DOMRADIO.DE: Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Petersdom im Gespräch am Rande der Beerdigung von Papst Franziskus. Wäre so ein Bild beispielsweise auch in Berlin möglich?
Prof. Dr. Stefan Mückl (Päpstliche Universität Santa Croce, Rom): Rein theoretisch ja. Aber Berlin hat nun einmal keinen Petersdom, und eine so spezielle Location gibt es eben nur in Rom. Wie ich von Oltretevere, also aus dem Vatikan, höre, war es der dezidierte Wunsch von Selenskyj und Trump, das Gespräch im Petersdom zu führen und so durch die Bilder öffentlich zu machen. Dass sie miteinander sprechen wollten, war vorher klar gewesen. Aber der Heiligen Stuhl hätte ihnen diskret irgendeinen seiner zahlreichen Räume zur Verfügung gestellt. Doch sie beiden wollten ganz bewusst diesen Raum und auch das damit verbundene Ambiente nutzen.
DOMRADIO.DE: Ist der Vatikan eine Art neutrale Bühne, weil er eben nicht ein Land wie jedes andere ist?
Mückl: Das kann man so formulieren. Beim Vatikan muss ja unterscheiden zwischen dem Heiligen Stuhl, der Organisation der katholischen Kirche weltweit, die seit unvordenklicher Zeit auf dem völkerrechtlichen Parkett aktiv ist, und dem Vatikanstaat, der jüngeren Datums ist, keine 100 Jahre alt. Letzterer ist gewissermaßen nur die territoriale Basis für den Heiligen Stuhl.
Der Heilige Stuhl als solcher hat über die Jahrhunderte hindurch immer wieder in bewaffneten Konflikten vermittelt. Weil er streng neutral ist, weil er auch keine weltliche Macht (mehr) hat, eignet er sich dadurch ganz besonders als Vermittler.
DOMRADIO.DE: Kann man also den Vatikan als eine Art staatsrechtliche oder weltliche Grundlage für den Heiligen Stuhl bezeichnen?
Mückl: Ja. Der Vatikanstaat hat die Funktion, dass der Heilige Stuhl über eine kleine territoriale Basis verfügt. Diese soll die Unabhängigkeit des Papstes und der ihm zuarbeitenden römischen Behörden gewährleisten.
DOMRADIO.DE: Der Vatikan unterhält diplomatische Beziehungen zu 180 Staaten, ist aber kein Mitglied der Vereinten Nationen oder der UNESCO oder der Welthandelsorganisation. Warum nicht?
Mückl: Das System des internationalen Rechtes hat nach dem Zweiten Weltkrieg ein System der kollektiven Sicherheit und der Friedenssicherung, das notfalls auch mit Sanktionen durchgesetzt wird, bezweckt. Das ist der geistlichen Macht, die allein der Heilige Stuhl ausübt, nicht angemessen.
Allerdings ist der Heilige Stuhl ja sowohl bei der UNO als auch bei einigen Unterorganisationen als ständiger Beobachter aktiv. Er entsendet dorthin einen Ständigen Beobachter im Rang eines Apostolischen Nuntius. Dessen Aufgabe besteht darin, die Positionen der Kirche und des Heiligen Stuhls in die Prozesse des internationalen Rechtes einzubringen. Obwohl der Heilige Stuhl nicht Mitglied ist, geschieht das durchaus mit Erfolg.
DOMRADIO.DE: Zur Amtseinführung von Leo XIV. waren viele Staatsoberhäupter und Regierungschefs zugegen, darunter auch Vertreter aus Ländern in Kriegs- und Konfliktsituationen. Welche Möglichkeiten hat der Papst bzw. der Vatikan vermittelnd zu wirken, was andere Länder möglicherweise gar nicht können?
Mückl: Weil der Papst eine weltweit geachtete moralische Instanz ist und es sich heutzutage jedenfalls keine relevante politische Größe mit dem Papst und dem Heiligen Stuhl verscherzen möchte, hat der Heilige Stuhl eine sehr große informale Macht. Die Zeiten, in denen Stalin spöttisch fragte, wie viele Divisionen der Papst habe, sind vorbei.
Allerdings ist Voraussetzung, bevor der Papst und der Heilige Stuhl aktiv werden, dass beide Streitparteien die Vermittlung des Heiligen Stuhls tatsächlich möchten, dass sie sie erbitten. Der Heilige Stuhl wird insoweit nicht proaktiv tätig, sondern er wartet darauf, dass er angerufen wird. Das ist übrigens auch aufgrund des Lateranvertrages die Bedingung, dass der Heilige Stuhl diese Dimension seiner internationalen Präsenz nutzen kann.
