Neue Trierer Missbrauchsstudie belastet Bischöfe

734 Betroffene

Ein Bericht der Universität Trier wirft Bischöfen und Behörden Versäumnisse im Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche vor. Die Forscher sehen sowohl systemische Fehler mehrerer Bischöfe als auch positive Zeichen.

Autor/in:
Matthias Jöran Berntsen
Blick auf Trier mit dem Dom St. Peter / © Preisler (shutterstock)
Blick auf Trier mit dem Dom St. Peter / © Preisler ( shutterstock )

Ein neuer Missbrauchsbericht – und wieder stehen katholische Bischöfe in der Kritik: Kardinal Reinhard Marx, von 2001 bis 2008 Bischof von Trier und heute Erzbischof von München und Freising, sowie der amtierende Trierer Bischof Stephan Ackermann. Sie hätten nicht alles getan, um Missbrauchsfälle transparent aufzuklären, lautet das Fazit einer am Donnerstag in Trier präsentierten Studie. Demnach wurden im Untersuchungszeitraum bis 2021 insgesamt 37 Beschuldigte (21 unter Marx, 16 unter Ackermann) und mindestens 59 Betroffene (35 unter Marx, 24 unter Ackermann) im Bistum ermittelt. 

Reinhard Kardinal Marx (l.) und Bischof Stephan Ackermann (Archiv) / © Harald Oppitz (KNA)
Reinhard Kardinal Marx (l.) und Bischof Stephan Ackermann (Archiv) / © Harald Oppitz ( KNA )

Besonders kritisch sehen die Autoren die Zeit unter Bischof Marx: Bei der Fürsorge für die Betroffenen lasse sich "lediglich das Versagen der Bistumsleitung konstatieren". Die Anzeige- und Informationspflicht gegenüber Staatsanwaltschaft und übergeordneten Kirchenbehörden sei vernachlässigt worden. "Ein selbstkritischer Blick auf die eigenen kirchlichen Strukturen fehlte", schreiben die Wissenschaftler.

Kritik an Kommunikation der Staatsanwälte

Kritik gibt es auch an staatlichen Stellen. Unter anderem berichten die Autoren von einer "Absprache zweier Behörden mit negativen Folgen: Zum einen wurde eine strafrechtliche Überprüfung vermieden und zum anderen wurde das Umfeld nicht über den Vorfall informiert." Das Bistum und das Bildungsministerium des Saarlandes verständigten sich laut Darstellung darauf, einem gemeldeten Fall ohne entsprechende Anzeige der Eltern nicht nachzugehen.

Insignien weltlicher Gerichtsbarkeit: Hammer, Justitia und Aktenstapel. / © Volker Hartmann (dpa)
Insignien weltlicher Gerichtsbarkeit: Hammer, Justitia und Aktenstapel. / © Volker Hartmann ( dpa )

"Auch die Strafverfolgungsbehörden kommunizierten nur unzureichend", stellen die Forscher fest. Staatsanwaltschaften in Trier sowie Saarbrücken hätten in verschiedenen Fällen das Bistum nicht über ihre Entscheidungen informiert. "Eine routinierte Form der Kommunikation zwischen den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften und dem Bistum hinsichtlich der Meldung von bekanntgewordenen Fällen sexualisierter Gewalt entwickelte sich erst nach 2010."

Medien, die für Aufklärung sorgen

Positiver sehen die Forscher die Zeit unter Bischof Ackermann zwischen 2010 und 2021. Der Umgang der Bistumsverwaltung mit Fällen sexualisierter Gewalt sei professionalisiert worden. Die "institutionelle Öffentlichkeit" sei wesentlich größer gewesen. Demnach war Ackermann bei allen neuen Fällen an der Bearbeitung beteiligt. Das Thema sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Bistumsbedienstete sei tatsächlich Chefsache geworden, heißt es. Der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes aller neu gemeldeten Fälle kam das Bistum in 15 von 16 Fällen nach. In einem Fall wurde eine Meldung - nach Prüfung - nicht weiterverfolgt.

Systematische Fehler fänden sich jedoch in beiden Amtszeiten: "Die Fürsorgepflicht für die Täter wurde höher gewichtet als das öffentliche Sicherheitsbedürfnis", bilanzieren die Wissenschaftler. Sie sprechen generell von Versäumnissen in der Personalführung. Den Bischöfen werfen sie mangelnde Transparenz vor: "Vielfach übernahmen die Medien die Aufklärung, die das Bistum hätte leisten müssen." Eine unzureichende Aktenführung und Informationsweitergabe werden ebenfalls kritisiert.

Risiko für katholische Kinder gesunken

Es gebe aber auch positive Entwicklungen. So sei die Zahl betroffener Kinder und Jugendlicher im Untersuchungszeitraum deutlich gesunken. Das Risiko für katholische Kinder, Opfer sexueller Übergriffe zu werden, habe sich in den zurückliegenden drei Jahrzehnten halbiert. Seit 2010 spiele Fürsorge für Betroffene eine "zentrale Rolle im Rahmen der institutionellen wie individuellen Aufarbeitung". Strukturen mit Ansprechpersonen und Fachgremien seien eingerichtet.

Die Wissenschaftler werteten für den rund 140-seitigen Bericht fast 1.300 Aktenbände aus und führten 30 Gespräche. Insgesamt gab es laut Studie in den vergangenen Jahrzehnten mindestens 734 Betroffene sexualisierter Gewalt. Zudem wurden für die Jahre 1946 bis 2021 insgesamt 246 Beschuldigte identifiziert, "die sich sexualisierter Gewalt schuldig gemacht haben, sowie zwei weitere Personen ausschließlich wegen Besitzes von Kinderpornografie".

Bistum Trier

Das Bistum Trier ist das älteste in Deutschland. Es erstreckt sich über eine Fläche von 12.870 Quadratkilometern. Im Bistum Trier, das Grenzen zu Frankreich, Luxemburg und Belgien hat, leben etwa 2,5 Millionen Menschen, davon sind 1,1 Millionen katholisch. 

Als erster Bischof von Trier gilt der Heilige Eucharius im dritten Jahrhundert. Das spätere Erzbistum, dessen Oberhirten seit 1198 auch Kurfürsten waren, war eines der wichtigsten im alten Reich. Es umfasste ein Gebiet vom französischen Stenay an der Maas im Westen bis vor Gießen im Osten. 

Liebfrauenkirche und Trierer Dom / © Julia Steinbrecht (KNA)
Liebfrauenkirche und Trierer Dom / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA