Kirchenrechtler ordnet Fall der Klosterbesetzerinnen von Goldstein ein

"Tatsächlich ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht"

Dass drei Nonnen gegen den Willen ihres Oberen aus dem Pflegeheim ins Kloster zurückkehrten, steht ihrem Gehorsamsgelübde entgegen, sagt Pater Noach Heckel. Der Social-Media-Hype um den Fall erschwere jetzt eine gütliche Einigung.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Außenaufnahme des Klosters Goldenstein. In Österreich sorgen drei betagte Ordensschwestern mit einer eigenwilligen Aktion für Aufsehen. Sie sind aus ihrem Pflegeheim ausgezogen und haben sich Zutritt zum leerstehenden Kloster Goldenstein bei Salzburg verschafft, wo sie bis vor etwa zwei Jahren gelebt hatten. / © Chris Hofer/FRANZ NEUMAYR (dpa)
Außenaufnahme des Klosters Goldenstein. In Österreich sorgen drei betagte Ordensschwestern mit einer eigenwilligen Aktion für Aufsehen. Sie sind aus ihrem Pflegeheim ausgezogen und haben sich Zutritt zum leerstehenden Kloster Goldenstein bei Salzburg verschafft, wo sie bis vor etwa zwei Jahren gelebt hatten. / © Chris Hofer/FRANZ NEUMAYR ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die drei Ordensfrauen sind aus dem Pflegeheim, in das sie 2023 gegen ihren Willen gebracht worden waren, in ihr Kloster zurückgekehrt - gegen den ausdrücklichen Willen ihres kirchlichen Vorgesetzten. Damit haben sie gegen ihr Gehorsamkeitsgelübde verstoßen, sagt der zuständige Propst. Hat er aus kirchenrechtlicher Sicht Recht?

Pater Noach Heckel OSB (privat)
Pater Noach Heckel OSB / ( privat )

Prof. Dr. Dr. Noach Heckel OSB (Professor für Kirchenrecht und Berater des vatikanischen Dikasteriums für den Klerus): Es musste eine Lösung gefunden werden, um die Versorgung der älter werdenden Schwestern zu sichern
und man hat die Lösung im Pflegeheim gefunden. Genau genommen ist das Pflegeheim jetzt das Kloster der Schwestern, denn der Sitz des Ordensinstituts wurde dorthin verlegt. Die Schwestern sind damit auch nicht in ihr Kloster zurückgekehrt, wie verbreitet geschrieben wird, sondern sie haben ihre Ordensniederlassung verlassen und leben jetzt in einem Gebäude, das früher einmal ihr Kloster war. 

Also haben wir es hier in der Tat mit einem Verstoß gegen die Gehorsamspflicht zu tun, weil sich die Schwestern gegen den Willen ihres Ordensoberen dorthin begeben haben. Zugleich ist es ein Verstoß gegen die Verpflichtung, sich in der eigenen Ordensniederlassung aufzuhalten.

DOMRADIO.DE: Ist denn der Gehorsam, den eine Ordensfrau oder ein Ordensmann in ihren Gelübden versprechen, bedingungslos?

Noach Heckel

"Gehorsam hängt also ganz entscheidend vom Hören ab - und zwar vom gegenseitigen Hören."

P. Noach: Der Gehorsam in einem Ordensinstitut darf nicht mit dem auf einem Kasernenhof verwechselt werden. Es ist niemals ein blinder, naiver oder infantiler Gehorsam; der lateinische Begriff für gehorsam 'oboediens' ist eine Verstärkung des lateinischen Wortes für hören 'audire'. 

Gehorsam hängt also ganz entscheidend vom Hören ab - und zwar vom gegenseitigen Hören. Es hört nicht nur der, der zum Gehorsam verpflichtet wird, sondern auch der, der ihn einfordert.  Dieses gegenseitige Hören dient dazu, zu ergründen, was der Wille Gottes ist. Gehorsam im Sinne eines Ordensgelübdes ist im Letzten immer Gott geschuldet. Darum geht es.

DOMRADIO.DE: Noch einmal anders gefragt: Wie viel Interpretationsspielraum lässt das Ortsrecht denn beim Thema Gehorsamkeitsgelübde?

P. Noach: Wichtig ist, dass Gehorsam nichts Äußeres ist, sondern ein geistlicher Akt, der bei schwierigen Fragen häufig am Ende eines inneren Prozesses steht. So ist etwa für meinem Ordensgründer, den heiligen Benedikt, der Gehorsam im Kloster etwas ganz Entscheidendes. Im Kapitel 68 seiner Regel behandelt er beispielsweise den Fall, dass dem Bruder etwas vom Oberen aufgetragen wird, das ihm zu schwer und unmöglich erscheint.

