Vor ihrem Konzert im Kölner Dom, aus dem dann aufgrund des großen Andrangs zwei Veranstaltungen wurden, um möglichst vielen Fans den Zutritt zur Kathedrale zu ermöglichen, besuchte die britische Organistin Anna Lapwood, die bis Juli 2025 u. a. Director of Music des Pembroke College in Cambridge war, wenige Stunden zuvor DOMRADIO.DE.
DOMADIO.DE: Sie touren derzeit mit Ihrem Orgelprogramm durch Deutschland. Wie erleben Sie Deutschland und das deutsche Publikum?
Anna Lapwood (Organistin, Chorleiterin und Komponistin): Oh, ich liebe Deutschland! Das deutsche Publikum hat etwas Besonderes an sich. Ich habe vor ein paar Wochen in Nürnberg gespielt und da hat jemand in der Pause in meiner Garderobe von draußen ans Fenster geklopft. Die Leute hatten mir ein Eis gekauft, das sie mir dann durchs Fenster gegeben haben. Und da dachte ich mir, ja, das deutsche Publikum ist meiner Meinung nach das beste, nicht nur wegen der Eiscreme (lacht).
DOMADIO.DE: Sie sind jetzt seit ein paar Tagen in Köln. Sie hatten bereits die Gelegenheit, die Domorgel im Kölner Dom zu spielen. Wie gefällt Ihnen die Orgel?
Lapwood: Ich liebe diese Orgel so sehr! Es ist interessant: Bei der Musik, die ich spiele, also Transkriptionen von Orchestermusik und Filmmusik, muss man die meiste Zeit bei fast jeder Orgel Kompromisse machen, man muss versuchen, es so gut wie möglich auf der jeweiligen Orgel zu spielen. Aber hier in Köln habe ich festgestellt, dass ich keine Kompromisse eingehen muss. Ich kann genau den Klang erzeugen, den ich mir erhofft habe.
Vom Spieltisch der Hauptorgel kann man auch die Schwalbennestorgel spielen, das bedeutet, dass man eine räumlichen Trennung innerhalb der Musikstücke zwischen den Orgeln erzeugen kann, das für ein unglaubliches Gefühl von Klarheit sorgt, das so wunderbar in diese Akustik "hineinsingt". Und ich habe mehrmals geweint während ich hier geprobt habe, weil ich den Klang so liebe!
DOMRADIO.DE: Der Kölner Dom ist ein sehr großer Raum und die Akustik ist schwierig. Es herrscht ein langer Nachhall. Wie war es, in der Kathedrale zum ersten Mal die Orgel zu spielen?
Lapwood: Da habe ich auch geweint (lacht). Die Orgel hat eine Funktion, die wirklich sehr praktisch ist. Man kann das eigene Spielen auf der Orgel aufnehmen, dann in den Aufzug steigen und unten in der Kathedrale herumlaufen und den Klang überprüfen, denn die Orgel spielt genau das ab, was man vorher selber aufgenommen hat.
Das bedeutet, dass man die Balance bei den Registern überprüfen und anpassen kann, denn es klingt überall im Dom anders. So kann man auch die Spielweise anpassen, kann überprüfen, ob das Tempo in der Akustik funktioniert. Den Nachhall im Dom liebe ich übrigens, das wirkt ein bisschen wie das Halte-Pedal am Klavier. Und für einen Großteil dieser Orchestermusik braucht es ein bisschen Nachhall oder in diesem Fall eine Menge Nachhall, um den richtigen Klang zu erzeugen.
DOMRADIO.DE: Wie schaffen Sie es, dass sich Filmmusik auf einem eher traditionellen Instrument wie der Orgel so gut anhört?
Lapwood: Also, eine der Herausforderungen besteht darin, dass sie auf jeder einzelnen Orgel wirklich gut klingt. Ich sehe Orgeln als "orchestrale" Instrumente. Besonders bei einer Orgel in der Größe der Kölner Domorgel sind die meisten Instrumente eines Orchesters in der Orgel enthalten, oder zumindest eine akustische Nachbildung davon.
Eigentlich ist es eine ziemlich unterhaltsame Herausforderung, darüber nachzudenken, wie man die Musik auf einer bestimmten Orgel und für ein spezielles Konzert zum Klingen bringt. Für mich ist das die Musik, die mich am glücklichsten macht, wenn ich spiele. Es ist die Musik, die mir das Gefühl gibt, zu fliegen, wenn ich spiele. So fühlt es sich einfach nach einer großen Freude an, diese Musik in einem so außergewöhnlichen Raum spielen zu können.
DOMRADIO.DE: Ihre Orgelvideos sind auf TikTok und Instagram sehr erfolgreich, Sie haben mehr als eine Million Follower, auf jedem Kanal für sich. Wie machen Sie das?
Lapwood: Ich habe keine Ahnung (lacht)! Ich verstehe nicht wirklich, was in den letzten Jahren da in den sozialen Medien vor sich gegangen ist.
