Laut Oxfam Schere zwischen Arm und Reich noch größer

Armut mit Besteuerung Reicher bekämpfen

Nach einer aktuellen Studie der Organisation Oxfam hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Schuld allein ist nicht die Pandemie, sondern auch die Verteilung von Vermögen.

Symbolbild Armut / © Marian Weyo (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Laut Oxfam hat die Pandemie die globale Ungleichheit noch größer gemacht. Das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre hat sich zwischen März 2020 und November 2021 verdoppelt und mehr als 160 Millionen Menschen lebten zusätzlich in Armut. Stimmen Sie dem zu?

Ulrich Hemel (Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer, BKU): Das ist auch tatsächlich so. Denn richtig ist, dass die Anzahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, um mehr als 100 Millionen Menschen zugenommen hat. Von absoluter Armut spricht man, wenn Menschen weniger als zwei Dollar pro Person pro Tag, also etwa 60 Dollar im Monat, zur Verfügung haben. Das ist also wirklich sehr wenig. Es hängt auch damit zusammen, dass viele Menschen mit prekärer Arbeit in den informellen Sektor abgewandert sind. Das ist tatsächlich eine große Herausforderung.

DOMRADIO.DE: Warum ist das gerade jetzt so, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderdriftet?

Hemel: Das sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist: Wie ordnet eine Gesellschaft das Zusammenleben und wie garantiert sie einen Mindeststandard? Mindeststandard bezogen auf Wohnen, Zugang zu Bildung, Gesundheit und zu sauberem Wasser.

Das andere ist: Wie agieren Menschen, die unternehmerisch tätig sind? Wie gehen wir mit dem Erfolg dieser Menschen um? Dafür gab es ja auch eine relativ einfache Lösung, die lautet Besteuerung.

Letztes Jahr wurde weltweit eine globale Mindeststeuer eingeführt, zumindest mal beschlossen, die bei 15 Prozent liegt. Das ist auch fair und gerecht und das sollten wir auch weiterverfolgen - auch als Unternehmer und Unternehmerinnen.

Denn es ist einfach schwierig, wenn Digitalkonzerne ihre Steueroptimierung so weit betreiben, dass am Ende fürs Gemeinwesen wirklich zu wenig abfällt. Deswegen ist an der Stelle die Kritik richtig. Jetzt nur zu sagen: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, ist ein bisschen zu plakativ, denn wir müssen schon auch differenzieren.

DOMRADIO.DE: Oxfam leitet aus den Ergebnissen Forderungen ab. Zum Beispiel erwartet die Organisation eine einmalige Vermögensabgabe und eine Vermögenssteuer. Damit wären die Reichen ja immer noch reich, aber das Geld könnte etwas umverteilt werden. Sie haben grade schon das Beispiel der großen Technologieunternehmen genannt. Würden Sie hier auch übereinstimmen?

Hemel: Ich gehe noch weiter. Wir leben ja mit der sozialen Marktwirtschaft als einer sehr bewährten Form der Problemlösung, weil sie den Lösungsmechanismus fairer Wettbewerb mit der Zusage von sozialen Mindeststandards verbindet. Das ist eben soziale Marktwirtschaft.

Zu dieser sozialen Marktwirtschaft gehört eben auch, dass Wettbewerb funktionieren muss. Deswegen gibt es in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, eine Kartellbehörde, die dafür sorgt, dass Wettbewerb stattfindet und nicht zu Monopolen führt. Deswegen ist es durchaus sogar im Sinn der sozialen Marktwirtschaft, wenn Forderungen nach dem Zerschlagen von Digitalmonopolen erhoben werden. Denn soziale Marktwirtschaft funktioniert nur dort, wo der Wettbewerb eben auch eine Chance hat.

Das ist deutlich weitergehender als die Forderung nach einer zusätzlichen Besteuerung, die im Übrigen auch nicht ganz einfach ist, weil die Besteuerungsgrundlage gemessen werden muss. Dieses Messen der Besteuerungsgrundlage ist außerordentlich komplex und gar nicht einfach. Heute liegt der Börsenkurs bei 100, morgen bei 80, übermorgen bei 110. Welchen Wert nehme ich nachher für die Steuer? Vor allem, wenn ich die Aktie vielleicht gar nicht verkauft habe? Das sind dann schon Folgeprobleme. Da liegt der Teufel wirklich im Detail.

Aber zu fragen, in welcher Wirtschaftsordnung wir leben möchten und wie wir soziale Marktwirtschaft wirklich für alle gangbar machen, das ist, glaube ich, die Frage, die an der Zeit ist.

DOMRADIO.DE: Die soziale Marktwirtschaft in Deutschland hat vielleicht in der Pandemie wirklich das Schlimmste abgefedert, Stichwort Kurzarbeit, aber es gab noch viele andere Mechanismen, die da gegriffen haben. Wenn Sie jetzt sagen, wir bräuchten das eigentlich für alle, wie realistisch ist es, dieses Modell zu exportieren?

Hemel: Ich halte es durchaus für realistisch. Es hängt nur davon ab, dass man es wirklich will. Denn es setzt ja voraus, dass wir Institutionen schaffen, die dafür sorgen. Im Übrigen: Auch in Deutschland ist nicht alles grasgrün. Wir haben in Deutschland einen Verlust von Arbeitsplätzen in der Gastronomie. Ein Drittel der Menschen in der Gastronomie ist abgewandert. Wir haben Schwierigkeiten im Bereich der Pflege. Teilweise haben wir 450-Euro-Jobs verloren.

Aber wenn es richtig ist, dass soziale Marktwirtschaft diese beiden Mechanismen miteinander kombiniert, dann ist es durchaus ein Modell, was auch in anderen Ländern für Resonanz sorgt. Ich erfahre das selbst auch. Zu meinen Vorträgen über das Thema soziale Marktwirtschaft sind in Lateinamerika rund 900.000 Menschen digital zugeschaltet gewesen. Weil diese Frage viele interessiert: Gibt es keine Möglichkeit jenseits eines nicht funktionierenden Sozialismus wie in Venezuela und eines nicht gut und nicht gerecht funktionierenden marktliberalen Modells Gesellschaft zu gestalten?

Wir glauben gerade auch als BKU, dass wir hier mit der sozialen Marktwirtschaft ein Pfund in der Hand haben, das oft völlig unterschätzt wird. Deswegen stößt es tatsächlich auf sehr großes Interesse.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR