Hat die Enzyklika "Laudato si" etwas bewegt?

"Die Luft ist ein bisschen raus"

Vor zehn Jahren veröffentlichte Papst Franziskus "Laudato si'". Auch wenn die Enzyklika die Klimakrise nicht aufhalten konnte, sei sie – auch innerkirchlich – ein Meilenstein gewesen, sagt der Ökonom und Katholik Ottmar Edenhofer.

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie wurden 2014 in den Vatikan eingeladen, um mit Papst Franziskus über den Klima- und Umweltschutz im Zusammenhang mit der Enzyklika "Laudato si" zu sprechen. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Treffen?

Ottmar Edenhofer / © Gordon Welters (KNA)
Ottmar Edenhofer / © Gordon Welters ( KNA )

Prof. Ottmar Edenhofer (ehm. Jesuit und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung): Damals wurde die Enzyklika schon geschrieben und wir wurden als Berater eingeladen. Ich erinnere mich vor allem an die höfliche Bescheidenheit, die uns Papst Franziskus entgegengebracht hat. 

In unserem Gespräch ging es im Kern um die globalen Gemeinschaftsgüter (Güter, die alle nutzen und von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann, z.B. die Atmosphäre oder Meere außerhalb territorialer Gewässer, Anm. der Red.). Ich habe ihm damals dazu geraten, das in die neue Enzyklika aufzunehmen, denn ich war überzeugt, dass sie dann so bedeutend wie "Rerum Novarum" von Leo XIII. würde, der zu seiner Zeit die ganze Frage des Privateigentums und der Staatsintervention in den Kontext der sozialen Frage gestellt hat.

Er hat sich eine Stunde Zeit genommen, viele Fragen gestellt und zugehört. Man würde eher erwarten, dass ein Papst verkündet und die anderen zuhören. Aber es war genau umgekehrt. 

DOMRADIO.DE: Hat er Ihren Rat beherzigt? Ist es das, was Franziskus meinte, als er in der Enzyklika von "unserem gemeinsamen Haus" schrieb?

Edenhofer: Ja, der Begriff der Gemeinschaftsgüter kommt explizit in der Enzyklika in Bezug auf das Klima, Wälder und Ozeane vor. Und er ist dann auch theologisch übersetzt worden in der Metapher vom "gemeinsamen Haus".

DOMRADIO.DE: Als Papst Franziskus dann 2015 die Enzyklika "Laudato si" veröffentlichte, war von so manchen – auch Bischöfen – hinter vorgehaltener Hand zu hören, der Text sei ein bisschen naiv und werde der Komplexität der Realität nicht gerecht. Wie sehen Sie das? 

Ottmar Edenhofer

"Es stimmt auch, dass die Enzyklika an manchen Stellen naiv und irreführend ist und der Papst an manchen Stellen sein Mandat überzieht."

Edenhofer: Die Reaktion in der Wissenschaft war eine ganz andere: Es war das erste Mal in der Wissenschaftsgeschichte – und das kann man gar nicht hoch genug einschätzen – dass die Zeitschrift "Nature Climate Change" dieser Enzyklika eine Sonderausgabe gewidmet hat. Das ist eines der wichtigsten Journale, in dem die wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse der Menschheit publiziert werden. Ich selbst habe Anrufe von vielen Kollegen bekommen, vor allem aus den USA, die gesagt haben: "Papst Franziskus hat den Krieg zwischen Wissenschaft und Religion beendet." Also: Die Rezeption in der Wissenschaft war viel positiver, selbst Kollegen die eher agnostisch, atheistisch und der Religion gegenüber skeptisch sind, fanden den Text gut und nannten ihn einen interessanten Beitrag. 

Aber es stimmt auch, dass die Enzyklika an manchen Stellen naiv und irreführend ist und der Papst an manchen Stellen sein Mandat überzieht, wenn er sich zum Beispiel über den Emissionshandel äußert. Aber es hat nach meiner Kenntnis noch nie eine Sozialenzyklika gegeben, wo Päpste der Versuchung widerstanden hätten, zu sehr konkreten Fragen sehr konkrete Vorschläge zu machen. Aber es ist natürlich für jeden Leser klar, dass der Papst für solche Empfehlungen keine lehramtliche Autorität in Anspruch nehmen kann. 

DOMRADIO.DE: Warum wurde die Enzyklika trotzdem von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern so positiv aufgenommen, auch von denen, die Glaube und Religion kritisch oder ablehnend gegenüberstehen? 

Edenhofer: Das liegt daran, dass Papst Franziskus das IPCC ("Intergovernmental Panel on Climate Change", ein zwischenstaatliches Gremium der Vereinten Nationen, das sich mit dem Klimawandel befasst, Anm. der Red.) als wichtigste Quelle in der Wissenschaft anerkannt hat, das für uns Grundlage und ausreichende moralische Gewissheit ist, um auf der Basis über die Fragen von Armut, Ungleichheit und Klimawandel nachzudenken. Und weil er die Bedeutung dieses Topos der Gemeinschaftsgüter erkannt hat. 

