Erforschung jüdischer Bittschreiben an Pius XII. gestartet

"Asking the Pope for Help"

Impulse für die Erinnerungskultur erhofft sich die frühere deutsche Vatikan-Botschafterin Annette Schavan von einem neuen Forschungsprojekt. "Asking the Pope for Help" ging am Montag bei einer Tagung in München an den Start.

Dokumente zum Pontifikat von Papst Pius XII. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Dokumente zum Pontifikat von Papst Pius XII. / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Das Projekt ist eine Gemeinschaftsarbeit von Wissenschaftlern mit Vertretern der katholischen Kirche und der jüdischen Gemeinschaft am Montag. 

Annette Schavan / © Julia Steinbrecht (KNA)
Annette Schavan / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf und sein Team werden in den kommenden zehn Jahren die Bittschreiben von rund 15.000 verfolgten jüdischen Menschen aus ganz Europa während der NS-Zeit an Papst Pius XII. für eine Online-Edition bearbeiten.

"Erinnerung klärt auf und fordert, uns mit den Menschen, die Opfer wurden, mit ihren Biografien und mit ihrem Leiden zu beschäftigen und Verantwortung wahrzunehmen für das, was heute zu tun ist, damit die Würde eines jeden Menschen unantastbar bleibt", sagte Schavan. Sie ist Vorsitzende der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".

Mit mehreren Partnern, darunter das Auswärtige Amt, zählt die Stiftung zu den Förderern des Projekts.

Jüdischen Menschen der NS-Zeit wieder eine Stimme geben

Hubert Wolf, deutscher Historiker, in der Diözesanbibliothek Münster.  / © Andreas Kühlken (KNA)
Hubert Wolf, deutscher Historiker, in der Diözesanbibliothek Münster. / © Andreas Kühlken ( KNA )

Vor zwei Jahren hatte der Vatikan sein Archiv zum Pontifikat von Pius XII. (1939-1958) für die Forschung geöffnet. Dabei entdeckte Wolf die Bittbriefe. Der Historiker sprach von einem Paradigmenwechsel. In dem Projekt stehe nicht der Papst im Fokus. Es gehe darum, "jüdischen Menschen, deren Andenken die Nationalsozialisten auslöschen wollten, wieder eine Stimme zu geben und ihr Schicksal öffentlich sichtbar zu machen". Erforscht werden solle aber auch, welche Schreiben dem Papst vorgelegt wurden, wie oft der Heilige Stuhl helfen konnte und ob es einen Unterschied zwischen getauften und nicht getauften Juden gab.

Forschung wichtig für Kampf gegen Antisemitismus

Der Trierer Weihbischof Jörg Michael Peters sagte, aus den Briefen spreche Verzweiflung in einer ausweglosen Lage. Mit ihnen hätten die Verfasser die letzte Hoffnung verbunden, doch noch dem Tod zu entkommen. Diese Perspektive wie die Erforschung von Strukturen geleisteter oder verweigerter Hilfe seien für das Verständnis für Geschichte gleich bedeutsam und auch wichtig für den Kampf gegen Antisemitismus in der Gegenwart. Peters ist in der Deutschen Bischofskonferenz mitzuständig für die religiösen Beziehungen zum Judentum.

Die Tagung fand unter dem Titel "Heiliger Vater, retten Sie uns!" in der Katholischen Akademie in Bayern statt.

Juden in Deutschland

Jüdisches Leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik gibt es seit mehr als 1.700 Jahren. Der älteste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 321 aus Köln. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten 1933 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches rund 570.000 Juden. In der Folge des Holocaust wurden etwa 180.000 von ihnen ermordet, sehr viele flohen. 1950 gab es nur noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Eine Zukunft jüdischen Lebens im Land der Täter schien unwahrscheinlich und war innerjüdisch umstritten.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )
Quelle:
KNA