DOMRADIO.DE: Sie sind selber Amerikaner?

Dr. Tobias Schwaderlapp (Diözesanjugendseelsorger im Erzbistum Köln): So ist es. Wie hat damals bei Papst Benedikt XVI. die Bild-Zeitung getitelt: "Wir sind Papst!". Ich kann es heute nochmal sagen: "Wir sind Papst!". Ich habe den Ausweis dabei, weil es gerade irgendwie cool ist.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?
Schwaderlapp: Ich bin in den USA nur geboren. Ich bin da nicht richtig aufgewachsen. Ich bin dort noch getauft worden, habe aber nur anderthalb Monate in der Kindheit da verbracht. Später war ich noch einmal im Studium in Berkeley.
Ich komme gerade aus London und habe da an der Leadership Conference von Alpha International teilgenommen. Das ist schon eine große Sache. Die Conference hat gerade in London mit 5.000 Leuten aus 80 Ländern stattgefunden.
Da haben wir auch eine Gruppe aus Chicago ein paar Mal getroffen. Den "Chicagoans", die wir da getroffen haben, haben wir schon eine kurze Grußbotschaft geschickt und nochmal herzlichen Glückwunsch gesagt. Das ist sicherlich für die US-Amerikaner jetzt ein Riesending, einen Papst zu haben. Selbst wenn er nicht sein Leben lang in den USA war, sondern viel herumgekommen ist, wie man bei Wikipedia lesen kann.
DOMRADIO.DE: Hatten Sie ihn als Papst auf dem Schirm?
Schwaderlapp: Nein, ich hatte ihn nicht auf dem Schirm.
DOMRADIO.DE: Es hieß im Vorhinein, dass kein US-Amerikaner Papst werden darf. Warum eigentlich nicht? Ist die aktuelle Gemengelage zwischen Politik und katholischer Kirche so schwierig?
Schwaderlapp: Ich persönlich hätte nie gesagt, dass der neue Papst kein US-Amerikaner sein kann. Nicht nur, weil ich Amerikaner bin, sondern weil ich das als eine dominierend politische Überlegung verstehe, die ich einfach nicht von mir gegeben hätte. Sicher ist, dass die amerikanische Bischofskonferenz mit einigen Fliehkräften zu tun hat – wie überhaupt die ganze Weltkirche.
Mit Prevost haben wir jemanden, der in seinem Wappenspruch als Bischof auf das Thema der Einheit verwiesen hat. Keine politische Einheit eines kleinstmöglichen Kompromisses, sondern Einheit in einer radikalen Ausrichtung auf Christus; in ihm sind wir eins. Er ist der Grund unserer Einheit. Nicht, weil wir uns alle sympathisch finden oder politisch die gleichen Einschätzungen teilen, sondern weil wir gemeinsam als Jüngerinnen und Jünger Christi in seinen Fußstapfen unterwegs sind. Das ist eine Einheit, die bleibt – alles andere ist eine flüchtige Einheit.
Darauf verweist er in seinem Wappenspruch. Ich kenne ihn überhaupt nicht, aber dieses Indiz an sich nimmt mich schon einmal für ihn ein.
DOMRADIO.DE: Er hat auch viel von Frieden gesprochen.
Schwaderlapp: Ja, seine erste Rede fand ich überhaupt bemerkenswert. Für mich ist es die dritte Papstwahl, die ich miterlebe. Schon 2005 war ich in Rom auf dem Petersplatz. Das war eines der bewegendsten Erlebnisse meines Lebens. Die Zeit der Sedisvakanz nach dem Tod von Johannes Paul II., diese große Beerdigung, danach das Warten auf das Konklave und das Konklave selbst – es herrschte das Gefühl der Verwaisung in der Stadt. Dann läuteten die Glocken, nachdem abends der weiße Rauch aufgestiegen war, und nach und nach fingen die Glocken in ganz Rom an zu läuten. Und auf einmal gab es eine Schubumkehr in der Stadt: Alles rannte zum Petersplatz und wer in die andere Richtung unterwegs war, wurde einfach mitgerissen.
Dort zu stehen und zu warten war sehr bewegend. Dann hatten wir Papst Benedikt, den einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn, wie er es damals selbst gesagt hat. Papst Franziskus sagte das berühmte "Buonasera". Beide haben frei gesprochen. Ich fand es sehr erfrischend, dass Leo sich nicht dem Druck ausgesetzt hat, seine Rede ebenfalls frei zu sprechen, sondern auf seinem Zettel etwas aufgeschrieben hatte.
Er hat relativ lang geredet und einige sehr grundsätzliche Bemerkungen zur Einheit, zur Liebe Gottes gemacht und eine ermutigende Botschaft geteilt. Und er hat auf Spanisch seine alte Diözese in Peru gegrüßt, woran man erkennt, dass er kein reiner US-Amerikaner ist, der immer nur in den USA gelebt hat. Er war lange Jahre auch in Südamerika, in Peru, Bischof und das hat ihn sicherlich auch geprägt.
DOMRADIO.DE: Robert Francis Prevost stammt aus einer Einwandererfamilie: Französisch, spanisch, italienisch. Also eigentlich ist er...
Schwaderlapp: ...Weltkirche in einer Person.
DOMRADIO.DE: So kann man es vielleicht zusammenfassen. Auf der Loggia konnte man seine Emotionen von seinem Gesicht wirklich ablesen.
Schwaderlapp: Man sah ihm an, wie bewegt er war und deshalb ist es auch gut, dass er sich ein paar Sachen aufgeschrieben hat. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, auf diese Loggia zu treten und spätestens in diesem Moment zu realisieren: Das Leben, wie er es kurz zuvor noch geplant hatte, ist vorbei und er trägt nun eine immense geistliche Verantwortung für die Leute, die ihn in diesem Moment über den Bildschirm oder auf dem Petersplatz sehen. Auch für die Einheit der Kirche. Das prägt bis zum Tod. Ich weiß nicht, was ihm alles durch den Kopf gegangen ist und ich kann mich gar nicht in ihn hineinversetzen, aber das ist mir auch nahe gegangen.

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, 2005 sind die Leute zum Petersplatz gerannt. Dieses Mal war der Platz in dem Moment, als der weiße Rauch aufstieg, schon relativ gut gefüllt. Es kamen dann immer noch mehr Menschen. Wie kann man sich das vorstellen?
Schwaderlapp: Wenn man ein gewisses Grundinteresse hat, kommen diese Nachrichten, wenn der weiße Rauch aufsteigt, von überall her. Es ist ohnehin eine gewisse Grundanspannung in der Stadt und wenn sich die Nachricht einmal herumspricht, läuten die Glocken dann überall – in einer Kirche nach der anderen. Das allein ist in einer Stadt, die mit so vielen Kirchen gesegnet ist, ein großes Erlebnis. Dann machen sich alle auf zum Petersplatz, denn das erlebt man eben nur einmal im Jahrzehnt, wenn überhaupt.
Das Interview führten Lara Burghardt und Jan Hendrik Stens.