Ich habe als Vorsitzender des Weltklimaraters versucht, den Satz: "Das Klima ist ein globales Gemeinschaftsgut der Menschheit" in die Abschlusserklärung zu bringen, also in diese berühmte Zusammenfassung für die Entscheidungsträger. Das ist mir nicht gelungen, weil die Amerikaner fürchteten, dass die rechtliche Anerkennung des Klimas als globales Gemeinschaftsgut völkerrechtliche Konsequenzen haben könnte. Im Falle seiner Gefährdung könnte daraus eine Schutzverpflichtung abgeleitet werden und das wollten die Amerikaner nicht. 

Darum wurde der Passus nur in eine Fußnote verbannt. Und es war der Papst, der ihn mit seiner Enzyklika sozusagen in das Licht der Weltöffentlichkeit gestellt hat. Das ist den Wissenschaftlern nicht verborgen geblieben, insofern war das damals eine sehr positive Rezeption. 

DOMRADIO.DE: Vor zehn Jahren wurde "Laudato si" veröffentlicht, zeitgleich erwärmt sich das Klima immer weiter, es gibt zunehmend Katastrophen infolge der Klimaveränderungen, die USA sind aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen. Gerade erst kam eine Studie der Forschungsorganisation World Resources Institute (WRI) zu dem Ergebnis, dass die Zerstörung tropischer Urwälder 2024 den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahrzehnten erreicht hat. Es wird als eher schlimmer als besser. Wird die Wirkmächtigkeit dieser Enzyklika überschätzt?

Ottmar Edenhofer

"Es gab ganz massive Einflüsse, den Vatikan für eine klimaleugnende Position zu instrumentalisieren."

Edenhofer: Nein, denn man muss die Ausgangssituation verstehen: Unter Papst Benedikt XVI. hat der Vatikan zu Fragen des Klimawandels eine sehr ambivalente Position gehabt und er hat Klimaleugnern in der katholischen Kirche die Legitimation in keiner Weise entzogen, im Gegenteil: Es gab ganz massive Einflüsse, den Vatikan für eine klimaleugnende Position zu instrumentalisieren. 

Franziskus hat ihnen mit der Enzyklika den Boden entzogen und das war wichtig. Danach konnte sich beispielsweise Kardinal Pell aus Australien, damals der lautstärkste Klimaleugner in der Kirche, nicht mehr öffentlich äußern. Damit hat Franziskus innerkirchlich das Thema gesetzt. Und die Bischöfe des Südens hatten eine neue Legitimation zu sprechen. Also, diese Enzyklika hat etwas bewirkt. 

Und wir dürfen nicht vergessen, auch wenn sich die Lage auf globaler Ebene zugespitzt hat, dass die Europäische Union in den letzten fünf Jahren dramatische Fortschritte erzielt hat: Es ist gelungen, Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum zu entkoppeln. Nicht schnell genug, aber immerhin. Es hat den "European Green Deal" gegeben, den hätte es ohne die globale Klimabewegung und "Laudato Si" sicher nicht gegeben. Aber man kann natürlich von einem Papst nicht erwarten, dass sein Wort die Mächtigen, die gegen Klimapolitik sind, zum Umdenken bewegt.

Heute, zehn Jahre später, würde ich salopp sagen: Die Luft bei "Laudato si" ist ein bisschen raus. Aber jetzt haben wir den neuen Papst, der sich dezidiert in die Tradition von Leo XIII. stellt und deswegen erwarte ich, dass auch unter ihm Frage der Eigentumsrechte im 21. Jahrhundert wieder eine Rolle spielen wird. Darum traue ich "Laudato si" unter Leo XIV. auch noch mal eine neue Karriere zu. 

DOMRADIO.DE: 2024 war ein Jahr der Extreme: Waldbrände in Kalifornien, Jahrhundert-Überschwemmungen in ganz Europa und eine rekordverdächtige Hurrikan-Saison: Gebrochen wurden Rekorde, die nicht gebrochen werden sollten. Wozu würden Sie als Ökonom raten? 

Ottmar Edenhofer

"Die Phase, in der wir eine risikolose Klimapolitik machen können, ist längst vorbei."

Edenhofer: Das ist eine gigantische Aufgabe, denn die internationalen Klimaverhandlungen stecken in einer Sackgasse. Wir haben uns zwar als Weltgemeinschaft darauf verständigt, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen, aber gleichzeitig müssen wir erkennen, dass dieses Ziel nicht mehr erreichbar ist. Wenn im Herbst die Weltklimakonferenz in Brasilien stattfinden wird, ist die große Frage: Wie finden wir einen Weg aus dieser Sackgasse? 

