DOMRADIO.DE: Von Köln nach Bonn – das bedeutete Anfang März mit 56 Jahren noch einmal einen kompletten Neustart. Ihr Wunsch war es, näher an den Menschen zu sein. Nun sind Sie Seelsorger für fast 100.000 Katholiken in Bonn. Wie schauen Sie persönlich auf die letzten 100 Tage zurück?
Monsignore Dr. Markus Hofmann (Kölner Domkapitular, Pfarrer der Bonner Innenstadtgemeinden und Stadtdechant von Bonn): Ich bin von den Bonnern mit offenen Armen empfangen worden, das hat mich sehr gefreut. Die Einführung im Bonner Münster war ein sehr schönes Fest mit vielen alten Bekannten, aber auch mit Menschen, die ich gerade erst kennenlerne. Ich bin dankbar für einen insgesamt erfreulichen Gottesdienstbesuch – nicht nur an den Feiertagen – für ein gutes Seelsorgeteam und viele engagierte Mitarbeiter, die mich in den beiden Pfarreien St. Petrus und St. Martin sowie im Stadtdekanat unterstützen. Gemeinsam mit ihnen möchte ich für alle Bonnerinnen und Bonner da sein.

Besonders positiv nehme ich die guten ökumenischen Kontakte in der Stadt wahr. Zum ersten Mal habe ich jetzt an einer evangelischen Kreissynode teilgenommen und ein bisschen von der Atmosphäre dort mitbekommen. Auf der Agenda steht schon eine ganze Reihe ökumenischer Projekte, die wir vorbereiten: einen eigenen Gottesdienst zu 1700 Jahren Konzil von Nicäa in der Rheinaue, die 10. Bonner Kirchennacht und im September ein Podium im Bonner Münster zur Kommunalwahl – um nur einige Highlights zu nennen.
Von Seiten der Stadtgesellschaft spüre ich ein aufrichtiges Interesse an einem guten Kontakt mit den beiden Kirchen. Darin kommt eine große Wertschätzung zum Ausdruck, auch wenn wir unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Das alles hat dazu beigetragen, dass ich mich in Bonn mittlerweile auch wirklich angekommen fühle. Ich bin immer noch dabei, mich zu orientieren. Manchmal kann man allein schon durch Fragen, warum macht Ihr das so und nicht anders, eine gewisse Nachdenklichkeit auslösen.
DOMRADIO.DE: Wenn auch keinen Masterplan, so haben Sie aber doch bestimmt konkrete Ideen, die Sie mitbringen…
Hofmann: Was mir besonders am Herzen liegt, ist eine deutlich verbesserte Erreichbarkeit des Seelsorgepersonals – über feste Bürozeiten hinaus. Wenn ein Seelsorger oder ein kirchlicher Beistand gebraucht wird, dann soll das auch möglich sein. Außerdem möchte ich die internationalen katholischen Gemeinden, die ich schon von früher kenne, noch stärker ins Bewusstsein bringen.
Bonn ist eine internationale Stadt. Daher schauen wir demnächst einmal gemeinsam, welche Projekte wir zusammen mit den deutschsprachigen Gemeinden angehen können, zum Beispiel im Rahmen der traditionellen Stadtpatrone-Woche. Das katholische Leben in Bonn ist vielfältig, und ich bin weiterhin neugierig. Diese ersten 100 Tage waren sehr intensiv auf den vielen unterschiedlichen Ebenen, für mich persönlich aber vor allem ein großer Gewinn.
DOMRADIO.DE: Aufbrüche stellen immer eine Zäsur dar. Da geht es um Herausforderungen, Zumutungen, vielleicht sogar Ängste, aber auch Hoffnungen und Gottvertrauen. Wo sehen Sie sich da am ehesten?
Hofmann: Wir nehmen natürlich auch in Bonn am großen Transformationsprozess des Erzbistums teil. Das heißt, wir haben eine pastorale Einheit in der Bonner Innenstadt mit zwei Pfarreien, die in Zukunft eine Pfarrei bilden werden. Da gibt es unterschiedliche Akzente von der Geschichte her, von der Art und Weise, den Glauben zu leben.

