Märtyrerbischof Angelelli wäre heute 100 Jahre alt geworden

Opfer im "Reinigungsprozess"

In der tiefen Krise des Landes können nicht dieselben Maßstäbe gelten wie im Frieden. Mit diesen Worten billigte Argentiniens Bischofskonferenz schwere Verbrechen des Militärs. Doch auch einer der ihren wurde zum Märtyrer.

Schwester Maricarmen Paruas steht vor einem Wandgemälde mit einer Darstellung des 1976 während der Militärdiktatur getöteten Enrique Angel Angelelli Carletti, Bischof von La Rioja, am 26. März 2019 in La Rioja in Argentinien. / © David Agren/CNS photo (KNA)
Schwester Maricarmen Paruas steht vor einem Wandgemälde mit einer Darstellung des 1976 während der Militärdiktatur getöteten Enrique Angel Angelelli Carletti, Bischof von La Rioja, am 26. März 2019 in La Rioja in Argentinien. / © David Agren/CNS photo ( KNA )

Nein, die argentinischen Bischöfe waren sich damals keineswegs einig, wie mit den Menschenrechten der Bürger umzugehen sei.

Menschenrechte

Menschenrechte sprechen jeder Person die gleichen Rechte und Freiheiten zu - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, Weltanschauung oder politischer Haltung. Sie gelten von Geburt an und können nicht verwirkt werden. Als Basis gilt die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", die von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 als politische Willenserklärung verabschiedet wurde. An diesen wichtigen Meilenstein erinnert alljährlich der Tag der Menschenrechte

Menschenrechte werden vielerorts eingeengt / © Jens Büttner (dpa)
Menschenrechte werden vielerorts eingeengt / © Jens Büttner ( dpa )

Während der Militärdiktatur (1976-1983) verschwanden rund 30.000 Menschen: verschleppt in landesweit rund 500 Folterzentren, die meisten getötet, mit dem Flugzeug über dem Meer abgeworfen.

Auch Kirchenvertreter im Visier staatlicher Auftragsmörder

Auch viele Kirchenvertreter gerieten ins Visier von staatlich beauftragten Mördern: jene "Linken", die sich für die Belange der Unterdrückten einsetzten.

Einer von ihnen war der Bischof von La Rioja, Enrique Angelelli, der am 17. Juni 100 Jahre alt geworden wäre. Er wurde im August 1976 beseitigt.

Im Umfeld des Militärs und Teilen des Episkopats machte man Mitte der 70er Jahre die peronistische Regierung für Gewalt und grassierendes Chaos im Land verantwortlich.

Als General Jorge Videla (1925-2013) im März 1976 unter dem Zeichen der "Ordnung" putschte, sagten viele im Land befriedigt: "Endlich, die schwarze Scheiße geht!"

Nächtliche Abholaktionen, Folter, Verschwindenlassen 

Dabei wurde der Bock gerade zum Gärtner. Unmittelbar nach dem Putsch setzte Staatsterror von rechts ein: nächtliche Abholaktionen, Folter, Verschwindenlassen.

"Reinigungsprozess" wurde das genannt – und mit Zustimmung einiger Bischöfe und teils aktiver Unterstützung von Priestern durchgeführt.

Argentiniens Bischofskonferenz erklärte am 15. Mai 1976: "Man muss bedenken, dass es einfach wäre, sich mit bestem Willen gegen das Gemeinwohl zu irren, wenn man wollte, dass Sicherheitskräfte mit der gleichen chemischen Reinheit agierten wie in Friedenszeiten."

Da das Land aber eine tiefe Krise durchlebe, könnten nicht dieselben Maßstäbe gelten. - Das war nichts anderes als ein Persilschein für obrigkeitliche Menschenrechtsvergehen.

Angelelli prangerte die Junta mit anderen Bischöfen an

Angelelli gehörte jener Gruppe von Bischöfen an, die die Verbrechen der Junta furchtlos anprangerten. Sein Leitspruch: "Mit einem Ohr am Evangelium und einem Ohr beim Volk."

Zu den Opfern der ersten Monate gehörten auch zwei Priester seiner Diözese La Rioja, Carlos Murias und Gabriel Longueville.

Die Umstände ihrer Ermordung liegen bis heute im Dunkeln. Angelelli reiste persönlich in das Dorf Chamical, um die Vorgänge aufzuklären und die beiden zu beerdigen.