Wenn wir die Temperaturkurve wieder zurücklegen wollen, brauchen wir Technologien, die uns ermöglichen, CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen. Und dann müssen wir immer noch die Emissionen jährlich um sechs Prozent reduzieren, das bleibt uns nicht erspart. Und das heißt aus meiner Sicht: Wir müssen diese Technologie hoch skalieren. Ich sage nicht, dass diese Technologien den Leuten sympathisch sein werden, aber die Phase, in der wir eine risikolose Klimapolitik machen können, ist längst vorbei. Es ist ein Weg, der Gefahren birgt. Wir müssen ständig den schmalen Pfad zwischen Skylla und Charybdis finden. Dem müssen wir uns stellen und das kann man nicht leugnen und sagen: Es wird schon anders gehen. Nein, es geht nicht anders, dafür gibt es eine überragende wissenschaftliche Evidenz. 

Und zweitens müssen wir dringend einen Weg finden, dass die reicheren Länder begreifen, dass es in ihrem Eigeninteresse liegt, wenn sie im globalen Süden den Kohleausstieg finanzieren. Das ist ein Investment, das sich lohnt, wenn man in Rechnung stellt, dass wir für jede Tonne, die wir dort einsparen, mindestens 200, 300 Euro an Klimaschäden vermeiden. 

Und wir müssen dazu kommen, dass wir Öl und Gas auf den Ressourcenmärkten bepreisen und die Mittel, die wir dort generieren, für den Schutz der Biodiversität einsetzen, für Solarfarmen, für die Transformation von Energiesystemen. Sonst werden wir es nicht schaffen, dass wir diese tausend Milliarden, die auf der Klimakonferenz in Baku im vergangenen Jahr versprochen wurden, mobilisieren werden. 

DOMRADIO.DE: Und wozu würden Sie als ehemaliger Jesuit und gläubiger Christ raten? Oder hilft da nur noch beten?

Edenhofer: Ich denke, uns ist doch allen klar, was zu tun ist, wenn wir in unserem Leben etwas ändern wollen, weil wir entweder schlechte Angewohnheiten haben oder weil wir verstanden haben, dass manche unserer Aktionen nicht hilfreich sind. Wie verändert sich der Mensch? Das ist unglaublich schwer und es reicht nicht, sich nur Ziele zu setzen, wir müssen das einüben. Das ist auch der Kern dessen, was wir Katholiken glauben: Geistliche Übungen, man muss auch sich in der Tugend üben, Tugend ist Tüchtigkeit. Und wenn man scheitert, muss man die Kraft haben, sich das einzugestehen und neu anfangen. 

Das würde ich auch in Bezug auf den Klimaschutz sagen: Man muss die Hoffnung offenhalten, dass uns das Ganze gelingt. Denn wo es keinen Möglichkeitssinn gibt, gibt es auch keinen Wirklichkeitssinn. Und wer die Hoffnung annulliert, nimmt uns die Möglichkeit, über eine andere Welt nachzudenken. 

Aber zur Hoffnung gehört auch der nächste belastbare Schritt, um dem Ziel etwas näherzukommen. Bislang haben wir zu viel Zeit damit verbracht, neue ehrgeizige Ziele zu formulieren, die sich gut in Abschlussdeklarationen anhören. Ob 1.000 Milliarden oder 900 Milliarden an Mitteln für den Klimaschutz mobilisiert werden, ist nicht so entscheidend wie die Frage, ob überhaupt welche mobilisiert werden und wie man sie richtig einsetzt. 

An solchen Veränderungsprozessen mitzuarbeiten, mit der Bereitschaft, die wirklich dicken Bretter zu bohren, ist das, was fehlt, auch auf politischer Seite. Mich stört, dass wir uns bei diesen Konferenzen immer auf die Durchbrüche und auf die Deklarationen konzentrieren, aber vergessen, was nach der Konferenz getan werden muss, nämlich den nächsten Schritt zu gehen.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Information der Redaktion: YouTube Link zu "Klima, Kirche, Kapital - 10 Jahre 'Laudato Si'" mit dem Klimaökonomen Prof. Dr. Ottmar Edenhofer

Enzyklika "Laudato si"

Klimawandel, Artenvielfalt, Trinkwasser: Diese Themen bestimmen die Umweltenzyklika von Papst Franziskus. Er wendet sich damit an "alle Menschen guten Willens" - und erklärt, warum eine ökologische Umkehr auch soziale Gerechtigkeit bedeutet. Papst Franziskus hat die reichen Industrienationen zu einer grundlegenden "ökologischen Umkehr" aufgefordert, um globale Umweltzerstörung und Klimawandel zu stoppen.

Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR

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