Katholische Demokratie-Expertin kritisiert Migrationskurs der Union

"Gefährliches wahltaktisches Manöver"

Die CDU/CSU habe mit ihrem jüngsten Abstimmungsverhalten zu Asyl und Migration der Demokratie massiv geschadet, beklagt Claudia Pfrang. Sie leitet das Kompetenzzentrum Demokratie und Menschenwürde der Katholischen Kirche in Bayern.

Die Abgeordneten der AfD-Fraktion freuten sich im Bundestag / © Kay Nietfeld (dpa)
Die Abgeordneten der AfD-Fraktion freuten sich im Bundestag / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie die Strategie der Union, mit Stimmen der AfD Anträge und ein Gesetzesvorhaben zur Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik durchsetzen zu wollen? 

Dr. Claudia Pfrang (Leiterin Kompetenzzentrum Demokratie und Menschenwürde der Katholischen Kirche Bayern):  Ich sehe darin ein gefährliches wahltaktisches Manöver. Ich befürchte, so wie es die Leitungen der Berliner Büros der Kirchen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme gesagt haben, dass die Demokratie hier massiven Schaden genommen hat. 

Dr. Claudia Pfrang / © ©Kiderle
Dr. Claudia Pfrang / © ©Kiderle

Schließlich hat man die Zustimmung einer Partei in Kauf genommen, von der man weiß, dass sie eine völkische, rassistische, fremdenfeindliche und antidemokratische Haltung hat. Zudem weiß man, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen weder den Bundesrat passieren noch europarechtlich standhalten werden. Warum macht man so etwas? 

Claudia Pfrang

"Ich frage mich schon, wie so manche engagierten Christinnen und Christen der CDU/CSU gemeinsam mit der AfD stimmen konnten." 

DOMRADIO.DE:  Nehmen Sie allgemein so etwas wie eine Ohnmacht der Zivilgesellschaft angesichts des permanenten Vormarsches der Rechtspopulisten wahr? 

Pfrang: Ich nehme eine gewisse Resignation wahr und die Befürchtung, dass das jahrelange Engagement zu diesem Thema wenig fruchtet. Zugleich nehme ich seit Mittwoch vergangener Woche auch ein verloren gegangenes Vertrauen in die konservativen Kräfte in unserem Land wahr, von denen man doch meinte, sie würden für den Grundkonsens stehen, die Menschenwürde zu schützen. 

Bei allem Verständnis für die Fraktionsdisziplin frage ich mich schon, wie so manche engagierten Christinnen und Christen der CDU/CSU gemeinsam mit der AfD stimmen konnten. 

Claudia Pfrang

"Christsein aber heißt, politisch zu sein im Sinne des Einsatzes für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität."

DOMRADIO.DE: Die Kirchen haben vor der Bundestagswahl verschiedene ökumenische Initiativen gestartet. Sie informieren, laden zur Diskussion ein, klären auf. Wie bewerten Sie solche Anstrengungen? 

Pfrang: Ich finde sie wichtig. Auch wenn sie in der Gesellschaft nicht mehr dieselbe hohe Relevanz wie früher hat, bleibt die Kirche doch eine wichtige Stimme. So nehme ich das auch bei uns im Kompetenzzentrum für Demokratie und Menschenwürde wahr. Ich frage mich dann immer, was denn die Alternative wäre. Sollen wir uns nicht mehr einmischen? 

Die Antwort ist ein klares Nein. Gerade in Zeiten wie diesen wäre eine Nichteinmischung oder eine Nichtpositionierung so etwas wie eine Zustimmung zu den Dingen. Christsein aber heißt, politisch zu sein im Sinne des Einsatzes für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität. Was nach wie vor bedeutet, sich einzumischen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Claudia Pfrang

"Ich halte diese Proteste für sinnvoll, weil sie die stärken, die etwas resigniert sind."  

DOMRADIO.DE: Zuletzt sind wieder viele Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Rechtsruck im Land zu protestieren. In den Umfragen spiegelt sich das bisher nicht. Wie sinnvoll sind dann solche Proteste? 

Pfrang: Ich halte diese Proteste für sinnvoll, weil sie die stärken, die etwas resigniert sind.  Sie erleben dann: ‚Ich bin doch nicht alleine, sondern wir sind viele‘. Gleichzeitig glaube ich, dass diese Demos alleine uns nicht retten werden. Sondern ich glaube, dass wir noch viel stärker unterschiedliche Positionen ins Gespräch bringen müssen. 

Teilnehmer einer Demonstration zur Migrationspolitik in Düsseldorf halten ein Banner mit der Aufschrift "Wir sind die Brandmauer".  / © Roberto Pfeil (dpa)
Teilnehmer einer Demonstration zur Migrationspolitik in Düsseldorf halten ein Banner mit der Aufschrift "Wir sind die Brandmauer". / © Roberto Pfeil ( dpa )

Ich halte es für enorm wichtig, gerade auch nach den Bundestagswahlen zu überlegen, wie wir aus den Bubbles, also den Blasen, herauskommen und unterschiedliche Positionen wieder miteinander ins Gespräch bringen können. Dazu gibt es bisher kaum Konzepte, aber wir sind dabei, etwas Neues zu entwickeln. 