Gleichzeitig aber gibt es auch eine Offenheit und ein Interesse aneinander. In den Gremien hat es eine große Einmütigkeit darüber gegeben, dass die beiden Pfarrgemeinden St. Petrus und St. Martin fusionieren werden, was nicht selbstverständlich ist, aber doch als sinnvollste Option betrachtet wurde – unter Wahrung des jeweils eigenen Profils.
Es gibt hier sehr wertvolle Akzente, die es wert sind, erhalten und weiterentwickelt zu werden. Und gleichzeitig ist es wichtig zu sagen, lasst uns da, wo wir gut zusammengehen können – zum Beispiel auf der Verwaltungsebene – auch die berühmten Synergieeffekte finden: also Abläufe vereinfachen, Gremiensitzungen reduzieren und gleichzeitig die Verantwortlichkeiten breit aufstellen.
Es soll weiterhin möglich bleiben, dass sich die Menschen vor Ort für eine bestimmte Kirche, für einen vertrauten Kirchturm, für ein favorisiertes Projekt, für eine klar definierte Zielgruppe engagieren. Denn da sehe ich grundsätzlich eine große Bereitschaft, auch wenn sicher noch weitere Schritte des Kennenlernens erforderlich sind.
DOMRADIO.DE: Wie kann das denn gelingen?
Hofmann: Wir haben vergangenen Samstag einen ersten Kirchenspaziergang gemacht über die Pfarreigrenzen hinaus, um mal zu sehen, welche anderen Kirchen es außer der, in der ich mich normalerweise zu Hause fühle, noch so gibt. Das erweitert den Horizont.
Und so kann ich mir auch andere gemeinsame Aktionen vorstellen – etwa eine Wallfahrt nach Altenberg. Am 29. Juni ist das Patrozinium der Pfarrei St. Petrus. Sehr gerne und bewusst verbinde ich dieses Fest in der Stiftskirche, der Pfarrkirche dieser Gemeinde, mit der Feier meines 30-jährigen Priesterjubiläums.
Meine Erfahrung: Beim gemeinsamen Vorbereiten – es gibt ein eigenes, gemischtes Vorbereitungsteam aus beiden Pfarreien – lernt man sich oft besser kennen als in vielen Sitzungen. Nachher kann man dann zufrieden auf einen solchen Tag schauen und feststellen, dass da ganz gut etwas gelungen ist und sich viele miteinander wohl gefühlt haben. So ein Erfolgserlebnis verbindet unter Umständen mehr als die in der vorgesehenen Zeit bewältigte Tagesordnung einer PGR-Sitzung.
DOMRADIO.DE: Was gehört für Sie zu den besonderen Herausforderungen Ihrer neuen Aufgabe?
Hofmann: Zweifelsohne die Schere zwischen Arm und Reich, die laut Sozialbericht von Diakonie und Caritas für die Stadt Bonn immer weiter auseinandergeht. Wie wir mit diesen Unterschieden umgehen, ist eine enorme Herausforderung für alle, die in Bonn leben: für die Kommune, für die Kirchen, für jeden Einzelnen.
Hier sind gerade auch wir Christen gefragt, die Frohe Botschaft im Alltag so zu leben, dass dies für die Menschen um uns herum spürbar wird. Und gleichzeitig gilt es wahrzunehmen, dass der gesellschaftliche Wandel weiter vorangeht. Bonn ist eine Kommune mit Wachstum, und es gibt eine beachtliche Zahl an Christen. Aber diejenigen, die im Moment noch einer Kirche angehören, werden weniger.
Trotzdem stimmt mich sehr hoffnungsvoll, wie sehr sich die Menschen doch nach wie vor zum Beispiel bei einer Flüchtlingsinitiative wie der "Aktion Neue Nachbarn" des Erzbistums und des Caritasverbandes engagieren. Hier setzen sich Menschen, die sonst mit der Kirche nicht viel am Hut haben oder längst auf Distanz gegangen sind, gemeinsam mit uns zum Wohle von Notleidenden ein. Da höre ich dann doch viel Zustimmung und Anerkennung, dass die katholische Kirche da nach zehn Jahren immer noch so präsent ist. Dass Menschen auf diese Weise immer noch mit anpacken, macht mir auch Mut.