Das ist ähnlich wie in unserem Fall. Benedikt schreibt dazu, dass der Bruder dem Oberen geduldig und angemessen, ohne Stolz und Widerstand, seine Argumente darlegen soll. Umgekehrt solle auch der Abt seine Gründe darlegen. Es braucht also eine Offenheit füreinander, ein gegenseitiges Vertrauen. 

Wenn dann am Ende der Obere gleichwohl bei seiner Ansicht bleibt, schreibt Benedikt weiter, solle der Bruder überzeugt sein, dass es so gut für ihn ist. "Im Vertrauen auf Gottes Hilfe gehorche er aus Liebe", so steht es in der Regel. Das heißt: ich soll nicht widerwillig gehorchen, sondern so offen sein, dass ich das annehmen und darauf vertrauen kann, dass es der andere gut mit mir meint.

Noach Heckel

"Darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich am Ende nur das mache, was mir schmeckt."

DOMRADIO.DE: Die Expertin für Ordensrecht, Schwester Franziska Mitterer, hat mit Blick auf den aktuellen Fall betont, Ordensgehorsam sei immer dialogisch zu verstehen. Und sie sagt auch, dass "wir wegkommen müssen von "einem paternalistischen bzw. maternalistischen Ordensgehorsam". Sind Sie da bei ihr?

P. Noach: Da bin ich ganz bei ihr. Denn dialogisch meint hier ja, dass Gehorsam ein gegenseitiges Hören voraussetzt. Aber - und ich glaube, das meint sie auch - dialogisch darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich am Ende nur das mache, was mir schmeckt. Denn dann könnte ich mir das Gelübde des Gehorsams auch sparen. Es geht vielmehr um das gegenseitige Hören. Ganz wichtig ist das Vertrauen, dass ich mich am Ende vielleicht auf etwas einlasse, das ich zunächst noch nicht sehe und noch nicht verstehe.

DOMRADIO.DE: Die drei betagten Ordensfrauen mussten sich als letzte ihrer Gemeinschaft einer anderen Gemeinschaft anschließen und ihren Nachlass regeln. Dazu haben sie einen Übergabevertrag abgeschlossen, der ihnen in ihrem Kloster ein Bleiberecht auf Lebenszeit zusicherte. Dass eine Klausel im Vertrag genau diese Vereinbarung wieder aufhob, wussten sie nicht und wurden darüber auch nicht informiert. Jetzt fühlen sie sich über den Tisch gezogen. Haben die Schwestern da nicht Recht?

P. Noach: Ich kenne die Vereinbarung natürlich nicht im Detail. Aber selbst wenn der Vertrag tatsächlich so abgeschlossen wurde, löst die Vereinbarung eines solchen Bleiberechts nicht das grundsätzliche Problem, wenn das Wohl der Schwestern dort auf Dauer nicht mehr gesichert ist. Mir scheint es plausibel, dass sich die drei Schwestern auf Dauer im Kloster nicht versorgen können. 

Wenn ich recht informiert bin, hat sich die Präsidentin der Föderation der Augustiner Chordamen aus Essen, die auch eine gewisse Zuständigkeit für das Kloster hat, bereits medial geäußert und gesagt, dass alle diese Fragen längst mit den Schwestern besprochen sind. Auch vor dem Hintergrund anderer Fälle scheint mir das glaubwürdig; denn niemand wird in einer Nacht- und Nebelaktion irgendwo anders hin transportiert. Hinter der Geschichte kann vielmehr die Entscheidung des Oberen stehen, der ja für die Schwestern die Verantwortung trägt, dass das Pflegeheim für sie der bessere Ort ist.

DOMRADIO.DE: In Medienberichten steht, dass während der Abwesenheit der Schwestern Bargeld aus dem Kloster verschwunden ist und sie auf ihre eigenen Bankkonten keinen Zugriff mehr haben. Dabei könnten die drei sich mit ihren Altersbezügen eine Pflegekraft im Kloster durchaus leisten. Die Schwestern sagen also, dass sie sehr wohl für ihr Wohl sorgen könnten, wenn man sie nur ließe. Dagegen zu argumentieren widerspricht dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. Was sagen Sie dazu?

P. Noach: Da besteht wohl ein großes Missverständnis. Denn in Ordensinstituten dieser Art versprechen die Ordensfrauen auch Armut. Das heißt, sie entledigen sich zu Beginn ihres Ordenslebens all ihres Besitzes. Umgekehrt ist es Aufgabe der Gemeinschaft oder des zuständigen Oberen, für alle Ordensmitglieder bis zum Tod zu sorgen. 

