Kirchen machen mit neuer Charta Oecumenica Schritt ins Hier und Jetzt

"Ökumene lebt vom Zuhören"

Die "Charta Oecumenica" ist die Leitlinie für eine wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa. Am Mittwoch wird im Vatikan eine revidierte Fassung unterzeichnet. Ein wichtiger Schritt, erklärt Theologin Lea Schlenker.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Mann trägt eine Kette mit einem Holzkreuz (shutterstock)
Mann trägt eine Kette mit einem Holzkreuz / ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ist die Charta Oecumenica so etwas wie die geistliche DNA für die ökumenische Zusammenarbeit in Europa? 

Lea Schlenker (evangelische Theologin, hat in der europäischen Kommission zur Überarbeitung der Charta Oecumenica mitgearbeitet): Vieles, was in der Charta steht, entspricht dem, wie ich Ökumene erlebe und wie ich kirchliche Zusammenarbeit von Kindesbeinen an kenne. Deswegen würde ich sagen: 'Ja, die Charta hat durchaus so ein bisschen einen Grundcharakter und das geprägt.'

Als ich das erste Mal die Charta Oecumenica gelesen habe, dachte ich: 'Komisch, dass ich diesen Text nicht kenne.' Denn ich bin in der Ökumene relativ aktiv. 

Lea Schlenker hat Evangelische und Islamische Theologie in Tübingen, Basel (Schweiz) und Dunedin (Neuseeland) studiert. Ihr Fokus liegt auf dem interreligiösen Dialog. / © Nadine Schäfers (privat)
Lea Schlenker hat Evangelische und Islamische Theologie in Tübingen, Basel (Schweiz) und Dunedin (Neuseeland) studiert. Ihr Fokus liegt auf dem interreligiösen Dialog. / © Nadine Schäfers ( privat )

DOMRADIO.DE: Wo merken wir die Charta denn im Alltag der Ökumene? 

Schlenker: Das merkt man an dem ganz grundlegenden Prinzip, dass - als die Charta in Europa prominent wurde - man nicht mehr sagte, wir müssen erst mal klären, wo wir zusammenarbeiten können. Das ist wirklich ein Wechsel in der Herangehensweise hinzu: 'Eigentlich haben wir den gleichen Glauben, eigentlich können wir zusammenarbeiten'. Nur in ganz besonderen Fällen, wo es irgendwie um entscheidende Glaubensfragen geht, da müssen wir dann nochmal gucken.

DOMRADIO.DE: Wir haben es also weniger mit einem lehramtlichen Text zu tun und mehr mit so einer Art Selbstverpflichtung der unterschiedlichen christlichen Konfessionen?

Schlenker: Genau. Und das ist wirklich auch das Spannende, was die Charta Oecumenica auf europäischer Ebene von dem unterscheidet, was ökumenische Dokumente sonst ausmacht. Sie ist eben für die Praxis gedacht.

In ihr stecken natürlich auch theologische Überlegungen. Das ist klar. Aber immer mit Selbstverpflichtungen und das ist eine große Veränderung. 

DOMRADIO.DE: Jetzt ist es über 20 Jahre her, dass die erste Charta 2001 in Straßburg unterzeichnet worden ist. Was ist seitdem in der Ökumene in Europa wesentlich passiert? 

Schlenker: Es ist sehr viel passiert. Unabhängig von der Ökumene hat sich die Situation der Kirchen in der Welt verändert. Die Säkularisierung hat unterschiedlich stark zugenommen. Die Selbstverständlichkeit, dass Kirchen eine wichtige Rolle spielen, ist zurückgegangen. Gleichzeitig gibt es eine größere Vielfalt an Kirchen. Das heißt, dass die Gesprächspartner in der Ökumene plötzlich andere sind und an anderer Position sind. Das verändert einiges.

Und dann ist tatsächlich einiges aus der ersten Charta umgesetzt worden. Zum Beispiel wird der September als gemeinsame Schöpfungszeit gefeiert. Das hat die Charta Oecumenica angeregt. Und auf deutscher Ebene ganz prominent ist, dass manche Kirchen Taufen anerkennen, die sie davor nicht anerkannt haben. 

Taufe eines Säuglings (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass mehr Gesprächspartner in den ökumenischen Dialog getreten sind. Zeit also für eine Revision. Wie ist die denn abgelaufen? Sie waren ja dabei. 

Schlenker: Das war ein sehr spannender Prozess. Wir waren primär eine Arbeitsgruppe: einmal mit drei Mitgliedern auf römisch-katholischer Seite und drei Mitgliedern, die die orthodoxe, anglikanische und evangelische Kirchen vertreten haben. Wir haben diesen Prozess angefangen und dann erstmal als Arbeitsgruppe gearbeitet. Zu bestimmten Themen haben wir ExpertInnen eingeladen und im zweiten Schritt haben wir die Kirchen befragt. Das war richtig spannend. Denn als ich diesen Auftrag bekommen habe, wurde mir gesagt: 'Na ja, Ökumene interessiert auch niemanden. Wer braucht noch Dokumente?'

