DOMRADIO.DE: Früher gab es aus dem Vatikan kaum Informationen zur Gesundheit eines Papstes. Aktuell gibt es morgens und abends offizielle Mitteilungen. Diese sind zum Teil sehr detailliert. Ist das vielleicht zu viel des Guten?
Dr. Claudia Paganini (Theologin und Lehrbeauftragte für Medienethik, Sprecherin der Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik bei der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft): Ja, das ist eine deutliche Trendwende in der Kommunikationspolitik des Vatikans. Bisher wurden kaum Informationen über den Gesundheitszustand eines Papstes veröffentlicht. Jetzt ist das ganz anders. Es wurde auch kommuniziert, dass dies ausdrücklich der Wunsch des Papstes ist, um Spekulationen und Falschinformationen vorzubeugen.
Grundsätzlich ist das ein guter Ansatz. Wenn der Vatikan regelmäßig berichtet, wissen die Gläubigen, woran sie sind und es gibt weniger Raum für Fake News. Der Ansatz ist sicherlich begrüßenswert. Trotzdem habe ich mich beim Lesen der Berichte gefragt, ob manche Details wirklich notwendig sind. Informationen darüber, wie oft Schleim abgesaugt wurde, braucht es vielleicht nicht, um sich gut informiert zu fühlen.
Möglicherweise ist das auch noch ein Lernprozess. Es ist das erste Mal, dass ein Papst so viel Einblick in seinen Gesundheitszustand gibt. Vielleicht tastet man sich hier erst an das richtige Maß heran. Natürlich ist es eine Situation, wo die alte, schon vielfach geführte Debatte nach der Privatsphäre von Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, einmal mehr zum Thema wird.
DOMRADIO.DE: Einerseits gibt es detaillierte Berichte, andererseits aber keine aktuellen Bilder des Papstes. Ist das nicht ein Widerspruch?
Paganini: Ich sehe hier keinen Widerspruch. Bild- und Textebene sind unabhängig voneinander. Der Vatikan hat klar kommuniziert, dass er Offenheit und Transparenz inhaltlich umsetzen möchte. Dafür braucht es keine Bilder eines schwerkranken Menschen.
Solche Bilder hätten nur einen geringen Informationswert. Jeder weiß, wie ein Beatmungsgerät aussieht und dass ein Mensch in diesem Zustand nicht gesund und vital wirkt. Sie würden nur weiter in die Privatsphäre des Papstes eingreifen. Das halte ich für problematisch.
Bilder wären nur dann notwendig, wenn es Grund zum Misstrauen gegenüber den Berichten gäbe – also wenn der Vatikan den Papst gesünder darstellen würde, als er ist. Aber da ganz offen kommuniziert wird, dass es ihm schlecht geht, sehe ich keinen Grund für visuelle Beweise. Deswegen ist es durchaus stimmig, die sachlichen Informationen zu kommunizieren, aber keine Bilder mitzuliefern.
DOMRADIO.DE: Johannes Paul II. litt 2005 sichtbar vor der Weltöffentlichkeit, starb auch fast öffentlich. Benedikt XVI. trat zurück, bevor er zu schwach wurde. Was ist aus medienethischer Sicht der beste Umgang mit Krankheit in einem öffentlichen Amt?
Paganini: Ich fand den Rücktritt von Benedikt XVI. positiv, weil ich mir dachte, dass Päpste endlich nicht mehr in aller Öffentlichkeit sterben oder bis zuletzt im Amt bleiben müssten. Ich sehe es als ein Zeichen von Würde und Respekt, als Öffentlichkeit zurückzutreten und sich die sterbende Person – egal, ob Papst oder nicht – in ihre Privatsphäre zurückziehen zu lassen. Von daher fand ich diesen Papstrücktritt ein schönes und starkes Zeichen.
Warum Papst Franziskus trotz schwerer Krankheit im Amt bleibt, kann ich nicht beurteilen. Seine Beweggründe kenne ich nicht und da möchte ich mir kein Urteil anmaßen. Die theologische Argumentation ist mir natürlich bekannt: Der Papst ist nur ein Instrument des göttlichen Willens, seine Kraft kommt von Gott. Trotzdem halte ich es für problematisch, wenn ein todkranker Mensch mit den Möglichkeiten der modernen Medizin über lange Zeit im Amt gehalten wird.
DOMRADIO.DE: Sobald ein Papst schwer krank ist, gibt es Spekulationen über seinen Tod. Wir berichten darüber nicht. Aber sind solche Diskussionen legitim oder eine Grenzverletzung?
Paganini: Ich halte sie für problematisch. Solche Überlegungen sollte man erst anstellen, wenn ein Papst tatsächlich verstorben ist. Es gibt genug Zeit, sich mit Nachfolgern zu befassen, wenn es soweit ist.
Spekulationen während der Amtszeit sind vor allem aus zwei Gründen verbreitet: Zum einen gibt es Rivalität um das Amt, denn nicht jeder handelt aus rein moralischen Motiven. Zum anderen bedienen Medien damit das voyeuristische Interesse des Publikums, erhöhen Zugriffszahlen und Einschaltquoten.
Es bleibt eine offene Frage, welches Medium es sich leisten kann, solche Spekulationen nicht aufzugreifen. Die Verantwortung liegt aber nicht nur bei den Medien, sondern auch beim Publikum, das diese Berichterstattung konsumiert und damit den Zuspruch gibt.
Das Interview führte Mathias Peter.