Mit anderen Worten gibt es also keine privaten Konten oder Gelder, auf die ich als Ordensmitglied Anspruch habe. Deswegen können wir auch nicht von Altersbezügen sprechen, die den Schwestern zustehen oder gehören. Das ist ja gerade Gegenstand der Ordensprofess. Wenn ich diese Dinge behalten möchte, darf ich keine Ordensprofess ablegen.

Noach Heckel

"Vertrauen ist grundsätzlich für den Gehorsam etwas ganz Entscheidendes."

DOMRADIO.DE: Die Schwestern sagen, sie wollten einfach nur im Kloster bleiben und dort ihren Lebensabend verbringen. Sie sollten auf jeden Fall aus medizinischen Gründen im Pflegeheim leben, sagt dagegen der zuständige Propst. Sehen Sie eine Möglichkeit, wie die verfahrene Situation im Guten gelöst werden könnte, gerade auch angesichts der medialen Aufmerksamkeit?

P. Noach: Ich glaube, wir haben es hier weniger mit einem ein rechtlichen als vielmehr mit einem menschlichen Problem zu tun. Da sehe ich es als sehr schwierig an, dass das Ganze öffentlich verhandelt wird. Wie soll da ein vertrauensvolles Gespräch miteinander noch stattfinden können? Wenn jeder Angst haben muss, dass am nächsten Tag das Gespräch auf Facebook gepostet wird?

Ich glaube, Vertrauen ist grundsätzlich für den Gehorsam etwas ganz Entscheidendes und besonders auch in dieser Situation etwas ganz Maßgebliches, um wieder zu einem Miteinander zu kommen.

DOMRADIO.DE: Was könnte denn passieren, wenn sich die Schwestern weiter weigern, dem Willen des Oberen Folge zu leisten?

P. Noach: Wenn ein Ordensmitglied sein Ordensinstitut widerrechtlich verlässt, wird es mehrmals aufgefordert, wieder zurückzukehren.  Und – was eigentlich selbstverständlich ist - wenn ich verspreche, auf Dauer im Kloster zu leben und mich dann eigenmächtig davon entferne, muss es auch irgendwelche Maßnahmen geben damit umzugehen. Das kann bis zur Entlassung aus dem Ordensinstitut führen.

Noach Heckel

"Sterben ist nicht einfach, das gilt auch für Gemeinschaften."

DOMRADIO.DE: Die Auseinandersetzung ist auch deshalb so aktuell, weil sehr viele Ordensgemeinschaften überaltert und damit vom Aussterben bedroht sind. Ist der Fall der drei Nonnen von Kloster Goldenstein damit auch eine Art Präzedenzfall?

P. Noach: Sterben ist nicht einfach, das gilt auch für Gemeinschaften. Wenn man merkt, die eigene Gemeinschaft wird in absehbarer Zeit nicht mehr überleben, ist das natürlich eine äußerst kritische Situation. Dann stellen sich genau die Fragen, die wir in diesem Fall auch haben: Wer kann in Zukunft die Leitung der Gemeinschaft noch gewährleisten? Wie ist es mit der Betreuung? Was ist mit der Frage des Wohnraums? Wie können die Ordensleute weiter geistig leben?  

Der Heilige Stuhl beschäftigt sich mit diesen Fragen schon seit längerem - gerade auch mit Blick auf die schrumpfenden Gemeinschaften, besonders schrumpfende Frauengemeinschaften in Westeuropa, und hat dazu im Jahr 2018 die Instruktion Cor Orans veröffentlicht. Eine Maßnahme dieser Instruktion lautet, dass die einzelnen Ordensinstitute in einer Föderation Mitglied werden müssen, also quasi eingebunden werden in ein Netz. Die Föderationspräsidentin hat bestimmte Aufsichtspflichten und auch Hilfspflichten, um in solchen Fällen unterstützen zu können. Da gibt es einen ganzen Katalog an Möglichkeiten, wie damit umzugehen ist.

Was vielleicht positiv am aktuellen Wirbel um die Ordensfrauen von Kloster Goldenstein ist: Dass wir wieder aufmerksam werden auf dieses Thema und dass vielleicht auch andere Ordensgemeinschaften vor Augen haben, dass sich in absehbarer Zeit ähnliche Fragen stellen werden. Die Deutsche Ordensoberenkonferenz unterstützt bei diesem Prozess. Oft geht es nicht in erster Linie um rechtliche , sondern vor allem um menschliche Dinge. Die Schwester müssen entscheiden, wie sie im Alter leben wollen. Dass es dazu zahlreiche Hilfestellungen gibt, finde ich sehr positiv.

Quelle:
DR

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