Neues Buch zu Mussolini, Hitler und Pius XII. erschienen

Warum schwieg Papst Pius XII.?

​​​​​​​Wie ist das Handeln von Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs zu bewerten? Der US-amerikanische Wissenschaftler David Kertzer hat bislang unbekanntes Material im Vatikanischen Archiv ausgewertet.

Autor/in:
Christiane Laudage
Papst Pius XII / © Historische Aufnahme (KNA)
Papst Pius XII / © Historische Aufnahme ( KNA )

Warum schwieg Papst Pius XII. zu den nationalsozialistischen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg und vor allem zur Ermordung der Juden in Europa? Der US-amerikanische Wissenschaftler David Kertzer will auf diese Frage eine Antwort geben und ging dafür im Vatikanischen Apostolischen Archiv auf Spurensuche. Sein Buch über Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Die Institution Kirche beschützen

Dokumente zum Pontifikat von Papst Pius XII. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Dokumente zum Pontifikat von Papst Pius XII. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Für das Schweigen des Papstes, das Pius XII. selbst als sehr schmerzhaft empfand, sieht Kertzer verschiedene Gründe. Bis ungefähr Ende 1942 ging Pius XII. "von einer Zukunft aus, in der Deutschland den europäischen Kontinent beherrschen würde", so Kertzer. Daher habe der Papst in diesen Jahren alles getan, um sich sowohl mit den italienischen Faschisten unter Benito Mussolini wie mit dem NS-Regime gut zu halten. Denn ihm sei es zuerst darum gegangen, "die Institution Kirche zu beschützen".

Die Besetzung Roms durch deutsche Truppen im September 1943 stellte den Papst nach Ansicht des US-amerikanischen Wissenschaftlers vor eine weitere Herausforderung. "Weil er die Vatikanstadt und die vielen anderen kirchlichen Einrichtungen in der Welthauptstadt des Katholizismus um jeden Preis schützen wollte, war Pius XII. fest entschlossen, freundliche Beziehungen zur Besatzungsmacht zu pflegen." Kertzer interpretiert die Entscheidung des Papstes, nicht gegen den Abtransport der römischen Juden im Oktober 1943 zu protestieren, vor diesem Hintergrund.

Angst vor sowjetischem Sieg

Audienz mit Papst Pius XII. (KNA)
Audienz mit Papst Pius XII. / ( KNA )

Als dann ab 1943 deutlich wurde, dass Deutschland und Italien als Achsenmächte den Krieg verlieren würden, wuchs bei Pius XII. die Angst vor den Folgen, die ein sowjetischer Sieg für das Schicksal der Kirche haben könnte.

Bevor Eugenio Pacelli Papst wurde, war er lange Jahre Nuntius in Deutschland (1917-1929) und nachfolgend als Kardinalstaatssekretär der Chefdiplomat des Heiligen Stuhls - hatte also sehr genaue Kenntnisse von den führenden politischen Akteuren in Deutschland wie auch in Italien. Er machte sich keinerlei Illusionen, weder über Hitler noch über Mussolini - er fürchtete sie sogar.

Kertzer stellt fest, dass, soweit sich aus den vatikanischen Archiven ersehen lasse, Pius XII. niemals ernsthaft in Erwägung gezogen habe, Hitler oder Mussolini, die beide wenigstens der Taufe nach katholisch waren, zu exkommunizieren. Allerdings hätte die NS-Führungsriege davor Angst gehabt.

Denn Millionen Katholiken waren gleichzeitig auch glühende Anhänger Hitlers, so Kertzer. "Hitler und die Nazis anzugreifen, während deutsche Truppen auf dem Vormarsch durch Europa waren und allerorten die jüdische Bevölkerung zur Vernichtung zusammentrieben, hätte bedeutet, die Treue jener Millionen zur katholischen Kirche aufs Spiel zu setzen."

"Als moralische Führungsinstanz" versagt

Dokumente im Vatikanarchiv zum Pontifikat von Pius XII. / © Cristian Gennari (KNA)
Dokumente im Vatikanarchiv zum Pontifikat von Pius XII. / © Cristian Gennari ( KNA )

Kertzer ist in seinem Urteil über das Handeln des Papstes im Zweiten Weltkrieg zwiegespalten. Einerseits: "Misst man Pius XII. allein an seinem Einsatz für den Schutz der institutionellen Interessen der römisch-katholischen Kirche zu Kriegszeiten, so lässt sich sein Pontifikat mit einiger Berechtigung als Erfolg verbuchen." Aber: "Nimmt man den Papst jedoch als moralische Führungsinstanz in den Blick, so hat Pius XII. versagt." Denn: "In einer Zeit großer Unsicherheit hielt Pius XII. eisern an seiner Absicht fest, nichts zu tun, was einen der beiden Diktatoren gegen ihn aufbringen könnte. Und in diesem Bestreben war der Papst bemerkenswert erfolgreich", konstatiert der Wissenschaftler.

Kritik an Historiker Kertzer

Papst Pius XII. (KNA)
Papst Pius XII. / ( KNA )

Als im vergangenen Sommer Kertzers Buch über Pius XII. im Zweiten Weltkrieg erst auf Englisch und kurz danach auf Italienisch erschien, zeigte man sich im Vatikan wenig erfreut. Der Historiker Matteo Luigi Napolitano veröffentlichte in der vatikanischen Tageszeitung "Osservatore Romano" eine ausführliche Besprechung, in der er Kertzer verschiedene gravierende Fehler nachwies. Kertzer antwortete auf die Besprechung mit einer Erwiderung auf seiner eigenen Website.

Kritik kam auch von dem Vatikan-Archivar und flämischen Historiker Johan Ickx. Er verteidigt seit der Öffnung der Archive vor drei Jahren immer wieder das Handeln von Papst Pius XII. Dieser habe nicht zu den Verbrechen geschwiegen, wenn es nicht aufgrund der diplomatischen Bestrebungen nötig gewesen sei. Es gebe viele Ansprachen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, diese müssten richtig gelesen werden.

Von der Öffnung der vatikanischen Archive versprach man sich ein Ende des sogenannten Pius-Krieges. Dieser wird seit Jahren zwischen den Bewunderern und den Kritikern des Papstes ausgetragen über die Haltung des Papstes im Zweiten Weltkrieg. Die Diskussion wird auch nach der Veröffentlichung von Kertzers Buch in Deutschland weitergehen.

 

Quelle:
KNA
Mehr zum Thema