus der ganzen Welt die Pressefreiheit und die Wahrheit angesprochen. Fühlen sich High-Tech-Unternehmer wie jene vom Silicon Valley auch in die Pflicht genommen?
Puzio: Es gibt verschiedene Stränge. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt viele Unternehmen, die ein ethisches Bewusstsein haben, die auch ein christliches Bewusstsein haben und daran interessiert sind, an Verantwortungstechnologien zu arbeiten.
Es gibt aber natürlich auch viele Unternehmen oder Politikerinnen und Politiker, die nicht im Sinne von neuem Papst denken und sich deswegen unter Druck gesetzt fühlen. Gerade mit Blick auf die Politik hoffen viele Amerikanerinnen und Amerikaner nach einer wirklich schweren Zeit seit vielen Monaten, dass vielleicht jetzt jemand kommt, der versucht Trump die Stirn zu bieten. So wird der neue Papst auch zum Hoffnungsträger für viele Menschen hier.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten selbst bei seiner Rede aus? Während seiner Audienz stellte sich Papst Leo XIV. auch gegen Fake News, gegen Wutreden und die Spaltung der Gesellschaft. Er hat den Namen Trump zwar nicht erwähnt, aber wahrscheinlich haben viele gedacht, die Worte des Papstes würden sich auch gegen den Präsidenten richten. Hat Trump reagiert?
Puzio: Am Anfang hat er sehr offen und sehr zuvorkommend mit Beglückwünschen reagiert. Aber es ist durchaus zu erwarten, dass sich auch hier die Lage anspannen wird. Es ist in den letzten Monaten stark aufgefallen, wie die rechten Parteien versucht haben, das Christentum hier für sich zu beanspruchen: die problematische Asyl-Migrationspolitik, die hier betrieben wird, die Gewalt, die auf den Straßen passiert. Es wird versucht, diese durch christliche Argumentation zu stützen.
Fremdenhass wird mit der Bibel begründet. Der Rechtsradikalismus versucht, das Christentum für die eigene Argumentation zu benutzen. Da ist zu erwarten, dass der Papst dagegen vorgehen wird oder zumindest dagegen argumentieren wird. Auch wenn das nur mediale Aussagen und Kritiken sind: Daraus kann er eine große Wirkung erzielen.
Das Interview führte Heike Sicconi.