Ist der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland gefährdet? Ja. Sagen rund drei Viertel (76 Prozent) der Menschen. So das Ergebnis einer Studie im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Welchen Institutionen oder Gruppen die Menschen am ehesten zutrauen, den Zusammenhalt zu fördern und zu fordern, wurde ebenfalls abgefragt – die Kirchen belegten dabei einen der hinteren Plätze. Zu Recht?
Engagement im Sportverband
"Für Zusammenhalt zu sorgen, das ist einer unserer Kernpunkte!", sagt Nicolas Niermann, der Geschäftsführer des DJK Köln. Der katholische Sportverband hat in Deutschland über 458.000 Mitglieder in rund 1100 Vereinen. Der Verein ist offen für alle, Inklusion wird groß geschrieben. Allein dieses selbstverständliche Miteinander von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen schweißt zusammen, so erlebt es Niermann täglich.
Auch wenn, sagt er, mancher sich vielleicht gar nicht darüber im Klaren ist, dass er gerade in einem katholischen Verband Handball spielt oder Leichtathletik trainiert – schließlich steht nicht dick und fett "Kirche" als Absender drauf. Und doch versucht der DJK, dass in all seinen Vereinen und Maßnahmen der Glaube lebendig und gelebt wird. Für manche, sagt Nicolas Niermann, kann das auch zunächst einfach darin spürbar sein, dass sie merken: "Wow, die Leute sind hier irgendwie anders miteinander. Es spielt keine Rolle, ob ich jetzt der beste Spieler bin oder nicht. Ich bin genauso Teil der Mannschaft. Ich fliege nicht raus, ich werde nicht als Kind aussortiert, weil ich irgendwelche Leistungsgrenzen gerade nicht schaffe. Die anderen holen mich auch rein, wenn ich eine Beeinträchtigung habe."
Kirchliche Werte im Alltag
Darum geht es primär. Wer dann ein bisschen mehr mit dem katholischen Sportverband zusammenarbeitet, merkt irgendwann, dass die kirchlichen Werte stark betont werden. "Beim Bogenschießen geben wir den Leuten spirituelle Impulse mit auf den Weg, vielleicht ein Gebet oder eine Bibelstelle, die Kraft geben sollen, und die das, was wir im Sport erleben, auch nochmal unterstützen oder einsortieren soll."
Die Frage, wer oder was für den gesellschaftlichen Zusammenhalt verantwortlich ist, beantwortet Ulrike Reichart, Leiterin des Bündnis der Bürgerstiftungen Deutschland, so: "Das sind aus meiner Sicht keine Organisationen. Dafür ist jeder Einzelne von uns verantwortlich."
Bürgerstiftungen als neutraler Akteur
Viele Menschen, die sich in einer der zahlreichen Bürgerstiftungen engagieren, teilen humanistische, ethische Grundwerte. Da die Bürgerstiftungen unter dem Dach des Bündnis Bürgerstiftungen Deutschland so neutral wie möglich sein wollen, stehen hier weder kirchliche noch parteipolitische, private oder unternehmerische Interessen im Vordergrund. Für nicht kirchlich gebundene Menschen, vermutet Reichart, ist eine Bürgerstiftung genau deshalb attraktiv. "Vielleicht ist es wie mit einer Bank, die dominiert", sagt Reichart. "Da würde man sagen, mein Konto ist nicht dort. Ich habe mit dieser Institution nichts zu tun. Warum soll ich mich da engagieren, wenn diese Firma sozusagen da draufsteht?"
Ob es explizit Christinnen und Christen sind, die sich engagieren, weiß Ulrike Reichart nicht. Wohl aber sagt der letzte Freiwilligen-Survey 2019, dass die meisten Menschen, die sich aktiv einbringen, der katholischen oder evangelischen Kirche angehören. Eine Bürgerstiftung ist – wie eine Pfarrgemeinde – immer lokal aktiv, Menschen stiften nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit und Ideen. Damit möchten sie das gute gemeinsame Leben, den Respekt und den Zusammenhalt fördern.
Kirche als Wertevermittlerin
"Ich denke, die Kirche repräsentiert trotz sinkender Mitgliederzahlen weltweit gesehen immer noch den größten gemeinsamen Nenner, was Werte angeht. Ich wüsste nicht, wer das in naher Zukunft übernehmen sollte. Ich finde es sehr wichtig, dass die Kirche es schafft, diesen Verlust von Mitgliedschaften irgendwie aufzufangen", sagt die Leiterin des Bündnis Bürgerstiftungen. Und hebt hervor, wie wichtig Vernetzung und Kooperationen sind. "Es wird immer wieder betont von allen Bürgerstiftungen, dass es diese Abgrenzung gibt, und dass es um eine gute Kooperation geht. Das ist sozusagen in der DNA der Bürgerstiftung enthalten. Man will ja was Gutes tun für die Menschen, für den Zusammenhalt."
Mut gemacht hat Ulrike Reichart im Frühjahr ein internationales Treffen von Support-Organisationen. "Hier treffen sich Menschen aus der ganzen Welt, die das eine Ziel haben: das Leben oder die Gesellschaft besser zu machen. Direkt da, wo sie sind, vor Ort. Ich würde nicht sagen, dass wir das, was die Kirchen machen, da ersetzen, halte es aber für eine sehr gute Ergänzung." Das sei die Idee von Menschen, die dieselben Werte vertreten. Die Werte, die in der Bibel stehen, die Worte, die im Grundgesetz stehen. "Das macht mich doch optimistisch, dass da etwas Gutes immer größer wird."
Wertevermittlung heute
Religionssoziologen sagen, wichtige Werte wie Nächstenliebe und Gerechtigkeit seien früher explizit durch die Kirche vermittelt worden. Heute würde dies auch durch andere soziale Strukturen befördert – Familie zum Beispiel. Der DJK-DV-Köln-Geschäftsführer Nicolas Niermann stimmt dieser Einschätzung zu und ergänzt, natürlich sei ja der Rest der Gesellschaft nicht wertfrei.
"Auch im Sport ist das so. Wir sind ein Bein Kirche, ein Bein Sport. Auch nach dem Sport stehen die Werte natürlich bei uns ziemlich hoch oben auf dem Plateau. Es gibt schon eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen, aber Kirche kann dem Ganzen doch nochmal einen stärkeren Kompass geben." Und dann fügt er das an, was auch Ulrike Reichart sagt: "Ich denke, die Zusammenarbeit von Kirchen und anderen Institutionen kann sehr, sehr fruchtbar sein, und beide können davon stark profitieren."