DOMRADIO.DE: 2005 war das erste Konklave, an dem Sie teilgenommen haben, Joseph Ratzinger wurde schließlich Nachfolger von Johannes Paul II.. Wie war es für Sie, dass Sie einen deutschen Papst wählen konnten?

Walter Kardinal Kasper: Nach Johannes Paul II. hat man gedacht, es muss einer kommen, der auf der gleichen Linie liegt. Das war Benedikt, aber auf der anderen Seite war er eine andere Persönlichkeit als Johannes Paul II. Dass es ein deutscher Papst werden könnte nach der deutschen Nazi-Vergangenheit, hätte niemand gedacht. Das war wichtig für das Ansehen von Deutschland; obwohl es dann einen gewissen Entfremdungsprozess zwischen Benedikt und sehr vielen Menschen in Deutschland gab.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf das Konklave an sich. Wie kann man sich das vorstellen? Besteht der Tagesablauf aus Arbeiten und Schlafen?
Kasper: Das ist eine eigene Atmosphäre in einem Konklave. Man weiß, dass es wichtig und entscheidend für die Kirche ist, was wir tun. Das ist eine ernste Aufgabe, und man muss verantworten, was man da tut. Es finden Gespräche statt, aber man versucht nicht einen Kandidaten dem anderen aufzureden, so habe ich es zumindest wahrgenommen. Das muss eine Gewissensentscheidung sein, wen man wählt.
Es geht auch nicht wie auf einem Parteikongress zu. Das sind liturgische Ereignisse, man kommt im "Kardinalsdress". Dann betet man gemeinsam eine Hore, morgens vielleicht die Terz oder abends die Vesper. Es wird überhaupt nicht mehr diskutiert bei der Versammlung.
Wenn dann ein Papst gewählt ist, ist das natürlich eine Erleichterung. Alle gehen zum neu gewählten Papst hin und teilen mit ihm den Friedensgruß. Das bedeutet, man anerkennt diese Sache. Es gibt nicht zwei Parteien, von der die eine gewinnt und die andere verliert, sondern alle akzeptieren diesen neuen Papst.
DOMRADIO.DE: Was könnte es nach Papst Franziskus für ein Papst werden? Welche Erwartungen gibt es?
Kasper: Es gibt gegensätzliche Erwartungen. Man muss unterscheiden: In den westlichen Kirchen wie in Deutschland herrschen ganz andere Interesse als in der südlichen Hemisphäre. Dort sind es die inhaltlichen Aspekte, die Papst Franziskus ins Augenmerk gebracht hat: die Armut, die Kriege, die Ungerechtigkeit. Eine schreckliche Ungerechtigkeit herrscht in der Welt.
Bei uns geht es darum, ob der Papst Frauenordination zulässt oder den Zölibat abschafft. Der Papst sollte die Weltkirche etwas kennen, aus der breiten Mitte. Meiner Ansicht nach sollte man jemanden nehmen, der mit beiden Seiten reden kann und versuchen kann, zusammenzuführen und nicht zu spalten. Das scheint mir in der gegenwärtigen Situation wichtig zu sein. Denn es hat sich in Gegensätzen verhakt, die es eigentlich nicht geben sollte in der Kirche.
Zum anderen würde ich persönlich wünschen, dass der neue Papst die Grundlinien, die Papst Franziskus gelegt hat, weiterführt. Franziskus hat viele Initiativen ergriffen, viele Türen geöffnet, auch viele Fragen zugelassen. Dass man überhaupt darüber diskutieren kann, ohne zensuriert zu werden; das hat eine andere, neue Atmosphäre geschaffen.
DOMRADIO.DE: Gibt es in der Runde solche Kardinäle, wie Sie es gerade beschrieben haben?
Kasper: Ich denke, es gibt viele, die auf der Linie weitergehen wollen, auch mit der Synodalitätssstruktur der Kirche, also keine starre Hierarchie mehr, sondern dass alle mitreden können. Aber es muss einen Papst geben, das ist ein Bischof, der zusammenfasst und ein Wort dazu sagen kann. Sonst funktioniert es nicht.
Eine Kirche mit 1,4 Milliarden Menschen ist kein Schnellboot, mit dem man schnelle Wendungen machen kann. Das ist ein großer Dampfer, da kann man nur langsam steuern. Da braucht es Zeit, bis sich etwas durchsetzt.
Es gibt auch andere, die dagegen sind, die wollen mehr oder weniger zum Alten zurückkehren. Das hat keine Zukunft nach meiner Meinung.
DOMRADIO.DE: Das Konklave ist ein großes Zusammentreffen der Kardinäle, manche kennt man gar nicht. Denn es gibt immer wieder neue Kardinale...
Kasper: Das ist vor allem beim jetzigen Konklave eine Schwierigkeit. Franziskus hat viele neue ernannt, darunter viele, die von der Peripherie kommen, die man nicht kennt. Für die Kardinäle ist es so: Man ist beieinander, isst auch miteinander und begegnet sich. Das ist auch eine Frage der Sprachenkenntnis: Die Arbeitssprache ist Italienisch, aber Englisch sollte man unbedingt können. Das können auch die meisten.
Oder man kennt Kardinale, die wiederum andere kennen. Dann kann man fragen: Wie wäre es mit dem? Es kann nur einer gewählt werden, der schon vorher die universale Kirche kennt und den auch die Kardinäle kennen. Anders kann man das eigentlich nicht machen. Einige Namen werden gehandelt, ich möchte mich da gar nicht zu äußern. Da kann jeder seine Information einholen.
Man wächst zusammen. Man ist ja morgens und mittags beieinander und das alles geschieht in einer Gebetsatmosphäre. Es herrscht eine gewisse Spannung, vor allem bei der letzten Abstimmung, wenn es darauf ankommt, ob ein Kandidat nun die Zweidrittelmehrheit erreicht oder nicht. Ein Drittel könnte alles blockieren.
Aber wenn er Zweidrittel bekommt an Stimmen, oder oft weit mehr, dann kann das kein "Extremist" sein. Die extremen Positionen haben auch ihren Sinn, die halten die Diskussion lebendig. Aber für eine Zweidrittelmehrheit muss man schon eine breite Zustimmung haben.
DOMRADIO.DE: Aus dem Sport oder aus der Politik kennt man, dass gejubelt wird, wenn jemand gewinnt.

