Betroffenenaktivist Katsch erkennt bei Papst Leo Offenheit für Dialog

"Er allein kann die Kirche nicht von heute auf morgen verändern"

Zum ersten Mal hat Papst Leo XIV. Betroffene von Missbrauchsfällen in der Kirche zu einer Audienz empfangen. Der Deutsche Matthias Katsch war in Rom dabei und berichtet von der Atmosphäre, seinen Eindrücken und vorsichtiger Hoffnung.

Autor/in:
Marcus Poschlod
Papst Leo XIV. winkt den Menschen vom Papmobil nach der Messe im Rahmen der Heiligsprechung von drei Frauen und vier Männern am 19. Oktober 2025 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Leo XIV. winkt den Menschen vom Papmobil nach der Messe im Rahmen der Heiligsprechung von drei Frauen und vier Männern am 19. Oktober 2025 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: War das Ihre erste Audienz bei einem Papst?

Matthias Katsch (Vorstandsmitglied des internationalen Betroffenenverbandes "Ending Clergy Abuse", ECA): Ja, tatsächlich. Ich war bisher noch nie in diesen Räumen und hatte auch keine Gelegenheit, einen Papst persönlich kennenzulernen. Insofern war das ein besonderer Moment.

 

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Treffen mit Papst Leo XIV. erlebt?

Katsch: Es ist beeindruckend, wie der Vatikan auf einen Besucher wirkt. Man kennt das aus den vatikanischen Museen: diese endlosen Korridore, die Kunstwerke, die Atmosphäre. Der Weg führt durch viele Flure hin zu einem Arbeitszimmer irgendwo tief im Inneren des Gebäudes. Man hat das Gefühl, da sitzt jemand in der Mitte einer riesigen Maschine – vielleicht auch ziemlich allein.

Die Atmosphäre war also schon besonders. Persönlich hat der Papst einen sehr angenehmen Eindruck gemacht. Es war keine Distanz zu spüren, wie man sie bei prominenten Persönlichkeiten manchmal erlebt. Das Drumherum wirkt beeindruckend, vielleicht auch einschüchternd – vielleicht soll es das auch.

DOMRADIO.DE: Wie war die Stimmung im Raum? Kann man die Atmosphäre beschreiben?

Matthias Katsch

"Ich war überrascht, wie unkompliziert er ist."

Katsch: Es war tatsächlich so, wie man es aus Bildern kennt, wenn Staatschefs beim Papst empfangen werden: ein großes Büro, sein Schreibtisch, und im Halbkreis Stühle um seinen erhöhten Sessel. Wir waren zu sechst, später zu siebt.

Trotz der anfänglichen Anspannung sind wir schnell in einen guten Gesprächsmodus gekommen. Ich war überrascht, wie unkompliziert er ist. Wenn man ihn sonst nur vom Bildschirm kennt und dann merkt, er ist ein sehr zugänglicher, offener Mensch – das fand ich angenehm.

DOMRADIO.DE: Sie haben sich vor dem Treffen "vorsichtig optimistisch" geäußert. Was meinten Sie damit?

Katsch: Uns war klar, dass wir bei einer solchen Gelegenheit nicht das große Rad drehen würden. Geplant waren 20 Minuten, am Ende haben wir fast eine Stunde gesprochen – auf Spanisch und Englisch.

Ziel war zunächst, einen Gesprächskanal herzustellen, ein Gefühl füreinander zu bekommen und zu sehen: Was ist möglich? Gibt es gemeinsame Interessen – Kinder, Jugendliche und schutzbedürftige Erwachsene besser zu schützen, Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Fälle aufzuklären?

Matthias Katsch

"Ich hatte das Gefühl, dass er verstanden hat, dass wir wirklich an diesen Lösungen arbeiten wollen."

Bevor es um Inhalte ging, sollte deutlich werden: Wir sind Betroffene, die kritisch, aber konstruktiv mit der Kirche umgehen, weil wir Lösungen wollen. Diese Atmosphäre war wichtig, denn Berührungsängste bestehen oft noch – auch bei Bischöfen, die das Thema kennen.

