"Wenn wir sagen, dass Prostitution ein Beruf wie jeder andere sei, dann ist das nicht nur lächerlich, sondern ein Verächtlichmachen von Frauen. Es gibt auch keine Schülerpraktika in diesem Beruf", sagte die CDU-Politikerin Julia Klöckner in der vergangenen Woche in einer Laudatio beim "Heldinnen-Award" in Berlin, der besonders mutige Frauen ehrt. Ihre Forderung ist klar: "Wir müssen Prostitution und Sexkauf endlich verbieten!"
Diese Diskussion gibt es, seit Prostitution im Jahr 2002 in Deutschland legalisiert und 2017 durch ein Schutzgesetz ergänzt wurde. Seitdem gilt Sexkauf offiziell als Dienstleistung, sofern er freiwillig und angemeldet ist. Ziel war es, Prostituierte aus der Illegalität zu holen, besser vor Ausbeutung zu schützen und ihnen Zugang zu einer Krankenversicherung zu ermöglichen. Die liberale Gesetzgebung zieht jedoch auch Sextouristen aus dem Ausland an, vor allem in den Grenzregionen. Immer wieder ist deshalb in Medien auch von Deutschland als "Bordell Europas" die Rede. Genaue Zahlen dazu gibt es jedoch nicht.
"Prostitution ist nie freiwillig"
Maria Decker erlebt in ihrer Arbeit mit Frauen in der Prostitution vor allem Ausbeutung und Zwang. Sie ist Vorsitzende der von Ordensschwester Lea Ackermann gegründeten Frauenhilfsorganisation SOLWODI ("Solidarity with Women in Distress"). Für sie steht fest: "Prostitution ist nie freiwillig." Selbst wenn manche Frauen angeben, sich bewusst für diesen Weg entschieden zu haben, sieht Decker dahinter meist ökonomische Zwänge, Abhängigkeiten oder Gewalterfahrungen. "Es geht um Armut, um fehlende Alternativen und um Frauen, die keine andere Möglichkeit sehen, zu überleben", sagt sie.
Das Argument, ein Verbot würde Frauen in die Illegalität treiben, lässt sie nicht gelten. "Das Dunkelfeld existiert heute schon, nur etwa zehn Prozent aller Prostituierten sind gemeldet und die meisten Frauen leben in Abhängigkeit von Zuhältern oder Bordellbetreibern. Ein legales System schützt sie nicht, sondern verschleiert das Elend", sagt Decker. Sie fordert stattdessen mehr Ausstiegsprogramme, psychosoziale Hilfe und Schulungsangebote, um betroffenen Frauen echte Alternativen zu bieten.
Legalisierung der falsche Weg?
Wie Klöckner befürwortet auch SOLWODI ein Sexkaufverbot nach nordischem Vorbild, wie es etwa in Schweden gilt: Der Kauf sexueller Dienstleistungen wird bestraft, nicht deren Angebot. Ziel sei es, die Nachfrage zu senken und Frauen mit flächendeckenden Ausstiegsprogrammen Wege aus der Prostitution zu eröffnen. "Die Frauen sind in diesem Modell vollkommen entkriminalisiert und beispielsweise in Schweden beobachten wir, dass die Gewalt gegen sie stark zurückgegangen ist", so die Vorsitzende. Frauen könnten zur Polizei gehen, ohne Repressalien zu befürchten, weil sie nicht angemeldet sind.
Für sie war die Legalisierung aus dem Jahr 2002 das falsche Signal: "Es geht um dieses Bewusstsein. Man kann eine Frau kaufen, nach dem Motto: 'Ich bezahle und dann kann ich mit ihr machen, was ich will.'" Es müsse anstatt dessen um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und zwischen Menschen mit unterschiedlichen ökonomischen Positionen gehen.
Kriminalisierung führt ins Dunkelfeld
Katharina van Elten sieht die Sache grundlegend anders. Für sie ist das nordische Modell kein Weg zu mehr Schutz, sondern zu mehr Gefährdung. "Eine Kriminalisierung der Kunden führt dazu, dass sich Sexarbeit ins Dunkelfeld verlagert", sagt die Referentin für Gewaltschutz beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Dortmund. Wenn Freier Strafen fürchten müssen, finden Begegnungen nicht mehr in öffentlichen oder kontrollierten Räumen statt, sondern in abgeschotteten, gefährlichen Umgebungen. "Das Risiko für Gewalt und ungeschützten Sex steigt nachweislich."
Van Elten zufolge gäbe es keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Menschen freiwillig oder unfreiwillig in der Prostitution tätig sind. "Zwang und Freiwilligkeit sind keine klaren Gegensätze, sondern ein Kontinuum", erklärt sie. Armut, Sucht oder Migration spielten dabei eine große Rolle. Aber ein Verbot löse diese Probleme nicht - es verschärfe sie: "Dabei geht es uns nicht darum, Prostitution oder Menschenhandel schönzureden, sondern darum, wie Frauen, die in dem Bereich tätig sind, am besten unterstützt werden können."
Gesetze gelten längst
Van Elten plädiert für bessere Sozialarbeit und Gesundheitsangebote, für Aufklärung und für konsequentere Strafverfolgung von Menschenhandel, der ohnehin verboten ist. "Diese Gesetze gibt es längst, sie müssen nur angewandt werden", sagt sie. Was fehle, seien Mittel: spezialisierte Staatsanwaltschaften, ausreichend finanzierte Beratungsstellen, Ausstiegsprogramme.
Ein grundsätzliches Sexkaufverbot hält sie für Symbolpolitik: Freiwillig Sexarbeitende würden dadurch bevormundet und diejenigen, die Schutz brauchen, würden dadurch kriminalisiert und in die Schutzlosigkeit gedrängt. "Man will helfen, aber erreicht das Gegenteil", warnt van Elten. Studien zeigten, dass in Ländern mit einem Sexkaufverbot weder Menschenhandel noch Ausbeutung signifikant zurückgingen. "Dafür leiden die Sexarbeitenden unter mehr Stigmatisierung, Unsicherheit und Armut."
Moral oder Realität?
Beide Frauen eint das Ziel, Frauen in Not zu schützen - doch ihre Wege dahin könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Decker auf das moralische Signal eines Verbots setzt, sieht van Elten in der aktuellen Debatte vor allem eine gefährliche Moralisierung. "Wer wirklich helfen will, muss investieren - in Ausstieg, Beratung, Gesundheit. Nicht in Strafen", sagt sie.
Einig sind sich beide in einem Punkt: Die derzeitige Situation ist untragbar. Zu viele Frauen leben in Ausbeutung, zu wenige haben Alternativen. Und für eine Ausweitung von Ausstiegs- und Beratungsprogrammen sei nicht genug Geld da. "Ich erwarte, dass wenn man sich in der politischen Debatte so sehr einsetzt für das Wohl der Sexarbeitenden", so Katharina van Elten vom SkF, "dass man dann auch entsprechende Mittel bereitstellt und sich nicht nur moralisch darüber empört."