Kritiker: "peinliche Sachen", Kirche: "kreative Lösungen"

Online-Gottesdienste in Corona-Zeiten – Fluch oder Segen?

In der Corona-Krise ist das digitale Angebot der Kirchen rasant gewachsen. Medienexperten sehen das zum Teil skeptisch und fordern mehr Professionalität. Für die Kirche ist der wesentliche Punkt, bei den Menschen zu sein.

Autor/in:
Michael Althaus und Rainer Nolte
Frau schaut auf einem Laptop einen Gottesdienst an / © Corinne Simon (KNA)
Frau schaut auf einem Laptop einen Gottesdienst an / © Corinne Simon ( KNA )

Ein wackeliges Handy-Video zeigt einen Priester im Messgewand am Altar. Vor der leeren Kirche feiert er die Sonntagsmesse. Sein Gesicht ist nur schwer zu erkennen, das Gesprochene teils kaum zu verstehen.

Nur einer von vielen Online-Gottesdiensten, die katholische und evangelische Gemeinden in den vergangenen Wochen ins Internet gestellt haben. In der Corona-Krise ist das digitale Angebot der Kirchen rasant gewachsen. Die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität und stoßen zum Teil auf kritisches Echo von Experten.

Kritik an digitalem Angebot der Kirchen

"Aua, so peinlich war mir meine Kirche noch nie", schreibt etwa der Politikberater und Katholik Erik Flügge in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". Als Beispiele nennt er Pastoralteams mit Gitarre vor der Kamera oder Leute, "die nicht predigen können" und nun weltöffentlich zur Verfügung stellen, "was schon bisher keiner hören wollte", sowie Priester, die Handpuppen in die Kamera halten. "Was schon für das geübte Kirchenmitglied kaum zu ertragen ist, wirkt noch viel krasser auf Leute, die das nicht kennen", so Flügge in seinem Beitrag.

"Viele Menschen an der kirchlichen Basis überschätzen ihre mediale Kompetenz", ergänzt der 34 Jahre alte Autor auf Anfrage. Es gebe durchaus gut gemachte christliche Beiträge im Netz: "Aber die peinlichen Sachen prägen das Gesamtbild."

Persönlich statt weltweit öffentlich

Laienhaft produzierte Angebote der Gemeinden vor Ort funktionierten nur, wenn die Zuschauer die Beteiligten kennen und mögen, erläutert Flügge. Folglich müssten die Gemeinden solche Beiträge per Direkt-Link exklusiv für ihre Mitglieder zur Verfügung stellen und nicht auf großen Online-Plattformen veröffentlichen, auf die die ganze Welt Zugriff habe.

Flügge rät: "Wer keine Ahnung hat, wie er im Netz auftritt, sollte es lieber lassen und auf professionelle Angebote verweisen." Neben den Fernsehgottesdiensten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebe es durchaus eine Reihe gut gemachter Beiträge von Einzelpersonen.

"Wohnzimmergottesdienst" und Kreativität

Eine solche Einzelperson ist Gunnar Engel aus Wanderup bei Flensburg. Der evangelische Gemeindepastor betreibt seit Jahren auf eigene Initiative einen erfolgreichen Youtube-Kanal. In seinen Videos gibt er Tipps zum Bibellesen, beantwortet Fragen rund um Glaube und Kirche und erzählt aus seinem Alltag.

Seit Beginn der Corona-Krise überträgt der 33-Jährige jeden Sonntag live einen "Wohnzimmergottesdienst". Lässig gekleidet in Jacke und T-Shirt sitzt Engel in seinem modern eingerichteten Pfarrhaus. Er duzt die Zuschauer und spricht direkt in die Kamera. In kurzen Einspielern lesen Gemeindemitglieder Bibeltexte vor und musizieren.

Im Live-Chat können Nutzer Fürbitten formulieren. Die letzten Gottesdienste wurden bis zu 3.000 Mal geklickt. "Ich bekomme viele positive Rückmeldungen aus der ganzen Republik", berichtet Engel.

Unter den vielen neuen Corona-Online-Gottesdiensten erkennt der Youtube-Pastor zwei Lager. "Die einen stellen sich in die leere Kirche, schalten die Kamera ein und machen alles wie immer. Die anderen richten sich auf die neue Situation und das andere Medium ein." Genau das sei auch sein eigener Anspruch. "Ich will kreativ sein und Neues ausprobieren."

Chance für Veränderung

Die Digitalkompetenz der Kirchen ist nach Meinung des Medienprofis verbesserungswürdig. "Wie viele andere Institutionen merken auch wir gerade, dass wir nicht so aufgestellt sind, wie wir es sein sollten."

Die Krise könne eine Chance für Veränderungen sein. "Es gibt bereits gute Angebote in einzelnen Gemeinden, die die Kirchenleitungen gezielt fördern könnten", sagt Engel. Das sei besser als großangelegte, mehrjährige Projekte zu starten. Ähnlich sieht das auch Berater Erik Flügge: "Die Kirchen sollten auf einzelne mediale Profis setzen – und den Menschen an der Basis sagen: Ihr müsst euch erst qualifizieren, bevor ihr im Netz auftretet."

Unterstützung in der neuen Seelsorgeform

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz zeigt sich indes zufrieden mit der Situation. "Es war eindrucksvoll zu sehen, wie rasch sich Seelsorger und Gläubige, also die Gemeinden vernetzt haben", sagt Sprecherin Daniela Elpers. Jeder habe nach seinen Möglichkeiten "flexibel und kreativ" reagiert: "Dabei kommt es nicht immer darauf an, Medienprofi zu sein, sondern vor allem, seiner Gemeinde zu zeigen: Ich bin für euch da!"

Die Bistümer und auch die Bischofskonferenz hätten das nach Kräften unterstützt. So seien auf zahlreichen Internetseiten Hinweise und Anleitungen für die Übertragung von Gottesdiensten verfügbar.

Beispielsweise habe das Erzbistum Freiburg mit der Internetseite "Konkrete Initiativen für die Seelsorge in Zeiten von Corona" eine Plattform zur Vernetzung geschaffen. Die katholische Journalistenschule ifp habe zudem in einer Facebookgruppe einen Austausch und persönliches Coaching angeboten.

Die kleinen und großen Aktionen können laut Bischofskonferenz jedoch die reale Messfeier von Priestern und Gemeinde nicht ersetzen. "Aber auf den gemachten Erfahrungen bauen wir in Zukunft auf", erklärt Sprecherin Elpers. Bei allen Überlegungen müsste auch der Datenschutz im Blick bleiben.

Und nach der Corona-Zeit?

Gunnar Engel will seine Online-Gottesdienste auch nach der Krise fortsetzen. "Wir werden eine Variante erarbeiten, wie wir unsere Gottesdienste auch in Zukunft livestreamen können, wenn wir wieder in der Kirche feiern", verspricht er. Er hofft, dass auch andere seinem Beispiel folgen.

"Das Schlimmste wäre, wenn wir nach Corona plötzlich Hunderte eingeschlafene Youtube-Kanäle von Gemeinden hätten, auf denen nichts mehr passiert."


Kirche und Medien / © Harald Oppitz (KNA)
Kirche und Medien / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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