Das Besondere war: Es war das erste Mal, dass der Papst Betroffene und Aktivisten in organisierter Weise getroffen hat. Früher ging es bei solchen Begegnungen meist darum, persönliche Geschichten zu hören und Mitgefühl zu zeigen. Hier ging es darum, gemeinsam über Lösungen zu sprechen.

Ich hatte das Gefühl, dass er verstanden hat, dass wir wirklich an diesen Lösungen arbeiten wollen. Wir haben dann auch inhaltlich Themen angesprochen – vor allem unsere Forderung nach einer wirksamen Nulltoleranzpolitik im Kirchenrecht bei Missbrauch durch Kleriker. Aber das Wichtigste war, eine Gesprächsbasis für weitere Kontakte zu schaffen.

DOMRADIO.DE: Sie sagten, der Papst sei bereit, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die versagt haben. Was verstehen Sie darunter?

Katsch: Die Hoffnung, dass dieses Treffen etwas bewirken könnte, kam daher, dass er schon früher konsequent gehandelt hat. In seiner Zeit als Bischof in Peru und später als Präfekt der Bischofskongregation in Rom hat er entscheidend dazu beigetragen, dass eine katholische Gemeinschaft – ich nenne sie eine Sekte – mit weltweiten Verbindungen aufgelöst wurde.

Matthias Katsch

"Er sagte, alle in der Kirche und in der Kurie seien aufgerufen, ins Handeln zu kommen und Dinge voranzubringen."

Das war das erste Mal, dass ein Papst eine solche Organisation in mehrfacher Ausfertigung aufgehoben hat. Grundlage waren Ermittlungen, die er befördert hatte, weil dort Verbrechen geschehen waren – auch sexuelle, geistliche und körperliche Gewalt. Dieses konsequente und mutige Handeln hat uns motiviert, ihm zu schreiben und eine Brücke zu bauen. Wir wollten ihm helfen, die Brücken zu errichten, zu denen er als Papst beauftragt ist.

DOMRADIO.DE: Das klingt nach einem positiven Zeichen. Wie geht es jetzt weiter?

Katsch: Zwei Dinge: Erstens hat er uns ermutigt, unsere internationale Vernetzungsarbeit fortzusetzen – als Zusammenschluss von Betroffenen und Menschenrechtsaktivisten aus aller Welt. Wir kamen aus verschiedenen Regionen: Afrika, Europa, Nord- und Südamerika, Asien. Es gibt noch viele weiße Flecken. Er hat gesagt: "Macht weiter, das ist wichtig."

Zweitens hat er deutlich gemacht, dass er die Gespräche fortsetzen will – persönlich oder über seine Mitarbeiter in der Kurie. Er sagte, alle in der Kirche und in der Kurie seien aufgerufen, ins Handeln zu kommen und Dinge voranzubringen. Unsere Vorschläge wolle er aufnehmen und sich kritisch damit auseinandersetzen.

Matthias Katsch

"Er braucht Verbündete innerhalb der Kirche."

Wir rechnen damit, dass es im kommenden Jahr weitere Formate geben wird – zu Themen wie Nulltoleranz, Unterstützung und Heilung für Betroffene sowie Entschädigungsfragen. Diese sollen mit ihm oder mit Vertretern der Kurie geführt werden.

Aber eines ist mir klar geworden, als wir durch diese endlosen Gänge gingen: Er allein kann nicht alles wieder gutmachen, was zerstört wurde. Er kann die Kirche nicht von heute auf morgen verändern. Er sagte selbst: Als er jung war, habe man geglaubt, der Papst sage etwas und das Problem sei gelöst. Diese Zeiten sind vorbei, und das weiß er.

Er braucht Verbündete innerhalb der Kirche – und jetzt vielleicht auch ein paar Verbündete außerhalb, die seine Arbeit unterstützen, weil es um konkrete Anliegen von Menschen geht.

Das Interview führte Marcus Poschlod.

Quelle:
DR

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