DOMRADIO.DE: Einige Staatsoberhäupter und Regierungschefs werden allerdings mit internationalem Haftbefehl gesucht. Was würde passieren, wenn diese per Haftbefehl gesuchten Personen zwecks Vermittlungs- oder Friedensgesprächen in den Vatikan reisten?
Mückl: Es gibt seit gut 20 Jahren den Internationalen Strafgerichtshof und das damit verbundene Statut, das Römische Statut. Dieses sieht in der Tat vor, dass die Vertragsstaaten jemanden, der mit einem solchen Haftbefehl gesucht wird, festsetzen und überstellen müssen.
Nur ist der Heilige Stuhl ebenso wenig wie der Vatikanstaat Signatarstaat von diesem Römischen Statut. Sie sind also an dieses Statut völkerrechtlich nicht gebunden. Es wäre umgekehrt auch kontraproduktiv, wenn man Frieden herstellen möchte, denjenigen, der die reale Möglichkeit besitzt, den Frieden zu ermöglichen, erst einmal festzusetzen.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite muss jeder, der in den Vatikan will, über italienisches Territorium. Die italienische Ministerpräsident Giorgia Meloni hat zwar dem Vatikan zugesagt, bei Vermittlungsversuchen unterstützend zu helfen. Aber müsste nicht der italienische Staat diese per internationalem Haftbefehl gesuchten Personen festsetzen, sobald sie italienischen Boden betreten?
Mückl: Italien ist Signatarstaat des Römischen Statuts und hat auch gegen diesen Mechanismus der Durchsetzung eines internationalen Haftbefehles keinen Vorbehalt angemeldet. Allerdings würde Italien durch die italienische Justiz agieren. Man müsste erst einmal feststellen, dass jemand, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, italienisches Hoheitsgebiet betritt. Dann müsste ein entsprechender Haftbefehl ausgestellt werden. Der müsste dann vollzogen werden.
Hier stellt sich die Frage, ob das in der Kürze der Zeit tatsächlich realistisch ist. Abgesehen davon ist es nicht realistisch, dass in einem allerersten Augenblick die beiden Spitzen sich sofort über Italien auf vatikanisches Gebiet begeben würden, um zu verhandeln. Das würde zunächst einmal auf den normalen diplomatischen Kanälen stattfinden.
Man kann sich das ähnlich vorstellen wie bei der letzten maßgeblichen Vermittlungsaktion des Heiligen Stuhls Anfang der 1980er Jahre zwischen Argentinien und Chile. Damals fanden über ein Jahr lang Verhandlungen im Vatikan statt, aber auf Botschafter-Ebene und nicht auf Ebene der Staatspräsidenten.
DOMRADIO.DE: Viele Kommentatoren und Beobachter glauben, dass Leo XIV. ein politischer Papst sein wird. In seiner ersten Botschaft sprach er vom Frieden. Ist von ihm eine andere Haltung im Hinblick auf internationale Konflikte zu erwarten als von seinem Vorgänger Franziskus, der für seine neutrale Haltung zum Teil auch scharf kritisiert wurde?
Mückl: Das Geheimnis und der Erfolg des Vatikans bestehen darin, streng neutral zu sein. Das war die Linie, die im Ersten Weltkrieg Benedikt XV. verfolgt hatte, im Zweiten Weltkrieg Pius XII. In beiden Fällen haben gleichwohl Konfliktparteien die Neutralität des Papstes in Zweifel gezogen. Das ist auch bei Franziskus geschehen, wo es Stimmen gab, dass er nicht neutral sei.
Papst Leo wird die beständige Linie des Heiligen Stuhls beachten, nämlich strikte Neutralität, ohne eine möglicherweise bestehende innere Präferenz erkennen zu geben. Er wird sich bemühen, das Gut des Friedens durchzusetzen. In der Tat hat Papst Leo seine erste Botschaft an die Welt mit dem Friedensgruß begonnen. Das ist allerdings nicht nur der Friede, wie in die Welt versteht, als die Abwesenheit von Krieg und bewaffnetem Konflikt, sondern eine Geisteshaltung, die von innen herkommt. Gerade diese innere Haltung braucht es auch in diesen Konflikten in besonderer Weise.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.