Kirchenrechtler bewertet Vorfall vor Wormser Dom

Ist das Recht auf Sakramentenempfang erzwingbar?

"Mann würgt Einlasskontrolleur am Wormser Dom", lautet eine Schlagzeile der Woche. Der Mann war zuvor aufgrund der Corona-Bestimmungen abgewiesen worden. Zu Recht? Denn der Sakramentenempfang darf eigentlich nicht verwehrt werden.

Priester / © VGstockstudio (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche betont immer wieder, dass die Messe, die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens ist. Dann darf man aber auch niemandem den Zutritt verwehren, der eigentlich teilnehmen möchte?

Prof. Georg Bier (Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg): Das ist grundsätzlich richtig. Aber in besonderen Zeiten gelten besondere Regelungen. Und ich denke, das kann man vertreten. Die Frage ist ja auch, ob dem Mann, um den es hier geht, tatsächlich der Empfang der Sakramente verweigert worden ist oder ob ihm verweigert worden ist, unter den gegebenen Umständen in dieser Kirche die Sakramente zu empfangen. Also von einer grundsätzlichen Einschränkung seiner Katholiken-Rechte würde ich an dieser Stelle noch nicht sprechen.

Im Moment gibt es halt bestimmte Regelungen, die zu beachten sind: Man muss sich anmelden. Und wenn der Mann jetzt versucht hat, sich für einen Gottesdienst anzumelden, und in ganz Worms hat ihm niemand Zutritt gewährt, und man hat ihm auch keine andere Lösung aufgezeigt, dann würde ich sagen: Ja, da könnte man schon von einer ungerechtfertigten Einschränkung seiner Rechte sprechen. Aber nicht, wenn es vielleicht nur darum ging, dass er jetzt nicht zu diesem Gottesdienst gehen kann oder vielleicht auch auf eine andere Kirche in der Nähe ausweichen müsste.

DOMRADIO.DE: Sie haben es gerade schon angesprochen: außergewöhnliche Zeiten. Die Eucharistiefeier ist ja ein Sakrament. Wann darf das einem Gläubigen außerhalb einer Ausnahmesituation – wie jetzt gerade dieser Pandemie – überhaupt verwehrt werden?

Bier: Grundsätzlich darf es ihnen nicht verwehrt werden, wenn keine rechtlichen Hindernisse bestehen. Also wenn jemand exkommuniziert wäre, dann wäre das so ein Fall. Aber es gibt eben auch so etwas wie eine "gelegene Bitte". Das ist schon zu normalen Zeiten ein Hinweis darauf, dass nicht einfach jeder dann, wenn es ihm gerade in den Kram passt, ein Sakrament empfangen kann.

Ich kann nicht sagen, ich möchte gerne um halb vier am Sonntagnachmittag die Messe feiern, weil das mir am besten in den Tagesablauf passt, sondern es geht schon immer auch darum, dass es irgendwie gelegen sein muss. In der Sondersituation der Corona-Krise bedeutet "gelegen" dann vielleicht auch, dass man sich an bestimmte Regeln halten muss und dass man vielleicht auch hinnehmen muss, dass man nicht zur Wunschzeit in die Kirche gehen kann, dass man vielleicht auch nicht in die Wunsch-Kirche gehen kann.

DOMRADIO.DE: Wer sonntags nicht an der Messe teilnimmt, begeht ja eigentlich eine schwere Sünde, Stichwort "Sonntagspflicht". Die ist aber gerade jetzt ausgesetzt. Wie streng wird das mit der Sonntagspflicht denn überhaupt noch gesehen?

Bier: Vom Gesetzgeber wird das immer noch sehr streng gesehen. Was das in der kirchlichen Praxis bedeutet, können Sie alles selber abschätzen. Das ist eher eine Rechtspflicht, die erstens kaum noch bekannt ist und zweitens vielleicht auch nicht mehr von so ganz vielen Katholikinnen und Katholiken wirklich als besonders stark verpflichtend angesehen wird.

DOMRADIO.DE: Nun kann man ja Karten für einen Gottesdienst im Internet vorbestellen. Was ist denn jetzt mit den Gläubigen, die zum Beispiel gar kein Internet haben?

Bier: Ja, das ist dann in der Tat ein Problem. Da wäre ich dann auch der Meinung, dass der Gesetzgeber bzw. die Diözese Mainz und diejenigen, die das angeordnet haben, dafür zu sorgen haben, dass es auch Wege gibt, ohne Internet an freie Plätze, an Tickets zu kommen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Quelle:
DR