Der neue Papst in Zeiten der Militärdiktatur

"Er hat mit der Junta verhandelt"

Von 1973 bis 1979 war Jorge Mario Bergoglio zuständig für die Jesuiten in Argentinien. Nun wird ihm als Papst Franziskus Kollobaration mit der Junta vorgeworfen. Zu Unrecht findet Pater Eckard Bieger SJ. Ein Gastkommentar.

Erzbischof Jorge Mario Bergoglio / © Casa Rosada/presidencia.gov.ar
Erzbischof Jorge Mario Bergoglio / © Casa Rosada/presidencia.gov.ar

Von 1973 bis 1979 war Jorge Mario Bergoglio zuständig für die Jesuiten in Argentinien. Provinzial ist die Bezeichnung für dieses Amt, das jeweils auf 6 Jahre begrenzt ist. 1976 putschte das Militär. Es schreckte nicht vor der Ermordung weder von Priestern noch von Ordensangehörigen zurück, obwohl die Junta nicht antireligiös eingestellt war. Und sie hatte Sympathisanten auch unter dem höheren Klerus. Denn das Land war zerrissen. Ein Ordensoberer musste sich entscheiden, wie er sich in einer Auseinandersetzung verhalten sollte.

In dem Interviewband El jesuita, Conversaciones con el cardenal Jorge Bergoglio. Por Sergio Rubin y Francesca Ambrogetti, Vergara, Buenos Aires, 2010, 192 páginas nimmt der neue Papst im Kapitel "Die dunkle Nacht" auf den Seiten Kapitel 14: "Die dunkle Nacht Argentiniens", S. 145-157 dazu Stellung. Jesuiten aus Argentinien gaben mir folgende Einschätzung:

Nach dem Tod von Juan Perón 1974 übernahm seine Witwe Isabel, die Vizepräsidentin war, die Regierung. Das Land spaltete sich in Links und Rechts, das Militär stand rechts. Auch die Linke bewaffnete sich. Nachdem das Militär bereits 1955 den gewählten Präsidenten Perón entmachtet hatte, griff es 1976 wieder ein und setze die Präsidentin ab.

Waffen, um die Gesellschaft zu verändern

Von 1976 bis 1978 wurden die Gegner erbarmungslos verfolgt, etwa 30.000 wurden ermordet. Die linken Gruppen widersetzten sich mit Waffen. Auch die Priesterschaft war gespalten. Das Militär verordnete dem aufgewühlten Land einen "Prozess der Nationalen Reorganisation" auf konservativ-christlicher Grundlage. Wie es Unterstützer der Junta gab, so auch Priester wie auch Ordensleute, die sich mit den bewaffneten linken Gruppen solidarisierten und ins Visier des Militärs gerieten. Die Priester, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzten, waren schon allein durch diese Parteinahme gefährdet. Denn sie galten als die geistigen Drahtzieher. Es war eine Zeit, in der auch in Deutschland der Einsatz von Waffen für die Ziele einer neuen Gesellschaft von vielen gebilligt wurde.

Der damalige Ordensobere für Argentinien, der noch junge P. Bergoglio, entschied sich, seine Mitbrüder von der bewaffneten Gegnerschaft gegen das Militär abzuhalten. Das war nicht leicht, denn in den siebziger Jahren war für Viele in Lateinamerika der bewaffnete Kampf ein Gebot der Stunde und auch christlich zu rechtfertigen. Das spaltete auch den Orden, denn vor allem Ältere, die den bewaffneten Kampf ablehnten, neigten der Junta zu. Diese war aber in den Augen derjenigen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzten, durch ihr brutales Vorgehen diskreditiert. Der heutige Papst verlangte im strikten Gehorsam den Verzicht auf Gewalt und zog die, die nicht gehorchten, zur Rechenschaft. Das hinterließ bis heute Spuren in der Gemeinschaft der Jesuiten. Diejenigen, die gefährdet waren, brachte er außer Landes. Manchmal standen sie schon auf der Fahndungsliste. So holte er einen Professor aus der Vorlesung und setze ihn in ein Flugzeugt. Auch Familienangehörige versteckte er in Häusern der Jesuiten. Viele verdanken ihm ihr Leben. Das führt aber zu dem inneren Konflikt, ob man sich dem Vorwurf der Feigheit aussetzte, wenn man das Land verließ.

Der gravierende Vorfall

Ein Fall beschäftigt bis heute die Diskussion und wird auch in den Medien herangezogen: In einem Armenviertel lebten drei Jesuiten, darunter auch Professoren der vom Orden getragenen Fakultät. P. Bergoglio hatte einen Wink bekommen, dass diese auf einer Liste standen. Er wies sie an, das Land umgehend zu verlassen. Dies war für die Betroffenen ein Gewissenskonflikt, denn sie wollten die Leute, mit denen sie zusammen lebten, nicht alleine lassen. Sie blieben, wurden gefangen genommen und gefoltert. Seitdem hält sich das Gerücht, dass der damalige Provinzial sie verraten habe. Dass es sein Einsatz war, der ihnen nach drei Monaten die Ausreise ermöglichte, wird nicht berichtet.

Obwohl die Junta 1978 den Krieg gegen die Guerilla für beendet erklärte, wurden noch viele verschleppt und getötet. 1979 war die sechsjährige Amtszeit des Provinzials beendet.

Mit den Militärs verhandeln

P. Bergolgio verhandelte mit der Junta. Das muss man sich anders als in kommunistischen Staaten vorstellen. Der Staat wurde nicht von Parteikadern regiert, sondern blieb in der Hand weniger Familien. Zudem gab es in der Armee und der Verwaltung Christen, die Informationen über gefährdete Personen mit dem Ziel weitergaben, dass diese sich in Sicherheit bringen konnten. Das ermöglichte es dem Provinzial der Jesuiten, zu verhandeln und sogar Menschen aus dem Gefängnis herauszuholen. Eigentlich war der, der einmal gefangen gesetzt wurde, schon damit zum Tode verurteilt und "verschwand" einfach. Dazu zählten auch Ausländer, die dem Militär verdächtig waren.

Die Jesuiten, die mir diese Informationen gaben, sehen den jetzigen Papst dem Vorwurf der Kollaboration ausgesetzt, obwohl nicht wenige ihr Überleben auf sein Handeln zurückführen. Allerdings erfährt er von diesen zu wenig Unterstützung in der Öffentlichkeit. Weil die Frage, ob bewaffneter Widerstand ethisch gefordert ist, heute die Gemüter nicht mehr bewegt, gerät der Zusammenhang aus dem Blick, in dem damals Entscheidungsträger handeln mussten. Auch wenn diese Konfliktsituationen in Lateinamerika überwunden sind, steht heute Syrien in dem gleichen Konflikt, nur dass hier die Gegner des Regimes über mehr Waffen verfügen. Auch sind die Christen in Syrien eine Minderheit.

Der Kommentar von Pater Eckhard Bieger S.J. wurde domradio.de dankenswerterweise zur Verfügung gestellt von explizit.net, dem katholischen Portal für den deutschen Sprachraum.