Moraltheologin erkennt Änderung der Trauerkultur durch Smartphones

Lieber ein Selfie statt ein stilles Gebet?

Nach dem Tod von Papst Franziskus kursieren viele Selfies und Fotos aus dem Petersdom. Die Moraltheologin Kerstin Schlögl-Flierl erklärt, wann Fotos Zeichen der Verbundenheit sind und wann sie eine Grenze überschreiten können.

Autor/in:
Dagmar Peters
Menschen stehen am 23. April 2025 dicht gedrängt in einer Schlange im Petersdom. Dort verabschieden sie sich von Papst Franziskus, dessen Leichnam in einem offenen Sarg aufgebahrt ist. Viele fotografieren und machen Selfies mit ihrem Smartphone. / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Menschen stehen am 23. April 2025 dicht gedrängt in einer Schlange im Petersdom. Dort verabschieden sie sich von Papst Franziskus, dessen Leichnam in einem offenen Sarg aufgebahrt ist. Viele fotografieren und machen Selfies mit ihrem Smartphone. / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

DOMRADIO.DE: Schon am Tag von Papst Franziskus’ Tod haben viele Menschen Fotos gepostet, auf denen sie dem Papst die Hand schütteln. Das ist nicht verboten und vielleicht auch gut gemeint. Aber ist es angemessen, sich selbst in so einem Moment in Szene zu setzen? Wäre nicht der Papst derjenige, den man in den Mittelpunkt stellen sollte?

Prof. Kerstin Schlögl-Flierl / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Kerstin Schlögl-Flierl / © Harald Oppitz ( KNA )

Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl (Professorin für Moraltheologie an der Universität Augsburg und Mitglied im Deutschen Ethikrat): Das zeigt sich bei den Fotos sehr deutlich. Ich würde sagen, wenn die Verbundenheit mit ihm gezeigt werden soll, dann ist das schön. Aber wenn es nur darum geht, sich selbst zu inszenieren, wäre ich eher skeptisch und kritisch.

Kerstin Schlögl-Flierl

"Wenn es nur um Selbstinszenierung geht, bin ich skeptisch"

DOMRADIO.DE: Das Smartphone ist überall griffbereit. Besucher des Petersdoms machten Selfies am offenen Sarg mit dem toten Papst und das obwohl das Fotografieren in dieser Situation verboten war. Gibt es keine Ehrfurcht mehr?

Schlögl-Flierl: Ich habe mir überlegt, was Papst Franziskus wohl denken würde. Was hätte er gewollt? Klar, das kann man nur vermuten. Aber er war gerne mit Menschen zusammen. Da habe ich mich gefragt, ob das Selfie dazu dient, allen zu zeigen, dass ich da war oder ist es ein Anlass, später zu beten? Beim Selfie am offenen Grab kann es sein, dass es später hilft, an ihn zu denken und zu beten. 

Wenn es aber nur totale Selbstinszenierung ist, bin ich skeptisch. Wenn das Selfie eine persönliche Erinnerung ist, kann es helfen, die Erinnerung lebendig zu halten.

Kerstin Schlögl-Flierl

"Es geht um die Intention hinter den Fotos"

DOMRADIO.DE: Die Menschen hatten nur ein paar Sekunden, um am Sarg vorbeizugehen. Wenn man es für sich behält, kann man den Moment auch im Herzen bewahren. Wo sehen Sie ethisch-moralische Grenzen?

Schlögl-Flierl: Wie gesagt, wenn es nur darum geht, sich selbst zu inszenieren, wäre ich vorsichtig. Wenn es darum geht, den Moment für sich festzuhalten, kann es vertretbar sein. Es kommt auf die Intention an.

DOMRADIO.DE: Wenn Menschen heute Särge bemalen oder Popsongs bei Beerdigungen spielen, hätte das unseren Eltern oder Großeltern vielleicht nicht gefallen. Ändert das allgegenwärtige Handy auch unsere Trauerkultur?

Schlögl-Flierl: Sicher ändert sich da viel. Die Frage ist, warum halte ich das Handy hoch und bete nicht? Wir versuchen, etwas festzuhalten und eine andere Erinnerungskultur zu schaffen. Die Sehgewohnheiten haben sich geändert. Auch Papst Franziskus wollte mit der Zeit gehen, aber ohne Grenzen zu überschreiten. Es ist wichtig, auch gedanklich beim Gottesdienst zu sein und nicht nur mit dem Handy. Es geht nicht darum, die besten Fotos zu machen, sondern sich zu fragen, warum bin ich hier? Um zu trauern.

Kerstin Schlögl-Flierl

"Wenn das Handy eine Barriere wird, wird es schwierig"

DOMRADIO.DE: Bei der Beisetzungsfeier haben viele Menschen gefilmt, statt zu beten. Manche wollen zeigen, dass sie dabei waren, andere dokumentieren ein historisches Ereignis. Ist das ethisch verwerflich?

Schlögl-Flierl: Wenn es darum geht, den Moment festzuhalten und sich später wirklich damit zu beschäftigen, ist es anders. Aber wenn das Handy eine Barriere ist und den wirklichen Mitvollzug des Gottesdienstes behindert, wird es schwierig, seelisch dabei zu sein. Es bleibt aber letztlich eine individuelle Entscheidung.

DOMRADIO.DE: Einen Moment im Herzen spüren, trauern, beten, das Handy in der Tasche lassen – was könnte das Bewirken, wenn mehr Menschen es täten?

Schlögl-Flierl: Im Moment zu sein, wie wir es angedeutet haben. Das fällt uns immer schwerer. Ich möchte nicht kulturpessimistisch sein, aber das ist eine Beobachtung. Wenn alle das Handy in der Hosentasche hätten, könnte es auch Gegenbewegungen geben. Gute Massenphänomene könnten entstehen, die dagegenhalten.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR

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