Aber ich denke, vielen Leute sind neugierig auf das Instrument. Wir Organisten wissen, was bei der Vorbereitung eines solchen Konzertprogramms dazugehört. Wir kennen die Komplexität bei der Auswahl von Orgelregistern und die Komplexität, die es mit sich bringt, sich die Balance einer Orgel mit den Klangfarben anzuhören und sie anzupassen.
Das ist aber für viele Menschen eine völlig unbekannte Welt. Ich habe festgestellt, dass die Leute wirklich begierig darauf sind, mehr darüber zu erfahren und zu hören, wie sich diese Welt aus unserer Perspektive als Organist anfühlt.
Wenn Leute Orgelmusik hören, hören sie oft nur zu und können nichts sehen. Aber in den sozialen Medien kannst du sie deine Perspektive sehen lassen und du kannst sie in deine Welt holen und ihnen die "menschliche" Seite zeigen, wie es ist, ein Organist sein. Ich habe gerade festgestellt, dass die Leute das wirklich faszinierend finden und dann zu Konzerten kommen wollen, um das persönlich zu erleben.
DOMRADIO.DE: Verstehen Sie, wenn es manchen Leuten unangenehm ist, wenn Filmmusik in einem Kirchenraum auf der Orgel gespielt wird?
Lapwood: Ich denke, das ist ein sensibles Thema und ich versuche immer sicherzustellen, dass es mit jedem einzelnen Veranstaltungsort eine Diskussion gibt und sichergestellt ist, dass sie dem Konzert zugestimmt haben. Aber ich denke, die Musik, die ich spiele, ist niemals blasphemisch, das ist mir sehr wichtig.
Ich sehe es als eine wirklich gute Gelegenheit, Menschen in diesem Kirchenraum willkommen zu heißen, in den sie sonst nicht gehen würden. Ich weiß, dass manche Menschen, wenn sie nicht ausdrücklich religiös sind, das Gefühl haben, dass sie nicht in ein Sakralgebäude gehen sollten.
Wir wissen natürlich, dass man auch als nichtreligiöser Mensch in eine Kirche gehen "darf", aber manchmal braucht es vielleicht so etwas wie Filmmusik, etwas, das auch nichtreligiösen Menschen vertraut ist. Dann ist die Filmmusik so etwas wie eine Art Tor, das die Menschen in diesen Raum bringt und ihnen ermöglicht, ihn auf diese Weise zu erleben. Ich hoffe also, dass Filmmusik auf der Orgel als eine Art Instrument angesehen werden kann, das Menschen in die Kirche bringt und nicht als etwas, das der Botschaft der Kirche widerspricht.
DOMRADIO.DE: Sie sind eine perfekt ausgebildete Musikerin. Wie bekommt man da eine gute Balance zwischen professioneller Organistin einerseits und Ihrer Rolle als Influencer in den sozialen Netzwerken andererseits?
Lapwood: Ich sehe mich nicht wirklich als Influencer. Ich sehe mich als Organistin, die in den sozialen Medien postet. Ich mache alle meine Posts selbst, was für mich sehr wichtig ist, denn ich bin der Meinung, dass das etwas sehr Persönliches ist und ich es nicht mögen würde, wenn jemand anderes das in meinem Namen tun würde.
Es ist auch nicht so zeitaufwändig, wie man denken könnte, denn ich lasse im Grunde einfach mein Handy filmen, während ich an der Orgel probe. Und wenn es einen Moment gibt, den ich teilen möchte, dann höre ich direkt nach dem Moment auf zu filmen und starte das Video einfach wieder, damit ich weiß, dass es die Sequenz gegen Ende des Videos sein wird, die ich herausschneiden möchte und dann poste ich es. Ich versuche also, nicht zu viel Zeit in den sozialen Medien zu verbringen.
DOMRADIO.DE: Was soll das Publikum von Ihren Konzerten wie jetzt im Kölner Dom mit nach Hause nehmen?
Lapwood: Ich möchte, dass sie mit nach Hause nehmen, was für ein emotionales Instrument die Orgel ist. Ich glaube, das ist der Grund, warum so viele von uns die Orgel so lieben. Sie kann so viele, sehr tiefe, sehr komplexe Emotionen verkörpern.
Die Orgel ist nicht nur das laute bombastische Instrument, für das viele Leute sie halten. Die Orgel ist unglaublich schön und unglaublich sensibel und vielseitig. Und so hoffe ich, dass die Leute das mitnehmen. Ich hoffe, dass die Leute, die zum ersten Mal in die Kathedrale kommen, vielleicht dazu inspiriert werden, zurückzukommen und die Orgel von anderen Organisten spielen zu hören, oder die Chöre hier singen zu hören, und dass dies für sie als eine Art Tor in die Welt der Kirchenmusik gesehen wird. Denn das ist eine sehr reiche, aufregende Welt und ich hoffe, dass mehr Menschen sie kennenlernen werden.
Das Interview führte Mathias Peter.