Und nicht zuletzt ist durch den neuen Papst nochmals ein neuer Akzent bei der Gesamtwahrnehmung von Kirche hinzugekommen. Da gibt es viele – auch aus der Politik und der Ökumene – die sagen, dass sich zu Recht mit dieser Wahl Hoffnungen verknüpfen. Jetzt muss man schauen, wie Papst Leo XIV. diesen Erwartungen gerecht wird. Aber als Christen haben wir ja nicht nur die Möglichkeiten, die wir selber in der Hand haben, sondern immer auch das Vertrauen auf Gottes Beistand.
DOMRADIO.DE: Was bringen Sie aus Ihrer Zeit in Köln – auch als Generalvikar des Erzbischofs – mit, was Ihnen bei Ihrer neuen Aufgabe bisher zugute gekommen ist?
Hofmann: Natürlich sind mit der Aufgabe eines Pfarrers und Stadtdechanten auch viele Verwaltungstätigkeiten verbunden – die Regionalrendantur Süd mit 100 Mitarbeitern befindet sich zum Beispiel gerade in einem Übergangsszenario – so dass mir doch vieles aus meiner früheren Tätigkeit als Generalvikar vertraut ist – bei aller Sorgfalt, die auf die einzelnen Prozesse sicher zu verwenden ist.

Dann bin ich als Münsterpfarrer und Stadtdechant natürlich auch geborenes Mitglied in einer ganzen Reihe von Kuratorien, Stiftungen und vielem mehr. Damit in einer produktiven Weise umzugehen ist etwas, was ich schon kenne und – glaube ich – auch einigermaßen beherrsche. Aber ich freue mich eben auch, seelsorglich weitaus stärker tätig sein zu können als bisher. Ich bin wirklich froh, Pastor zu sein. Das ist das, was mir am meisten Freude macht.
DOMRADIO.DE: Was mussten Sie denn neu lernen?
Hofmann: Zunächst einmal habe ich viele neue Menschen kennengelernt. Dann musste ich mir einen Überblick über die einzelnen Aufgabenfelder verschaffen und Zusammenhänge wahrnehmen. Ich bin immer noch damit beschäftigt herauszufinden, wie welche Verbindungen oder Interessenslagen laufen. Bislang war ich noch nicht so stark in eine städtische Binnengesellschaft hinein aktiv.
Als Generalvikar hat man einen Horizont, der eher oberhalb vieler dieser Ebenen angesiedelt ist. Jetzt schaue ich aus einer anderen Position auf Sachverhalte, was äußerst spannend ist. Ich bin im Gespräch mit den verschiedenen Fraktionen, die im Stadtrat vertreten sind, mit der Oberbürgermeisterin, und dann aber auch mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, kurz ACK.
Das ist toll, wie das in Bonn läuft, und das macht richtig Freude. Von daher habe ich auch gelernt, unbefangen in neue Gruppierungen und Gemeinschaften zu gehen. Die haben oft viel Erfahrung, von denen ich mir manches abschauen und lernen kann.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen es an, es gibt neu entstehende Vernetzungen. Was liegt Ihnen da besonders am Herzen? Welche Themen haben für Sie Priorität?
Hofmann: Vor allem ist wichtig, hinzuhören, was die Menschen brauchen, was sie an Interessen, Sorgen und Freuden haben, die wir teilen können. Das bedeutet zunächst nachzufragen und zu verstehen. Dann möchte ich gemeinsam mit den Menschen schauen, was ist nach dem Prinzip der Subsidiarität selbst leistbar – ohne Hindernisse, ohne bürokratische Hürden – und wo braucht man auch Kooperationspartner; jemanden, der sagt: Ja, dieses Interesse teile ich, hierfür setze ich mich ebenfalls ein.

