Politiker warnen zum Jahrestag der Novemberpogrome vor Antisemitismus

"Schmerzhafte Mahnung an uns alle"

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 schlug die Verfolgung der Juden im NS-Staat in offene Gewalt um. Zum Jahrestag warnen Politiker vor Hass und fordern mehr Entschlossenheit beim Schutz der Menschenwürde.

Kerzen vor der Kölner Synagoge nach einem Schweigegang zum Gedenken an die Pogromnacht vor 85 Jahren / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Kerzen vor der Kölner Synagoge nach einem Schweigegang zum Gedenken an die Pogromnacht vor 85 Jahren / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) hat zum 87. Jahrestag der Reichspogromnacht der Nationalsozialisten vor wachsendem Antisemitismus in Deutschland und Europa gewarnt. 

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer / © Christian Ditsch (epd)
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer / © Christian Ditsch ( epd )

"Die Pogromnacht vom 9. November 1938 war ein barbarisches Verbrechen, das uns bis heute verpflichtet", erklärte Weimer in Berlin. Der Tag zeige, "wohin Hass und Gleichgültigkeit führen, wenn die Werte von Menschlichkeit und Freiheit verloren gehen". 

Die Bilder von enthemmter Gewalt gegen wehrlose Menschen, der Zerstörung und des brennenden Hasses erschütterten ihn immer wieder, sagte Weimer. Die Erinnerung daran sei "kein Ritual, sondern eine schmerzhafte Mahnung an uns alle, wachsam zu bleiben". 

"Antisemitismus ist kein Schatten der Vergangenheit"

Weimer betonte: "Antisemitismus ist kein Schatten der Vergangenheit, er wütet wieder im grellen Licht unserer Gegenwart". 

Der Kulturstaatsminister rief dazu auf, die Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Reichspogromnacht als Zeichen des Zusammenhalts zu verstehen. Das Gedenken an die Opfer sei auch ein Bekenntnis zu einer offenen, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft.

Altbundespräsident Gauck ruft wünscht sich mehr "Wachheit"

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck fordert, dass Antisemitismus aus dem arabischen Raum und von links stärker in den Blick genommen wird. 

Screenshot: Joachim Gauck / © phoenix
Screenshot: Joachim Gauck / © phoenix

"Wir haben seit Jahrzehnten eingeübte Abwehrreflexe gegenüber Rechts - das ist gut", sagte Gauck dem "Tagesspiegel" (Samstag). "Was lange vernachlässigt wurde, ist die Beschäftigung mit Antisemitismus etwa aus dem arabischen Raum, wo es völlig normal sein kann, mit antisemitischen Vorstellungen aufzuwachsen."

"Wir brauchen mehr Entschlossenheit beim Schutz der Menschenwürde"

Manche hätten auch Probleme, über linken Antisemitismus in Deutschland zu sprechen. "Egal wo Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit herrühren: Wir brauchen mehr Entschlossenheit beim Schutz der Menschenwürde", forderte Gauck. 

Angesichts der steigenden Zahl antisemitischer Vorfälle forderte Gauck mehr "Wachheit". Das Grundgesetz verbiete "weder Dummheit noch Niedertracht". "Wir müssen uns mit denen auseinandersetzen, die Hass zu einem Teil ihres Lebens gemacht haben", sagte der frühere evangelische Pfarrer. 

Das gelte für alle Bürger, nicht nur für Institutionen: "Wir sind ein Bürgerstaat, nicht nur ein Institutionenstaat."

Religion ist oft nicht Grund für Antisemitismus

Antisemitismus unter Musliminnen und Muslimen in Deutschland ist einer Untersuchung zufolge häufig eher eine Folge konservativ-autoritärer Einstellungen als der Religion an sich. Auch gebe es Hinweise, dass regionale beziehungsweise nationale Diskurse einen stärkeren Einfluss auf negative Einstellungen gegenüber Jüdinnen und Juden hätten als religiöse Zugehörigkeit. So zeigten zum Beispiel auch Menschen christlichen Glaubens entsprechende Ressentiments.

Antisemitismus: Juden in Deutschland sehen wachsende Bedrohung / © Arne Dedert (dpa)
Antisemitismus: Juden in Deutschland sehen wachsende Bedrohung / © Arne Dedert ( dpa )
Quelle:
epd