Auftragsende wurde erst nach Ende der Diktatur offenbar

Am 4. August 1976, auf der Rückfahrt, wurde Angelellis Wagen von einem weißen Peugeot abgedrängt. Nach einer Vollbremsung überschlug sich das Auto.

Als Angelellis Beifahrer später das Bewusstsein wiedererlangte, fand er den Bischof einige Meter entfernt mit eingedrücktem Schädel, die Arme wie am Kreuz ausgestreckt.

Belastende Dokumente, die auch eine Verstrickung des Episkopats belegten, waren sowohl aus dem Auto wie aus der gründlich durchstöberten Wohnung des Bischofs verschwunden.

Die offizielle Version eines schlechten Autofahrers, der durch eigenes Verschulden ums Leben gekommen sei, wurde von der Bischofskonferenz nicht angefochten. Erst nach dem Ende der Diktatur kam eine gerichtliche Untersuchung zu dem Schluss: Es war ein Auftragsmord.

Taten der Militärdiktatur werden erst noch aufgearbeitet

Miguel Etchecolatz, ehemaliger stellvertretender Polizeichef der Provinz Buenos Aires, sitzt ein einem Gerichtssaal in der Nähe von Buenos Aires. 2006, fast 40 Jahre nach Argentiniens Rückkehr zur Demokratie, ist mit Etchecolatz einer der bekanntesten Folterer aus der Zeit der Militärdiktatur gestorben. / © Jorge Acuna/EFE/epa (dpa)
Miguel Etchecolatz, ehemaliger stellvertretender Polizeichef der Provinz Buenos Aires, sitzt ein einem Gerichtssaal in der Nähe von Buenos Aires. 2006, fast 40 Jahre nach Argentiniens Rückkehr zur Demokratie, ist mit Etchecolatz einer der bekanntesten Folterer aus der Zeit der Militärdiktatur gestorben. / © Jorge Acuna/EFE/epa ( dpa )

Im Juli 2014, fast 38 Jahre nach der Tat, wurden schließlich zwei Ex-Militärs zur Verantwortung gezogen und zu lebenslanger Haft verurteilt: der 2019 mit 90 Jahren gestorbene Ex-General Luciano Benjamin Menendez und der 2022 mit 89 Jahren gestorbene Ex-Vizeadmiral Luis Fernando Estrella.

Mit Papst Franziskus (86) – zu Diktaturzeiten Provinzial der argentinischen Jesuiten und mit Angelelli gut bekannt – bekam der Ermordete 2013 einen starken Fürsprecher im Vatikan.

2015 kündigte Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel (91) an, selbst Folteropfer von damals, der Papst und die heutige Bischofskonferenz wollten vatikanische und argentinische Akten zur juristischen Aufarbeitung der Diktatur zur Verfügung stellen.

Papst rühmte Märtyrer für Liebe zu Volk, Armen und Kranken

Damals noch Erzbischof von Buenos Aires, sagte Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum 30. Jahrestag des Mordes 2006 in der Kathedrale von La Rioja: "Bischof Angelelli war ein Mann, der sein Volk liebte und es auf seinem Weg begleitete, bis in die Randbezirke (...). Erinnern wir uns, mit welcher Zärtlichkeit er die alten Menschen liebkoste, mit welcher Liebe er sich für die Armen und Kranken einsetzte und nach Gerechtigkeit rief. Er war überzeugt, dass im Inneren jedes Menschen (...) ein Plan Gottes verborgen sei."

Im April 2019 wurden Bischof Angelelli, die beiden Priester Murias und Longueville sowie der Familienvater Wenceslao Pedernera als Märtyrer seliggesprochen - als Vorbilder und als Mahnung an Argentiniens dunkelste Zeit.

Was ist ein Märtyrer?

Der Begriff Märtyrer heißt übersetzt Zeuge. Die Christen der ersten Generationen legten, nachdem sie den Glauben angenommen hatten, Zeugnis von Jesus Christus ab, zunächst durch Worte und in der Verkündigung, durch die Unterweisung und in der Predigt. In der Mitte des 2. Jahrhunderts, als Christen wegen ihrer Zeugenschaft im römischen Reich verfolgt wurden, wurde der Begriff Märtyrer genauer gefasst. Alle wegen ihres Glaubens hingerichteten Christen hießen nun Märtyrer.

Die Seelen der Märtyrer / © Illustration aus den Beatus-Apokalypsen des Meisters Pedro (8. Jhdt.)
Die Seelen der Märtyrer / © Illustration aus den Beatus-Apokalypsen des Meisters Pedro (8. Jhdt.)
Quelle:
KNA