Wir haben aber sehr, sehr viele Rückmeldungen von den Kirchen bekommen. Sehr differenzierte Rückmeldungen und konstruktive Kritik. Das fand ich toll, weil wir damit ganz gut arbeiten konnten. Das hat auch so ein schönes Gegenbild gezeichnet zu diesem 'Wir leben in einer Welt von Trennungen, Spaltungen, Hassreden'. All das war in diesem Prozess gar nicht zu spüren, sondern der Wille, dass wir zusammenarbeiten wollen. Und ich glaube, aus diesem Prozess des Aufeinander-Hörens und Zusammenarbeitens ist nachher ein ganz tolles Dokument entstanden. Weil die Kirchen so aktiv waren, haben sie am Ende einen großen Platz in diesem Dokument bekommen. 

Lea Schlenker

"Weil die Kirchen so aktiv waren, haben sie am Ende einen großen Platz in diesem Dokument bekommen."

DOMRADIO.DE: Können Sie auch ein Beispiel nennen, was sich jetzt im Vergleich zur ersten Charta geändert hat? 

Schlenker: Es ist ein recht kurzes Dokument geblieben. Wir haben ein paar neue Kapitelabschnitte zum Beispiel zur Jugend. Das kam tatsächlich konkret aus den Kirchen, weil sie gesagt haben, dass sie einen extra Abschnitt zur Jugend und der Bedeutung von jungen Menschen in der Ökumene brauchen. Wir haben auch einen neuen Abschnitt zum Umgang mit Migration und einen neuen Abschnitt zum Thema Krieg und Frieden. Diese drei Themen waren natürlich auch davor schon Teil der Charta. Aber nur in Nebensätzen erwähnt. Jetzt widmet sich eben ein eigener Abschnitt diesen Themen. Wir fanden sie wichtig für unsere Zeit. Ganz neu ist ein Abschnitt zu Digitalisierung und neuen Technologien.

Lea Schlenker

"Aus diesem Prozess des Aufeinander Hörens und Zusammenarbeitens ist ein ganz tolles Dokument entstanden."

DOMRADIO.DE: Was sagt die Charta denn ganz konkret zu Migration? 

Schlenker:  Die Charta bleibt da im biblischen und kirchlichen Raum. Sie betont, dass Jesus Christus von Anfang an ein Migrant war. Die großen Figuren der Bibel sind MigrantInnen, denkt man an Abraham, Sarah und all die anderen. Und wir verstehen uns als PartnerInnen in Solidarität mit allen, die auf der Reise sind, in welcher Form auch immer. Zu dieser theologischen Einordnung gibt es zusätzlich konkrete Handlungsverpflichtungen. 

DOMRADIO.DE: Die erste Charta wurde in Straßburg unterzeichnet. Was bedeutet es, dass die Charta am Mittwoch im Vatikan unterzeichnet wird? 

Die Via della Conciliazone mit Blick auf den Petersdom / © Lorena Huerta (shutterstock)
Die Via della Conciliazone mit Blick auf den Petersdom / © Lorena Huerta ( shutterstock )

Schlenker: Es ist eine ganz schöne Entwicklung, dass es jetzt so gekommen ist. Die erste Fassung war eben in Straßburg, dem Herzen des Protestantismus in Frankreich, das auch sehr von den politischen Institutionen geprägt ist. Und ich finde es eigentlich schön, dass man sich jetzt für diese zweite revidierte Fassung in Rom trifft, einer Stadt, die viele Menschen mit geistlichem Leben, Pilgerfahrten und vielem anderem assoziieren. Der Fokus auf das geistliche Leben prägt auch die neue Fassung der Charta Oecumenica stark, wie die Frage nach Gebet und Theologien. Aber ich würde nicht sagen, dass es jetzt zu einem römischen Dokument geworden ist.

DOMRADIO.DE: Eigentlich sollte das Dokument am 21. April unterzeichnet werden. Dann kam plötzlich der Tod von Papst Franziskus dazu. Was haben Sie für ein Gefühl, wie es mit der Ökumene unter Papst Leo weitergeht? 

Schlenker: Ich finde das sehr spannend, weil es noch eine recht neue Phase des Pontifikats Leos ist und wir noch nicht ganz wissen, in welche Richtung es geht. Was ich als evangelische Theologin bisher mitbekommen habe, ist, dass Papst Leo ein zuhörender Papst ist. Er hört, was die Menschen bewegt, und sagt nicht gleich: 'Wir machen es so und so.' Und das finde ich sehr spannend und auch wirklich ein gutes Zeichen für die Ökumene, weil die Ökumene vom Zuhören lebt. 

DOMRADIO.DE: Wird Papst Leo auch bei der Unterzeichnung dabei sein? 

Schlenker: Meines Wissens nicht, aber wir sind am nächsten Morgen bei einer Audienz bei ihm. 

DOMRADIO.DE: Was liegt Ihnen ganz besonders am Herzen, was Sie dem Papst am liebsten sagen würden? 

Schlenker: Dass er sich diesen zuhörenden Charakter bewahrt und das auch gegen allen Druck, der von außen kommen mag.


Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Quelle:
DR

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