DOMRADIO.DE: missio hat eine Umfrage unter seinen syrischen Partnern gemacht. Danach sind die Christen in großer Sorge in ihrem Land. Warum herrscht da nicht mehr Optimismus? Immerhin ist ja mit Assad der eigentliche Diktator gestürzt worden.
Johannes Seibel (Pressesprecher von missio Aachen und Leiter der Stabsstelle Presse und Kommunikation): Ja, dieser Optimismus ist enttäuscht worden. Wir hatten zu Beginn nach dem Sturz von Assad viele Gespräche mit unseren Partnern. Die waren da auch teils sehr euphorisch. Sie wurden von den neuen Machthabern besucht und es wurden auch Gespräche geführt, wie der Übergang vonstatten gehen kann. Der erste Erfolg war, dass es beim Übergang keine Ausschreitungen gegen Christen gab.
Aber seitdem hat sich durch verschiedene Gruppen immer weiter eine radikal-islamistische Ideologie im öffentlichen Raum ausgebreitet. Die Sicherheitslage ist schlechter geworden und die Christen merken, dass sie doch nicht an öffentlichen Entscheidungen beteiligt werden und es Diskriminierung und Ausgrenzung gibt.
DOMRADIO.DE: Die Übergangsregierung bemüht sich um die Organisation von Wahlen, die aber eher schleppend und nur für Wenige umgesetzt werden. Immerhin gibt es demokratischen Ansätze. Warum reicht das den Christen nicht als Reform?
Seibel: Weil sie es eben nicht als demokratische Ansätze sehen, sondern als bloße Legitimation der Übergangsregierung. In den Berichten von den Wahlen haben wir oft gehört, dass es gar keine Wahllokale gab oder dass sich in den Rathäusern Gruppen zusammengefunden haben und entschieden haben, wen sie ins Parlament schicken - abgesehen davon, dass eigentlich rund ein Drittel vom Präsidenten selbst ernannt wird oder dass er Wahlmänner ernannt hat, die dann wiederum die Plätze besetzten.
Summa summarum sitzen jetzt zwei Christen im Parlament, insgesamt fast gar keine Frauen. Unsere Partner sagen: Das waren Scheinwahlen, das waren gefakte Wahlen, da geht es um die Legitimierung. Das ist für sie auch nochmal ein Zeichen gewesen, wir sind eigentlich fremd in unserem eigenen Land, wir sind nicht gewünscht. Und das hat eine große weitere Enttäuschung ausgelöst und die Ängste und Sorgen befeuert.
DOMRADIO.DE: Wie frei oder unfrei können die Christen eigentlich ihren Glauben in Syrien leben?
Seibel: Sie können das kirchliche Leben - innerhalb der Kirchenmauern - weitestgehend ungestört leben. Sie können Gottesdienste feiern, Sie können Ihre Katechese halten. Aber Sie können keinen Einfluss auf das öffentliche Leben in Ihren Kommunen im Land nehmen. Das ist der eine Punkt.
Dann ist die Sicherheitslage schwierig geworden. Für die Christen ist es besonders dann gefährlich, wenn sie in Gebieten leben, in denen andere religiöse Minderheiten angegriffen werden. In der Region Sveida beispielsweise sind 36 Dörfer der Drusen entvölkert worden.
Die Menschen sind vertrieben worden, ihre Häuser wurden geplündert und sechs Kirchen wurden dort niedergebrannt. Das heißt, die Christen sind - das ist kein schönes Wort - "Kollateralschäden" von Auseinandersetzungen. Auch in kurdischen Gebieten, wenn dort Kämpfe stattfinden und dort auch Christen leben, sind sie ebenfalls davon betroffen.
Es gibt die Beobachtung, dass im öffentlichen Leben - an den Schulen, in den Verwaltungen - die radikal-islamistischen Kräfte immer stärker werden und damit Generationen heranwachsen, für die Christen Ungläubige sind und Menschen, die nicht zu Syrien gehören. Und das macht den Christen in Syrien sehr große Sorgen.
DOMRADIO.DE: Die Aufmerksamkeit liegt im Moment ganz besonders auf Israel und Gaza, aus nachvollziehbaren Gründen. Was erwarten Sie von der deutschen Politik, damit die Lage der Christen in Syrien besser wird?
Seibel: Ja, da ist zunächst einmal das Außenministerium gefragt. Es gibt ja Gespräche über den Wiederaufbau in Syrien und bei diesen Gesprächen muss das Außenministerium unbedingt auch auf die Einhaltung der Menschenrechtsstandards und insbesondere der Religionsfreiheit für die Minderheiten bestehen. Das gilt auch für den neuen Beauftragten der Bundesregierung für Religionsfreihalt weltweit, Herrn Rachel. Auch er hat die Möglichkeit, sich in diese Gespräche einzuschalten und darauf zu dringen.
Der zweite Punkt betrifft Sicherheitsfragen in Europa. Es gilt Gespräche zu unterstützen, damit die Sicherheitsfrage in Syrien besser wird.
Das Interview führte Carsten Döpp.