Israels Presse reagiert mit Lob und Langeweile auf Merkel-Rede

"Begeisterte, zionistische Rede"

Die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Knesset hat in der israelischen Presse unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die Tageszeitung "Haaretz" schreibt in ihrer Mittwochsausgabe: "Früher war es üblich, Reden deutscher Politiker genau zu überprüfen und mit Argusaugen darauf zu achten, wie großzügig sie bei ihrer Entschuldigung sind." Merkel habe eine "begeisterte, zionistische Rede" gehalten, wertet das Blatt und zitiert sie mit den Worten: "Der Holocaust erfüllt uns Deutsche mit Scham. Ich senke mein Haupt vor den Opfern."

 (DR)

Gideon Levy titelt in der TV-Kritik des «Haaretz": «Deutschland über alles». Das Fernsehen habe immer wieder betont, es handele sich um einen historischen Besuch. «Historisch oder nicht - es war ziemlich langweilig», so Levy. In den Geschichtsbüchern werde man sich an das Ereignis wohl nicht erinnern.

Die Tageszeitung «Jedijot Achronot» hob darauf ab, dass Merkel in der Knesset von der Verantwortung Deutschlands für den Holocaust sprach. Zugleich hätten bei einer Umfrage in zwei deutschen Fernsehsendern 52 Prozent der Befragten geantwortet, Deutschland müsse heute keine besondere Verantwortung mehr gegenüber Israel haben. Nur 42 Prozent seien der Auffassung gewesen, die Deutschen müssten noch immer eine besondere Verantwortung empfinden.

Zu den Protesten von Abgeordneten gegen Merkels Auftritt schrieb die Zeitung: «Arabische Parlamentarier vermieden es demonstrativ, nach der Rede Merkels zu applaudieren, und verließen den Saal.» «Haaretz» vermerkt, der Parlamentarier Arie Eldad habe parallel zur Knesset-Sitzung eine Lesung des Gedichts «Zu dem Leichenhügel im Schnee» abgehalten. Die linksgerichtete Shelly Yechimowitz, Tochter von Holocaust-Überlebenden, habe die Sitzung überraschend boykottiert; sie bezeichnete die Entscheidung, eine Rede auf Deutsch zu genehmigen, als «Stumpfsinnigkeit».

«Diskussion über deutsche Sprache längst erledigt»
«Maariv» titelte: «60 Jahre nach jenem Krieg machte die Kanzlerin Geschichte.» Darin schreibt der frühere Knesset-Vorsitzende und Vorsitzende der Gedenkstätte Jad Vaschem, Schewach Weiss: «Auch heute noch gibt es Worte in der deutschen Sprache, wie zum Beispiel 'Achtung!', die mir Schauer über den Rücken laufen lassen.» Dennoch habe sich für ihn «die Diskussion über die deutsche Sprache in der Knesset längst erledigt», so der Holocaust-Überlebende.

Weiter schreibt Weiss: «Die Zeiten ändern sich, und auch die Menschen. 63 Jahre sind nach dem Zweiten Weltkrieg vergangen.» Merkel sei nach dem Krieg geboren: «Ich möchte nicht die Rassenlehre der Nazis übernehmen und alle nachfolgenden Generationen von Deutschen verurteilen», so Weiss. Das würde die Grenze der Scheinheiligkeit überschreiten.