Kasper: Wenn es soweit ist, dass der weiße Rauch kommt, wird geklatscht. Das ist klar. Es ist kein Jubel, kein Trubel, es sind ja alles erwachsene Leute. Aber es ist schon eine Freude, man geht zu dem Gewählten hin und gibt eine Art Umarmung, einen Friedensgruß.
Es wird manchmal gemunkelt, was sich alles im Hintergrund abspielt. Ich habe mich nie darauf eingelassen. Wenn man die liturgische Kleidung trägt, gibt es eine Art von Feierlichkeit, die keine Grobheit zulässt.
DOMRADIO.DE: Es wird oft gesagt, dass der Heilige Geist die Entscheidung mitprägt.
Kasper: Ich kann es Ihnen schwer beschreiben, aber ja, es bewegt sich da etwas. Gerade bei dem letzten Konklave habe ich den Eindruck gehabt. Da bewegt es sich jetzt. Es wird einer gewählt, der kein Europäer ist, vom "anderen Ende der Welt" kommt. Das war eine Entscheidung. Man hat dann den Eindruck, dass es getragen ist vom Geist Gottes. Der Heilige Geist wird sichtbar durch das Gewissen.

Sie müssen immer bedenken: In welcher Versammlung auf Weltebene kommt man so schnell zu einem Ergebnis mit zwei Drittel, nicht nur 50 Prozent? Das bringt nur der Heilige Geist fertig. Sie sind in der Sixtinischen Kapelle, Sie geben Ihre Stimme ab und blicken dabei auf das Jüngste Gericht in der Darstellung von Michelangelo. Da muss man irgendwann mal Rechenschaft abgeben.
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, wie lange wird das Konklave dauern?
Kasper: Das kann man gar nicht sagen. Die letzten Konklaven sind alle relativ schnell gegangen. Dieses Mal kennen sich viele Kardinäle nicht, das kann für eine Verzögerung sorgen. Oder wenn eine verschworene Gruppe da ist, die eine Drittelmehrheit hat und einen wählen will, den die meisten nicht haben wollen, aber eben doch diese Drittelmehrheit besitzen, dann muss man wieder von vorne anfangen. Das kann es sehr verzögern.
Ich glaube nicht, dass jetzt ein extremer Richtungswandel kommt. Man braucht eher eine gewisse Beruhigung in der gegenwärtigen Situation der Kirche. Einen neuen Stil des Umgangs in der Kirche, den brauchen wir. Wenn das der neue Papst schafft, dann macht es Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Das Interview führte Sonja Geus.