DOMRADIO.DE: Sie haben die Bubbles erwähnt. Tatsächlich leben viele in Blasen, in denen sie gar keinen direkten Kontakt zu potenziellen AfD-Wählenden haben. Was raten Sie, sollten sie den Kontakt suchen? 

Pfrang: Ich rate schon dazu, den Kontakt aktiv zu suchen. Jedenfalls da, wo wir merken, dass Leute mit in den Kontakt gehen. Wir wissen ja, dass circa acht Prozent der Bevölkerung ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Mit ihnen werden wir kaum in Kontakt kommen. 

Aber wir wissen, das spiegeln auch die Umfragen wieder, dass etwa zwanzig Prozent Teilzustimmungen haben, sich in einen Graubereich bewegen. Da lohnt es sich wirklich, in den Kontakt zu gehen. Wir sind gerade dabei, ein Format zu entwickeln, dass wir vorläufig 'Unbubble‘ genannt haben. 

Unserer Idee ist es, Orte aufzusuchen, an denen voraussichtlich mehrere Schichten der Gesellschaft mit mehreren Positionen zusammenkommen. Zum Beispiel könnte man Leute ins Kino einladen und dann miteinander ins Gespräch bringen. Wir müssen Foren finden, wo viele Menschen unterschiedlicher Meinungen zusammenkommen und nach Möglichkeiten suchen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das klingt vielleicht erst einmal banal, aber ich glaube, allein schon der gegenseitige Kontakt würde helfen. 

Claudia Pfrang

"Ich möchte immer dazu ermutigen, ins Gespräch zu gehen." 

DOMRADIO.DE: Was ist mit Familientreffen, wo der Großonkel gegen Migranten vom Leder zieht oder die Cousine aggressives Politiker-Bashing betreibt? Sollen wir dann ins Gespräch einsteigen, mit Argumenten dagegenhalten? 

Pfrang: Ich möchte immer dazu ermutigen, ins Gespräch zu gehen. Gleichzeitig sollte sich jeder selbst überlegen, ob er oder sie an der Stelle wirklich Auseinandersetzung wagen will, in die Auseinandersetzung gehen will und ob sich die Auseinandersetzung lohnt. 

Es ist dann die Frage, ob der Großonkel wirklich offen für Argumente ist oder nur wieder sagt: 'Du gehört doch zu diesen links-grün Versifften, mit dir unterhalte ich mich nicht.‘ Prinzipiell gilt: Je enger die Beziehung ist, umso besser ist es auch möglich, Fragen zu stellen wie 'Meinst du das wirklich? Wen meinst du, wenn du von ‚allen Ausländern‘ sprichst? Hast du denn überhaupt Kontakt zu Ausländern und vielleicht auch eine eigene Erfahrung einzubringen?‘ Es gibt leider kein Patentrezept und deswegen ist es auch so schwierig. Aber ich glaube, wir sollten gerade im Familienkreis mehr wagen. 

Claudia Pfrang

"Wir brauchen in den Debatten viel mehr auch Kompromissfähigkeit."

DOMRADIO.DE: Was könnte denn über das Miteinanderreden hinaus noch helfen? 

Pfrang: Ich glaube, wir müssen vor allem viel mehr miteinander reden. Gleichzeitig glaube ich, dass die demokratischen Parteien gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wirklich die Probleme der Menschen anpacken müssen und damit auch Konsense ermöglichen.

Ich glaube, viele Debatten werden heute nicht mehr wirklich im Sinne einer Konfliktbefriedung geführt, sondern im Sinne eigener Interessen. Ich halte es für notwendiger denn je, dass die Sorgen der Menschen wirklich aufgenommen werden. Deswegen finde ich auch die einseitige Zuspitzung des Bundestagswahlkampfes auf die Migrationsdebatte für falsch. Wobei auch nur teilweise lösungsorientiert diskutiert wird. Wir brauchen in den Debatten viel mehr auch Kompromissfähigkeit. 

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.

Zustrombegrenzungsgesetz

Das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz der Union zielt auf drei Bereiche ab: Es sieht vor, dass das Ziel einer Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland für das Aufenthaltsrecht wieder zur Maßgabe werden soll. Dieser Passus war erst 2023 von der damaligen Ampel-Koalition abgeschafft worden.

Auch soll der Familiennachzug zu sogenannten subsidiär Schutzberechtigten bis auf weiteres beendet werden. Subsidiärer Schutz greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland dennoch ernsthafter Schaden droht.

Symbolbild: Migranten gehen über das Gelände einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber / © Patrick Pleul (dpa)
Symbolbild: Migranten gehen über das Gelände einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber / © Patrick Pleul ( dpa )
Quelle:
DR

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