"Heute ist für Köln ein trauriger Tag , ein Tag des Innehaltens und Gedenkens, aber auch ein Tag des Zusammenhalts". Kölns Bürgermeister Torsten Burmester zeigte sich auf der Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom 1938 in der Synagoge sichtlich berührt: "Das Gedenken am 9. November ist eine Pflicht und gleichzeitig Verpflichtung für die Gegenwart", sagte er im DOMRADIO.DE Interview: "Das war heute ein mutiges Signal gerade der Jugendlichen, sich deutlich gegen Antisemitismus auszusprechen".
Schülerinnen und Schüler erinnern
In bewegenden Beiträgen erinnerten Schülerinnen und Schüler der Kölner Ursulinenschule und des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums an das Schicksal gleichaltriger Jüdinnen und Juden in der Nazizeit. "Wie fühlt es sich an, wenn man plötzlich sein Zuhause verlassen muss?", fragten sie. So, wie ungezählte jüdische Kinder damals von ihren Eltern getrennt wurden, weil die Eltern die einzige Rettung darin sahen, ihre Kinder nach England in Sicherheit zu bringen. Die Eltern wurden später in Konzentrationslager verschleppt. Die Kinder sahen sie häufig nie wieder. Im Geschichtsleistungskurs haben sich die Jugendlichen mit dem Schicksal der Kinder beschäftigt. Sie haben sich auch die Stolpersteine in Köln genau angesehen. "Wir haben die Verantwortung, das Wissen um unsere Vergangenheit weiterzugeben", sagten sie. In Köln wurden im vergangenen Jahr 227 antisemitische Vorfälle gemeldet - ein bedrohlicher Anstieg.
Mit über 8000 Jüdinnen und Juden war Köln vor 1933 eine der größten und ältesten jüdischen Gemeinden in Deutschland. Als die Scheiben eingeschlagen, die Geschäfte geplündert und die Synagogen in Brand gesteckt wurden, haben die meisten Deutschen geschwiegen. "Es sind nicht nur die Täter, die uns Sorgen machen, sondern diejenigen, die schweigen", sagte Dr. Felix Schotland vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln: "Schweigen nährt das Böse".
Der "Schuld-Kult"
Das Schweigen ist unerträglich, meinte auch Torsten Burmester. Er verurteilte politische Stimmen, die die deutsche Verantwortung relativieren und von einem "Schuld-Kult" sprechen. "Man muss klare Grenzen ziehen, indem man sagt, was war und was ist. Wir dürfen dem Antisemitismus in Deutschland keine Chance geben". Eine besondere Verpflichtung sieht Kölns neuer Bürgermeister auch bei den Religionsgemeinschaften. "Ich bin froh, dass die christlichen Religionen gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde dieses Gedenken am 9. November organisieren", sagt er. "Wir stehen gemeinsam für den Zusammenhalt und für die Toleranz in unserer Stadt. Das verkörpert die katholische, die evangelische Kirche und die jüdische Gemeinde."
Beim Gedenken an die Pogromnacht blickte Burmester besorgt in die Zukunft. Denn eine Umfrage hat ergeben, dass jede fünfte Person in Deutschland offen ist für antisemitische und antidemokratische Parolen. "Jede Form von Antisemitismus ist ein Angriff auf den Charakter unserer Stadt", sagte er.
Warnung vor getarntem Antisemitismus
"Heute brennt wieder Hass, nicht in Flammen, sondern in Worten. Die alten Dämonen sind nicht verschwunden", warnte Dr. Schotland. Dabei dürfe die aktuelle Politik des Staates Israel nicht dazu benutzt werden, Antisemitismus zu propagieren. Bedrückt sei er über die vielen antisemitischen Mails, die die Synagogengemeinde erreichen, und - um nur ein Beispiel dieser Schmähbotschaften zu nennen - das sofortige Verbot der Synagogengemeinde fordern.
Der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Professor Jürgen Wilhelm, erinnerte an die Folgen des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 als das größte antisemitische Pogrom seit der Shoa. Es sei eine deutsche Verpflichtung, keinen populistischen Parolen und einfachen Antworten hinterherzulaufen. Als getarnten Antisemitismus bezeichnete er Sätze wie "Der Holocaust findet in Gaza statt". Sachliche Kritik müsse sich klar von Antisemitismus unterscheiden. "Wir stehen ohne Wenn und Aber an der Seite unserer jüdischen Freunde", versicherte er: "Denn Nie wieder ist jetzt".