Lektorin Gabriele Hartlieb über Margot Käßmann

"Sie hat den christlichen Glauben auf die Straße gebracht"

Einfühlsam und wortgewaltig, manchmal unbequem, politisch und verletztlich: Margot Käßmann ist das prägende Gesicht der deutschen Protestanten. Die ehemalige EKD-Vorsitzende und Bischöfin geht mit ihrem 60. Geburtstag heute in den Ruhestand.

Margot Käßmann / © Norbert Neetz (epd)
Margot Käßmann / © Norbert Neetz ( epd )

DOMRADIO.DE: Sie haben ein Buch mit Geschichten und Anekdoten über Margot Käßmann und ihr Leben herausgegeben. Was können Sie uns über Frau Käßmann sagen, dass wir nicht aus den Medien wissen?

Gabriele Hartlieb (Pfarrerin und Lektorin im Herder-Verlag): Frau Käßmann ist so, wie sie sich in der Öffentlichkeit zeigt. Sie ist kein ganz anderer Mensch. Ich glaube, das macht gerade auch ihre Wirkung aus: Sie ist offen, geradlinig, pointiert. Insofern kann ich kein völlig anderes Bild zeigen oder verraten, dass die Öffentlichkeit nicht kennen würde.

Es war unglaublich angenehm, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ich habe als Verlagslektorin im Verlag Herder mit ihr zusammen gearbeitet – sie als Autorin, ich als Lektorin. Sie hat – so sagt es auch ein Autor im Buch – ganz wunderbar preußische Eigenschaften: Sie ist pünktlich, zuverlässig und sehr zeilengenau, was ihre Texte angeht. Das ist natürlich für die Zusammenarbeit sehr angenehm.

Sie ist wertschätzend und hört gut zu. Das ist etwas, das vielleicht in der Öffentlichkeit weniger deutlich ist: Sie kann sehr gut zuhören und nimmt ihr Gegenüber aufmerksam wahr. Sie ist jemand, die vor großem Publikum unglaublich gut reden kann, die witzig ist, Dinge auf den Punkt bringt. Sie reagiert unglaublich schnell auf E-mails, SMS, Telefongespräche. Sie ist immer dran, das habe ich bewundert. Sie ist offenbar an vielen Stellen einfach sehr nah dran und kann sehr gut und aufmerksam reagieren. Insofern erkenne ich da in ihr die Seelsorgerin.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie zurückblicken auf die Arbeit Margot Käßmanns in den vergangenen Jahrzehnten: Was ist das Wichtigste, das sie in der Zeit bewegt hat?

Hartlieb: Sie hat den christlichen Glauben auf die Straße gebracht. Sie hat so über den Glauben gesprochen, dass er verstanden wird – eben nicht nur von Menschen, die in kirchlicher Sprache geübt sind, in die Gottesdienste kommen und sozusagen eine eigene Frömmigkeit mitbringen. Sondern so, dass er im Leben von Menschen in Fußgängerzonen verstanden werden kann. Sie hat die Lebendigkeit des christlichen Glaubens, der auch in Krisen und im 21. Jahrhundert gelebt werden kann, sehr deutlich gemacht.

Und sie hat der evangelischen Kirche ein glaubwürdiges Gesicht gegeben. Für mich ist ihre klare pazifistische Haltung sehr, sehr wichtig. Sie ist in Gremien nicht immer bequem, weil sie um der Position willen auch den Streit und die Aussage nicht scheut. Und auch mal in die Tagesthemen geht, ohne das mit allen Gremien innerhalb der Institutionen abgesprochen zu haben. Diese Eigenschaft, sehr verständlich, pointiert und klar theologische Positionen und Glaubenswahrheiten zu vertreten, ist ein großer Segen für die Welt und ein Glück für die Kirche.

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, Margot Käßmann ist eine meinungsstarke Frau, die sich nicht scheut, ihre Meinung kundzutun. Sie eckt ja auch durchaus an – in der Politik, aber auch in der katholischen Kirche. Wie erklären Sie sich diesen Konflikt, gerade in der Ökumene?

Hartlieb: Auch das hat natürlich damit zu tun, dass sie unbequem ist und Positionen vertritt. Ich vermute, dass sich darin dass grundsätzlich verschiedene Verständnis vom Priestertum und Amtsverständnis zeigt. Für die evangelischen Christen ist ein Pfarrer oder eine Pfarrerin ein funktionales Amt. Wir haben das Priestertum aller Getauften. Das heißt, alle die getauft sind, sind letztlich dazu berufen, den Glauben zu vertreten. Was einen Pfarrer oder eine Pfarrerin unterscheidet ist, dass sie öffentlich von ihrer Kirche dazu beauftragt sind, Sakramente wie das Abendmahl und die Taufe zu verwalten und das Evangelium zu verkündigen.

Mein Eindruck von der katholischen Kirche ist, dass es da einen Qualitätsunterschied gibt. Die Priesterweihe macht deutlich, dass Priester von ihrer Qualität her irgendwie andere Menschen sind. An der Stelle reibt sich das Amtsverständnis mit einer Pfarrerin wie Margot Käßmann, die sich auch als verletzlicher Mensch gezeigt hat. Daneben gibt es Positionen, die sie ganz konkret vertritt. Sie hat zum Beispiel einmal gesagt: "Maria war keine biologische Jungfrau; da handelt es sich um einen Übersetzungsfehler". Das ist natürlich für die katholische Kirche nicht ganz einfach, weil sie da unbequem war. Für die weltweite Ökumene, etwa für die Orthodoxen, ist ihre Funktion als weibliche Repräsentantin einer Kirche nicht einfach.

Andererseits ist es interessant, dass sie polarisiert: Sie bekommt entweder ganz große Zustimmung entgegengebracht oder trifft auf große Ablehnung. Das habe ich  bei Katholiken, aber auch bei Protestanten erlebt. Sie polarisiert durchaus und das ist vielleicht auf der katholischen Seite spürbarer. 

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
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