Und wenn ich an die Eucharistische Konferenz denke, mit der wir von nun an auf 2029 zugehen, kommt mir eine Gruppe von Ehrenamtlern in den Sinn, die großes Interesse an eucharistischer Anbetung haben und so etwas in der Krypta des Bonner Münsters mitgestalten wollen. Das ist zum Beispiel eine sehr schöne Initiative, die ich gerne unterstütze – oder eben auch das Beichtangebot, wo ich einen großen Bedarf feststelle. Deshalb haben wir seit Ostern zusätzlich eine verlässliche Beichtzeit in St. Joseph eingerichtet, wo dies schon länger nicht mehr in dieser Weise angeboten wurde.
In St. Marien werden jeden Sonntag eigene Katechesen für kleine Kinder und Kinder im Grundschulalter angeboten. Nach der heiligen Messe treffen sich fast alle zur Begegnung im Freien oder im Gemeindesaal. Das finde ich ganz wunderbar, und da habe ich auch die Hoffnung, dass das weitergeht und man andernorts davon lernen kann.

Im Bonner Münster ist jeden Sonn- und Feiertag eine heilige Messe für junge Leute mit anschließender Begegnung. Beim Fronleichnamsfest haben Menschen aus allen Altersstufen aktiv teilgenommen. Großartig! Es war wirklich ein überzeugendes und begeisterndes Fest des Glaubens, der Dankbarkeit und der Freude, das nach der Eucharistiefeier, der Prozession und dem Schlusssegen mit einem ausgiebigen Austausch auf dem Münsterplatz fortgesetzt wurde.
DOMRADIO.DE: Bei Ihrer Amtseinführung haben Sie gesagt: Endlich Pastor! In Zeiten von Umbruch und Krisen in der Kirche ist der "gute Hirte", der seinen Schafen nachgeht und für sie sorgt, gefragter denn je. Welche Bedürfnisse nehmen Sie bei den Menschen wahr? Was erwarten sie von ihrem Pastor?
Hofmann: Ein Grundbedürfnis ist das nach konkreter persönlicher Begegnung: also den Pastor zu sehen – was im Übrigen auch für die eigenen Mitarbeiter gilt. Dass Zeit ist für ein spontanes Gespräch, für einen vielleicht kurzen, aber herzlichen Gruß, wenn ich über den Münsterplatz gehe oder sonst in der Innenstadt unterwegs bin – und es eben auch außerhalb der Bürozeiten möglich ist, jemanden bei dringenden Anliegen zu erreichen.

Ich nehme aber auch die Sehnsucht nach Stille wahr, nach Räumen, in die man sich zurückziehen kann. Dafür halten wir die Kirchen insgesamt und zum Beispiel auch den Kreuzgang des Münsters und die Krypta offen. Genauso aber wünschen sich die Menschen auch festliche Gottesdienste oder Predigten, die für das konkrete Leben weiterhelfen können.
Diejenigen, die zur Sonntagsmesse kommen, haben oft – und zu Recht – die Erwartung, dass sie für den Glauben Hilfe und Klärung finden können. Wir dürfen sie auch bei einem anspruchsvollen Thema wie der Dreifaltigkeit nicht ratlos stehen lassen oder uns womöglich um eine klare Aussage dazu herumdrücken. Ich glaube, auch das sind Bedürfnisse, die da sind und bei denen wir uns als Seelsorger auch die nötige Mühe geben sollten.
Die Menschen dürfen von ihrem Pastor ein aufrichtiges Interesse an ihnen und ihrem Leben erwarten. Und gleichzeitig, dass er spürbar selbst mit Gott in Kontakt steht und bereit ist, ihn berührbar zu machen.
Christi Himmelfahrt haben wir im Münster Jubelkommunion gefeiert. Da waren Leute total begeistert, dass sie angeschrieben worden sind, man sich ihrer noch erinnerte, dass sie nach vielen, vielen Jahren Weggefährten aus Kindheit und Jugend wieder getroffen haben. Wahrgenommen, gesehen zu werden auch mit dem, was man glaubt – das sind ganz wesentliche Bedürfnisse, die ich bei der Begegnung mit Menschen aller Generationen immer wieder feststelle. Und wenn Kirche da eine Sehnsucht stillt, kann sie mit ganz wenigen Mitteln oft einen unverzichtbar heilsamen Dienst leisten.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.